Liebe Leser!
Auf dieser Seite sind nur noch die Rezensionen der jeweils letzten 12 Monate bebildert, alle anderen bleiben mit dem Text erhalten, aber ohne Bild.


Hercules in Hamburg

Für Kinder hui, für Erwachsene eher pfui!

Weltpremiere von Disneys Hercules kann teilweise überzeugen, aber die Regie verwundert sehr!

Text: Jörg Beese. Fotos: Johan Persson_Disney_Stage Entertainment

Mit großer Erwartungshaltung haben die Musicalfans in Deutschland und speziell in Hamburg auf die  Welt-Uraufführung von Disneys „Hercules“ gewartet, die am 24. März in der Neuen Flora stattfand. Das Musical orientiert sich dabei an der Zeichentrickversion von 1997, nach dem Buch von Robert Horn und Kwame Kwei-Armah sowie der Musik und den Texten von Alan Menken und David Zippel. Es gab zwar bereits zwei Bühnenversionen dieses Themas, die Hamburger Inszenierung ist aber eine autonome Show, daher auch der Titel als „Welt-Uraufführung“. Doch warum wird solch eine Disney-Show an der Elbe und nicht am Broadway oder in London uraufgeführt? Die Antwort liefert möglicherweise der nachfolgende, in einigen Bereichen eher kritische, Artikel zur einen Tag vor der Galapremiere vorgeschalteten Medienpremiere.

Fangen wir zunächst mit den positiven Aspekten der neuen Show an, die mit einer Preisspanne von gut 60 bis knapp 170 Euro, je nach Wochentag, im durchaus höherwertigen Sektor liegt. Da sind zunächst die optischen Aspekte zu nennen. Das Bühnenbild von Dane Laffrey wird unterstützt durch ein sehr passendes  Lichtdesign von Jeff Croiter und kurzen Videosequenzen von George Reeve. Diese Mischung passt, sei es auf dem Olymp der Götter, Hades Unterwelt oder der „Mittelschicht“, hauptsächlich instrumentalisiert durch Medusas Gasthof. Während der Olymp von hohen Säulen geprägt ist, darf Hades in seiner Unterwelt auf dunklen Pfaden wandern, die sich breit über die Bühne spannen. Das Medusas erinnert an eine klassische griechische Taverne im antiken Stil, alle Bühnenbilder sind eindrucksvolle Ausrufezeichen zur sich abspielenden Handlung.

Das gilt erst recht für die herrlichen Kostüme von Gregg Barnes und Sky Switser. Diese machen Disneys Ruf der optischen Opulenz alle Ehre, viele hellblaue oder orangefarbene Töne werden dabei verwendet und erinnern in Teilen auch an eine klassische Zirkusatmosphäre. Hierbei schon mal ein dickes Kompliment an die KünstlerInnen, denn einige der Kostümwechsel müssen in gefühlt weniger als einer Minute stattfinden, doch das alles klappt völlig reibungslos.

Nächster Pluspunkt der Show sind die rasanten Choreografien von Casey Nicholaw und Tanisha Scott. Es gibt sehr viele Tanzszenen, die von einem extrem hoch motivierten Ensemble rasant und qualitativ hochwertig umgesetzt werden.  Die sportliche Leistung, in die auch immer wieder einige der Hauptdarsteller eingebunden sind, ist dabei gar nicht hoch genug einzuschätzen, doch von Anstrengung bei den Künstlern ist scheinbar keine Spur.  Für das Tanzensemble kann daher eine glatte Eins vergeben werden.

Verdient sich Hercules für die drei Teilbereiche Bühnenbild, Kostüme und Choreografie  durchaus eine Eins mit einem kleinen Minus, so kann man das von den anderen Faktoren der Show leider nicht sagen. Beginnen wir noch mit dem Positivsten, dem Ensemble: Hier verdienen sich die DarstellerInnen von Hades (Detlef Leistenschneider), Meg (Mae Ann Jorolan), Phil (Kristofer Weinstein-Storey, Karl (Mario Saccoccio) und Heinz (André Haedicke) absolute Bestnoten. Ihre Bühnenpräsenz, ihre Ausstrahlung, ihre Stimmen sowie ihre tänzerischen Darbietungen überzeugen und im Gegensatz zu einigen anderen Rollen können sie dabei auch ihr natürliches Charisma auf der Bühne komplett in die Waagschale werfen.

Ebenfalls sehr stark performen die fünf Musen. Leslie Beehann, Chasity Crisp, Venolia Manale, Shekinah McFarlane und UZOH moderieren geschickt durch die Inszenierung, werden kostümtechnisch bestens ausgestattet, swingen auch choreografisch sehr elegant mit und haben, jede für sich, eine wunderbare Singstimme. Aber: Leider ist bei vier der fünf Damen die Muttersprache kein Deutsch, wodurch man sich auf die bei Disney-Produktionen leider unumgängliche, phonetische Aussprache einstellen muss. Gerade wenn die fünf Damen zusammen singen entsteht so eine Aussprache, die phasenweise kaum zu verstehen ist. Dies wird noch unterstützt durch die nicht gut ausgesteuerte Tontechnik. Man kommt also in den Genuss toller Singstimmen, aber man versteht beileibe nicht alle Texte.

Von gesundem Charisma, wie bei den oben bereits genannten Darstellern beschrieben, kann man von anderen Rollen leider nicht behaupten. Dies, um das von Vornherein festzustellen, liegt aber nicht an den Künstlern, sondern an einer teilweise ganz schwachen Personenregie, bei der man sich fragt, ob Regisseur Casey Nicholaw vielleicht zu viel Inspiration in seine Choreografien gesteckt hat und dabei den dramaturgischen Part eher beiläufig abgehandelt hat. Das beginnt schon beim Hercules-Hauptdarsteller. Benet Monteiro. Der Junge ist stimmlich und tänzerisch richtig gut, hat auch wohl im Vorfeld der Premiere mehrere Monate jeden Tag drei bis fünf Stunden im Fitnessstudio zugebracht, nimmt man seine Oberarme als Maßstab. Aber in viel zu vielen Szenen wird er eher als naiver, leichtgläubiger Spätpubertär dargestellt,  Etwas mehr Teenager-Mentalität hier und da und etwas weniger kitschiges Pathos hätten der Herculesfigur gut getan. Auch hätte das Script ihm etwas mehr Zeit für die Entwicklung seiner unterschiedlichen Entwicklungsstufen geben sollen, vieles wird einfach nicht hergeleitet, was sicherlich auch der Tatsache geschuldet ist, dass es sich eigentlich ja um ein Kindermusical handelt, bei dem Tiefgründigkeit eher stört.

Während wir Hercules aber aufgrund seiner hohen Bühnenpräsenz diese Makel vielleicht noch nachsehen können, da er mit starker Stimme und schwungvollem Tanz vielen dramaturgischen Defizite wieder ausbügelt, fällt bei seinen Eltern auf, wie wenig inszenatorisches Verständnis der Regisseur für das deutsche Publikum zu haben scheint. Zeus ist der höchste Gott der griechischen Mythologie, mächtiger als alle anderen Götter zusammen. Und da kommt nun in der Neuen Flora der arme Stefano Francabandiera von seinem Olymp herunter mit der Ausstrahlung eines ostfriesischen Nachtanglers am Dortmund-Ems Kanal. Sorry, aber gerade für diese Rolle, aber auch die seiner Gemahlin Hera, immerhin (u.a.) Göttin der Ehe und der Frauen, hätte man sich deutlich mehr Charisma gewünscht, doch kreative Ideen sind bei Hercules ohnehin die absoluten Ausnahmen. Bei diesem Paar hätte man gut die erwachsenen ZuschauerInnen mit ins Boot holen können, sei es durch eine Parodie auf Olaf Scholz und Annalena Baerbock oder eine mythologische Genderdiskussion. Aber nein, der größte Gott im Olymp und seine Gemahlin sind in dieser Inszenierung nicht mehr als eine schnell vergessene Randnotiz.

Bleibt noch die Musik zu erwähnen. Das Orchester unter der Leitung von Hannes Schulz ist noch nicht optimal ausgesteuert und übertönte mehrfach die Gesangsstimmen. Ansonsten wurden die Arrangements klar und schwungvoll präsentiert, ohne Grund zum Meckern. Die Ohrwurmqualität hält sich übrigens in Grenzen. Zwar sind zu den bestehenden Songs noch sieben neue Lieder komponiert worden, doch die sind schnell vergänglich und prägen sich nicht ein. Auch die aus dem Zeichentrickfilm bekannten Songs wurden teilweise neu bearbeitet, was gerade die Kinder im Saal, die viele texte auch mitsingen konnten oder wollten, etwas störte.

Doch was bleibt nun als Fazit zu dieser „Weltpremiere“? Für die genannte Preisspanne bei den Eintrittskarten muss man eigentlich ein Musical erwarten, dass auch Erwachsene gut unterhält. Doch die Begeisterung in dieser Zuschauergruppe hielt sich doch zumindest bei der Medienpremiere deutlich in Grenzen, weil man hier einfach mehr erwartet als nur tolle Kostüme, ein starkes Bühnenbild und rasante Choreografien. Ein Regisseur, dem so gar nichts einfällt, um auch mal für eine kreative Überraschung zu sorgen, sondern der eher wie vor 50 Jahren inszeniert, der dürfte es beim deutschen Publikum nachvollziehbarerweise sehr schwer haben, was auch viele Pausen- und After-Show-Gespräche belegten. Erfreulicherweise waren auch viele Kinder und Jugendliche im Saal, so dass man sich auch deren Meinung anhören konnte. Während die Teenager, von denen viele offenbar aus ihrer Kindheit noch die Filmversion kannten, recht neutral blieben, waren die Kinder unter zehn Jahren deutlich begeisterter. Von daher kann man sicher attestieren, dass „Hercules“ absolut kindergeeignet ist, man es sich aber gut überlegen sollte, ob man sich als Familie mit zwei Kindern diese Show gerade finanziell antun sollte. Aus Sicht des Autors werden Kinder beispielsweise im zwei Kilometer entfernten Schmidt Theater bei deren Eigenproduktionen mindestens genau so gut unterhalten, bei weniger als halb so teuren Eintrittspreisen. Man darf auf alle Fälle gespannt sein, wie lange sich „Hercules“ unter diesen Voraussetzungen in Hamburg halten kann.




Miami Nights in Tecklenburg

Ein Tummelplatz der Charismatiker

Miami Nights überzeugt auf der Freilichtbühne mit großen Choreografien und starkem Ensemble

Text: Jörg Beese. Fotos: Freilichtspiele Tecklenburg/ Drewianka

Nachdem das Musical Miami Nights bereits im Jahr 2007 bei den Freilichtspielen Tecklenburg aufgeführt wurde, feierte es nun am 21. Juli  sein Comeback auf der alten Burgruine. Das Musical, das 2002 im Düsseldorfer Capitol-Theater unter der Regie von Alex Balga seine Welturaufführung feierte, handelt von der Liebesgeschichte des amerikanischen Turniertänzers Jimmy Miller mit der kubanischen Laura Gomez. Ein witziges Tanzspektakel, das trotz einer rund 20-minütigen Regenpause bei der Premiere die knapp 2.000 Zuschauer begeisterte.


Um die Jahrtausendwende herum entstanden diverse sogenannte Compilation-Musicals, Inszenierungen also, die auf bekannten Rock- oder Popsongs der 80er Jahre basierten und zu denen dann eine meist dynamische oder komödiantische Handlung geschrieben wurde. Neben Miami Nights waren das beispielsweise auf der internationalen Schiene Shows wie „What a feeling“, „Oh, what a Night“ oder als eines der populärsten Stücke „We will rock you“. Bei Miami Nights wurde der Fokus besonders auf die tänzerischen Darbietungen gelegt, die die Ohrwürmer von Whitney Houston, Irene Cara, Cindi Lauper, Madonna oder George Michael, um nur einige zu nennen,  in Szene setzen. Und somit ist der Choreograf bei Miami Nights mindestens genauso wichtig wie der Regisseur. Till Nau hat hier einen guten Job in Tecklenburg abgeliefert,  seine lateinamerikanischen Choreografien für die TänzerInnen und Solisten sind genauso sehenswert wie die klassischen Turniertanzeinlagen. In diesem Zusammenhang muss vorab auch das Tanzensemble der Freilichtspiele ausdrücklich gelobt werden, das trotz widrigster Witterungsbedingungen einen  grandiosen und hoch motivierten  Job ablieferte.  

Werner Bauer hat aufbauend auf diesem tänzerischen Fundament eine kurzweilige, mit viel Humor und Ideen garnierte Inszenierung auf die Beine gestellt, die in keiner Phase langatmig wirkt und die Zuschauer in seinem Bann zieht.  Exemplarisch soll hier nur der Auflauf der Comicfiguren bei Bonnie Tylers „Holding out for a hero“ genannt werden, bei dem tänzerische Klasse und inszenarisch-komödiantischer Einfallsreichtum Hand in Hand funktionieren. Auch die kleinen Anspielungen treffen immer wieder den Humor beim Publikum, so darf beispielsweise auch eine Anspielung auf deutschlands "Schlagerqueen" (und ausgebildete Musicaldarstellerin!) Helene Fischer nicht fehlen. Für die beiden federführenden Kreativköpfe kann hier bedenkenlos die Note Eins vergeben werden. Karin Alberti (Kostüme) und Jens Janke (Bühne) ergänzen diese Handlungsvorgaben mit ihren optischen Reizen optimal, gerade beim Tanzen kommt es auf Augenschmaus und Farbenvielfalt an. Besonders das Lichtdesign sollte an dieser Stelle Erwähnung finden, das Jankes Bühnenbild und die sehr farbenfrohen und schillernden Kostüme gerade nach Einbruch der Dunkelheit wunderbar ins rechte Licht rückt.

Musikalisch hat Giorgio Radoja sein 12-köpfiges Orchester gut im Griff. Fast alle Künstler werden optimal begleitet, lediglich bei einer Rolle übertönt die Musik die Stimme des Künstlers regelmäßig etwas, doch das hat wohl einen besonderen Grund.

Denn ausgerechnet bei der Hauptrolle kann Miami Nights leider nicht überzeugen. Jimmy Miller Darsteller Andrew Chadwick teilt das Schicksal vieler vergleichbarer Rollen (beispielsweise Johnny Castle in Dirty Dancing), er kann hervorragend tanzen, aber wie so viele Tänzer ist er nicht unbedingt in den Fächern Gesang und vor allem Schauspiel beheimatet. Stimmlich singt er solide, solange er nicht in die höheren, kraftvollen Töne gehen muss. Um seine stimmlichen Defizite zu übertünchen, wird die Musik bei seinen Auftritten gegenüber den anderen Solisten zusätzlich  verstärkt, ein nicht unüblicher Trick, um solche Schwächen zu verstecken. Was man allerdings auch technisch nicht überspielen kann, sind seine schauspielerischen Defizite. Er schafft es nur selten, seine angespannte Konzentration auf eine korrekte deutsche Aussprache zu überspielen, worunter seine Ausstrahlung leidet.  Und er hat ein dabei ein Problem, für das er selbst am wenigsten kann. Denn er hat in Tecklenburg derart charismatische MitspielerInnen auf der Bühne, dass dieser qualitative Unterschied einfach auffallen muss.

Und da beginnen wir am besten mit dem künstlerischen Star des Abends. Wir haben Katia Bischoff in den letzten zwei Jahren bereits mehrfach für ihre herausragenden Leistungen gelobt, doch nach ihren gesanglichen  und schauspielerischen Höchstleistungen in Inszenierungen wie z.B. „3 Musketiere“, „Besuch der alten Dame“, „Sister Act“ oder aktuell „Mozart“ lässt sie es nun auch tänzerisch so richtig krachen.  Was sich bereits bei „Irgendwo wird immer getanzt“ bei der Tecklenburger Parallelinszenierung andeutete, findet nun seine lateinamerikanische Fortsetzung. Diese Frau hat offenbar das kubanische Lebensgefühl im Blut, jedenfalls ist es eine wahre Wonne, ihren zahlreichen Tanzeinlagen zuzuschauen. Till Nau bindet sie perfekt auch in große Choreos mit dem Tanzensemble  ein und schafft der Künstlerin somit eine perfekte Bühne. Auch wenn es in Deutschland inzwischen viele MusicaldarstellerInnen gibt, diese extreme Qualität, in allen drei Teilbereichen herausragende Qualität abzuliefern, haben nur ganz wenige Frauen und bei den Männern fällt dem Autoren zumindest spontan überhaupt kein Darsteller ein.

Wo wir gerade beim Charisma sind: In Miami Nights gibt es eine Rolle, die dieses Prädikat mehr als verdient. Denn der alternde Tanzstar Roy Fire ist zweifellos eine Belohnung für jeden Künstler, der in diese Rolle schlüpfen darf. Und Christian Schöne nimmt diese Auszeichnung dankbar an. Abgesehen von der Tatsache, dass Schöne optisch eigentlich viel zu jung wirkt, kann man seiner Darbietung nicht den kleinsten Makel ankreiden. Sein „Hip to be square“ von Huey Lewis & The News ist eine Show, sein Tanzkurs zu "Mambo No. 5" mit dem Publikum klasse und seine Körpersprache genau wie seine Mimik und sein Gesang fehlerfrei. Was Chadwick an Charisma fehlt, hat Schöne im Überfluss und das tut der Rolle und der gesamten Inszenierung sehr gut. Auch wenn er optisch nicht ganz an die Roy Fire-Legende Paul Kribbe, der diese Rolle 2002 in Düsseldorf weltmeisterlich kreierte, heran kommt, so ist er ihm zumindest sehr nahe.

Einen weiteren Reizpunkt in der Handlung setzt Jessica Diamond. Die arrogante und geldgeile  Berufstänzerin ist ein gefundenes Fressen für alle, die sich gerne an extravaganten Persönlichkeiten abarbeiten wollen. Rachel Marshall agiert in dieser Rolle durchaus gewollt unsympathisch, reizte aber bei der Premiere noch nicht alle Facetten aus. Gerade schauspielerisch und komödiantisch könnte sie noch mehr aus diesem „verdorbenen“ Charakter herausholen, gesanglich wie tänzerisch kann sie aber voll überzeugen.

Die Liste der „Charaktere“ können wir in der Bestnotengalerie nahtlos erweitern. Brigitte  Oelke brilliert als  Jimmys Mutter Betty mit ihrem Humor und ihrer Körpersprache, Martin Pasching verleiht Mr. Bob seinem eigenen Charme und Janina Niehus und Jürgen Brehm glänzen als Sarah und Andy.

Unbedingt zu erwähnen sind auch Julia Waldmayer und Laura Araiza Inasaridse alias Mercedes und Gina. Ihr perfektes Terzett mit Laura bei „I wanna dance with somebody“ gehört zu den absoluten Höhepunkten des Abends und ist ein Genuss für alle Liebhaber melodiöser Stimmen.

Nicht vergessen wollen wir den Chor der Freilichtbühne, der die Künstler wieder kraftvoll unterstützt. Insgesamt ein wunderbarer Abend, bei dem auch die erschwerten Bedingungen der pitschnassen Bühne dem Elan des Ensembles nichts anhaben konnten. Für diese Show lohnt sich definitiv ein Besuch der Freilichtbühne im Jahr 2023.




Mozart in Tecklenburg

Von wegen Weihrauchduft und Puderlocken

Ulrich Wiggers macht aus „Mozart“ ein zeitloses musikalisches Spektakel mit großen Bildern

Text: Jörg Beese. Fotos: Holger Bulk/ Dr. Stephan Drewianka


Ein bisschen überrascht war man schon, als im vergangenen Jahr bekannt wurde, dass die Freilichtspiele Tecklenburg nach 2008 zum zweiten mal das Kunze/Levay-Musical „Mozart“ auf der  Open-Air Bühne der alten Burgruine präsentieren wollten. In einer Neuinszenierung unter Regisseur Ulrich Wiggers und in den bewährten Händen des Musikalischen Leiters Klaus Wilhelm präsentiert sich nun seit dem 16. Juni eine sehenswerte Show mit vielen Höhepunkten, einem spektakulären Ensemble und vielen modernen Ideen. Auch, wenn Wiggers die buchbedingten Schwächen des Stücks nicht gänzlich übertünchen kann, so gelingt es ihm doch, nachhaltige Akzente zu setzen.

„Mozart“ muss seit jeher mit einem Kontrast klarkommen. Musikalisch ist das Stück ein Meisterwerk mit sehr großer Ohrwurmqualität, da dürfte es keine zwei Meinungen bei den Fans des guten Musiktheaters geben. Aber das Script ist seit jeher umstritten und polarisiert zweifellos, so dass in der Vergangenheit die Meinungen der Besucher sehr oft genau gegenteilig dividierten. Die einen lieben „Mozart“, die anderen hassen es. Gleichgültigkeit war eher die Ausnahme. Und das liegt an der schwierigen Gestaltung der Hauptperson einer- und seiner Mitstreiter andererseits. Der Splitt des Charakters Wolfgang Amadeus Mozart in den Menschen Ludwig Mozart auf der einen und das Genie Amadé auf der anderen Seite fordert für sich schon mentale Stärke beim Beobachter. Doch dann sind im Script manchmal nicht nachvollziehbare Sprünge enthalten oder aber es fehlen einfach notwendige Handlungsstränge. Das verwirrt und führt notgedrungen zu Unzufriedenheit. Die Musicalfans hatten oft ihren eigenen Weg, mit solchen Probleme umzugehen, sie konzentrierten sich im Falle „Mozart“ vor allem auf die Musik und ließen alles andere über sich ergehen. Dies könnte sich nun vielleicht etwas ändern.

Derjenige, der diese inhaltliche Berg- und Talfahrt umsetzen muss, ist der Regisseur, von manchen bezogen auf dieses  spezielle Musical auch etwas despektierlich  „armes Schwein“ genannt. Dabei ist es eigentlich spannend zu erleben, wie ein kreativer Kopf mit diesen schwierigen Scriptvorlagen umgeht. Ulrich Wiggers hat dieses Problem auf seine ihm eigene Art gelöst, indem er seine DarstellerInnen ihre musikalischen Stärken ausspielen ließ, seinen künstlerischen Schwerpunkt  auf die schauspielerische Auslegung der Charaktere legt und gleichzeitig mit großen Bildern auf der riesigen Tecklenburger Bühne arbeitet.  Die Idee zum  Bühnenbild hatte Wiggers auch selbst und ließ si9e dementsprechend von Jens Janke umsetzen. Und so dominiert im Hintergrund ein überdimensionaler Notenblattauszug aus Mozarts „Requiem“ die Szenerie, während auf der Zentralbühne eine in vier Teile aufklappbare Treppe, dargestellt als Klaviatur, als Fundament für die  meisten Szenen dient.

Neben den optischen Effekten überzeichnet der Regisseur dabei auch diverse Charaktere. Und das wirkt, denn Wiggers schafft es durch seine Personenregie tatsächlich, dass man plötzlich reale Hassgefühle beispielsweise gegenüber Cäcilia Weber oder Hieronymus Colloredo entwickelt, so arrogant oder nervig, wie sie im Musical auftreten. Das liegt natürlich auch an der Qualität ihrer Darsteller, aber den Mut einer solchen, teilweise extremen Rollenauslegung muss man als Regisseur erstmal haben. Natürlich birgt das auch das Risiko, nicht alle Zuschauer mitnehmen zu können, so kamen auch in Tecklenburg vereinzelte Besucher nach der Pause nicht zurück auf ihre Plätze, der Mehrheit schien es aber zu gefallen, was sich beim Schlussapplaus zeigte. Über die vielen Ideen wollen wir hier nicht zu sehr ins Detail gehen, nur eines sollte erwähnt werden: Die Schlussszene wirft ein gewaltiges, monumentales Bild auf die Bühne, auf der plötzlich jeder Zentimeter besetzt zu sein scheint. Und auf die Idee, mit Elvis, Amy Winehouse, Prince, Freddy Mercury, Marylin Monroe, Michael Jackson sowie Roger Cicero sieben ebenfalls jung verstorbene Genies auf den musikalischen Olymp zu hieven, die den gerade den Bühnentod gestorbenen Mozart in Empfang nehmen, muss man erstmal kommen (wobei Falco beim Thema „Genie und Wahnsinn“ als „Ösi“ natürlich noch perfekter ins Thema gepasst hätte).

Nach der Regie der zweite Höhepunkt der Show ist die Musik. Klaus Wilhelm dirigiert sein Orchester wunderbar durch die mit Ohrwürmern gespickte Partitur. Evergreens wie „Gold von den Sternen“, „Wie wird man seinen Schatten los“ oder „Irgendwo wird immer getanzt“ sind optimal abgestimmt, übertönen die Künstler in keiner Phase und ermöglichen so einen absoluten musikalischen Hörgenuss.

Bei den Choreografien steigert sich das Stück im verlauf immer mehr. Scheinen im ersten Akt einige Tanzszenen noch eher brav einstudiert worden zu sein, so wird Francesc Abós im weiteren Verlauf immer mutiger und lässt sogar den bauchstrotzenden Theaterdirektor Emanuel Schikaneder über die Bühne wirbeln. Großen Respekt auch dafür, dass Abós es wagt, Katia Bischoff als Mozarts Ehefrau Constanze nicht, wie bisher meist üblich, ihren Ohrwurm „irgendwo wird immer getanzt“ nicht nur singen zu lassen, sondern diese Nummer komplett mit Ensemble tänzerisch durchzuchoreografieren.

Passend ergänzt werden diese Bilder von Karin Albertis Kostümen, die durchaus auch Rokoko-Charakter entfalten, aber eben auch die Zeitlosigkeit dieser Inszenierung unterstreichen.  Die Farbe Schwarz dominiert viele Szenen und auch die Hauptfiguren wie Mozart oder Colloredo könnten in ihren Outfits auch heutzutage  durch Berlin oder die Kölner Innenstadt wandeln , ok, bei letzterem wohl nur zum Karneval.

Bei der Bewertung des Ensembles fangen wir ausnahmsweise mal nicht mit dem Hauptdarsteller an, sondern mit dem, gemessen an den Zuschauerreaktionen, Star des Abends. Und das ist ohne Zweifel Wietske van Tongeren als Baronin Waldstätten. Obwohl diese Rolle deutlich weniger Bühnenpräsenz besitzt als beispielsweise Mozart, dessen Vater oder Colloredo, ist dank der herausragenden Leistung ihrer Darstellerin die Baronin der absolute Publikumsliebling auf der Burgruine. Mit der wohl besten Interpretation von „Gold von den Sternen“, die jemals auf einer deutschen Bühne zu sehen und hören war, sorgte van Tongeren bei der Premiere für einen Showstopper mit stehenden Ovationen vieler Zuschauer. Für diese Leistung kann, nein MUSS man die Eins Plus mit Sternchen vergeben.

Das genaue Gegenteil an Publikumsreaktion erhielt, und das ist ebenfalls als sehr großes Kompliment zu verstehen, Alexander di Capri. In seinem Applaus mischten sich unüberhörbare Buhrufe. Kein Wunder, denn di Capri, der nicht nur über eine fesselnde Stimme verfügt, bietet  schauspielerisch alles und ist in dieser Rolle einfach der, pardon, personifizierte „Kotzbrocken“, den man am liebsten von der Burgzinne stoßen möchte. Chapeau für eine solche Leistung, die durch seine gesangliche Leistung bei „Wie kann es möglich sein?“ noch abgerundet wird.

Fast schon gewöhnt hat man sich an die guten Leistungen von Katia Bischoff. Als Constanze ist sie schauspielerisch wie gesanglich erneut eine Bank, doch  im Tecklenburg des Jahres 2023 kommt eine weitere Note hinzu, denn ihre tänzerische Leistung bei „Irgendwo wird immer getanzt ist sehr sehenswert und trotz der körperlichen Anstrengung ist ihre gesangliche Interpretation dabei perfekt.

Während Christian Schöne als Graf Arco und Valerie Luksch alias Nannerl ihre Rollen souverän, aber buchbedingt ohne große Höhepunkte absolvieren, sind Benjamin Eberling als Schikaneder und Brigitte Oelke als Mutter Weber absolute Hingucker. Eberling ist dabei der Sympathieträger, der gute Laune verbreitet und auch tänzerisch zu punkten versteht. Oelke schafft es, der Cäcilia eine schauspielerisch ergänzende Note zu verleihen. Normalerweise wird diese Rolle, vergleichbar mit den Thenardiers in Les Miserables, eher komödiantisch angelegt. Doch die erfahrene Oelke schafft es, dass man sich, ähnlich wie de Capri, in einigen Szene einfach hassen muss, so schleimig hintertrieben agiert sie, wenn es um ihren finanziellen Vorteil geht. Schauspielerisch bärenstark.

Da bleiben dann nur noch die beiden Mozart-Männer. Thomas Borchert agiert zum wiederholten Mal als Vater Leopold Mozart und ist gesanglich wie immer eine Bank, seine Ohrwürmer „Niemand liebt dich so wie ich“ und „Schließ dein Herz in Eisen ein“ präsentiert er kraftvoll, melodiös und absolut emotional. Auch schauspielerisch kann er in seiner inneren Zerrissenheit zwischen familiärer Fürsorge und beruflichem Erfolg überzeugen, einen solchen Vater wünscht man sich jedenfalls nicht unbedingt für sich selbst.

Womit wir beim Hauptprotagonisten der Show wären. Jan-Philipp Rekeszus verfügt als Mozart Junior über eine wunderbar klare, kraftvolle und mit viel Gefühl ausgestattete Stimme. Er versucht alles, um die innere Zerrissenheit des jungen Musikgenies umzusetzen, mal charmant, mal kindlich-naiv, dann wieder planlos oder in Partylaune. Es ist nicht einfach, diese Rolle umzusetzen, da gerade Wolfgang Mozarts Lebensweg (sein Alter Ego Amadé lassen wir jetzt mal unerwähnt) im Script doch sehr sprunghaft dargestellt wird. Rekeszus macht das schauspielerisch ordentlich, aber er hat ein Problem: Da praktisch alle seine BühnenpartnerInnen schauspielerische Extraklasse darstellen und man sie als Zuschauer mit ihrer Rolle absolut identifiziert, merkt man bei Rekeszus eben doch, dass ihm darstellerisch noch ein wenig fehlt. Er spielt die Rolle gut, aber man merkt eben, dass er sie nur spielt. Der Tecklenburger Mozart ist noch jung, wird seine Entwicklung sicherlich machen. In dem Rahmen wird er dann sicher auch lernen, seine Kräfte beim Gesang besser zu dosieren. Denn nahezu alle seine Songs interpretierte er fehlerfrei und richtig gut, nur beim Highlight, dem finalen „Wir wird man seinen Schatten los“ im ersten Akt, versemmelte er die letzten 30 Sekunden des Songs, weil er sich kräftemäßig offensichtlich zuvor verausgabt hatte und so den gerade zum Schluss hin explodierenden Spannungsbogen des Songs nicht halten konnte. Dass er es kann, bewies er nach der Pause bei der Reprise, die deutlich kürzer ist und somit kräftesparender. Hier traf er dann auch den hohen Ton am Ende perfekt.

Natürlich bietet Tecklenburg auch 2023 wieder sein riesiges Ensemble auf, dem man insgesamt ein dickes Lob aussprechen muss, gerade auch den Tänzerinnen und Tänzern. Einziger Wermutstropfen: Der Auftritt des Kaisers von Österreich im zweiten Akt sorgte für viele verwirrte Gesichter im Publikum. Hier wurde offenbar ein Statist mit der Besetzung beauftragt und der wirkte so steif und merkwürdig, dass man diese Szene getrost unter „schnell vergessen“ abhaken sollte. Nachträglich war allerdings zu erfahren, dass diese Besetzung kurzfristig und ohne große Probenzeit vonstatten gehen musste, so dass sich diese Szene inzwischen normalisiert haben dürfte.

Insgesamt ist „Mozart“ wieder eine sehenswerte Inszenierung, sofern man mit der literarischen Ausrichtung des Themas klar kommt. Die Mischung aus ideenreicher Inszenierung, musikalischer Umsetzung, elanvollen Choreografien, optischer Opulenz und darstellerischer Qualität ist hoch. Und wenn man inhaltliche Probleme hat, einfach auf die Musik konzentrieren.



Catch Me If You Can in Linz

Als Spiderman vom Himmel fiel

Landestheater Linz setzt ein handwerkliches Ausrufezeichen dank tollem Kreativteam und grandiosem Ensemble!

Text: Jörg Beese, Fotos:Barbara Pálffy

Es ist nicht immer leicht, aus einem Filmerfolg auch ein Musical zu machen.  Wie schnell das schief gehen kann, hat beispielsweise Dirty Dancing bewiesen, dessen Eins-zu-Eins-Bühnenadaption ungefähr den Unterhaltungswert eines Tagesschau-Wetterberichts besitzt. Im Jahr 2011 wurde in Seattle in den USA das Musical „Catch Me If You Can“ uraufgeführt, basierend auf dem gleichnamigen Film aus dem Jahr 2002 mit Leonardi DiCaprio sowie den Memoiren von Frank W. Abagnale. Die Musik schrieben damals Marc Shaiman und Scott Wittman, das Buch übernahm Terrence McNally.  Die deutschsprachige Uraufführung fand 2013 in Wien statt, in Deutschland wurde es 2015 zum ersten mal in der Staatsoperette Dresden gespielt. Nun feierte „Catch Me If You Can“ seine vom Publikum sehr umjubelte Premiere im mittlerweile in Sachen Musical sehr renommierten Landestheater Linz in Oberösterreich. Mit Ulrich Wiggers holte man sich dabei einen Regisseur ins Boot, der hierzulande in  den letzten Jahren wohl das Maß aller Dinge darstellt und der das Publikum auch im monströsen Musiktheater in der Donaustadt nicht enttäuscht.

Vorausschicken sollte man bei diesem Musical die größte Problematik. Während es seinerzeit Shaiman und Wittman gelungen ist, ebenso schwungvolle und melodiöse Musik zu komponieren,  weist das Buch von McNally durchaus Schwächen aus. Diese betreffen in Teilen den Einstieg, aber vor allem das Ende der Show. Während in der Filmvariante die dramaturgische Spanne am Ende zunächst nochmal angezogen wird, um dann mit entspanntem Humor auszuklingen, hat man bei der Bühnenfassung den Eindruck, der Autor hätte am Ende keine rechte Lust mehr am Schreiben gehabt und auf die Schelle etwas auf´s Papier gekritzelt.  Das ist schade, denn nach einem insgesamt gelungenen Handlungsablauf sollten auch die letzten zehn Minuten nochmal ein Feuerwerk abliefern.

Nun, mit dieser Vorlast müssen die Kreativköpfe überall dort leben, wo das Stück inszeniert wird, nun also in Linz. Und dass das Gesamtpaket im Landestheater stimmt,  zeigten die Publikumsreaktionen nach der Premiere eindrücklich. Das Zusammenspiel aus Regie, Choreografie, Bühnenbild, Kostümen und Musik funktioniert hervorragend und abgesehen von einigen kleinen Mikrofonproblemen am Anfang ging der Abend absolut reibungslos und sehr unterhaltsam vonstatten.

Beginnen wir mit dem Bühnenbild. Leif-Erik Heine hat eine sehr nachhaltige Variante gewählt. Vor der riesigen Leinwand im Hintergrund wurde auf der vielfach eingesetzten Drehbühne eine überdimensionale, gebogene Treppe errichtet, die durch die zahlreichen Drehvorgänge in verschiedenster Art genutzt werden kann, als zusätzliche Empore, Galerie oder eben als Las Vegas Showbühne. Links und Rechts wurde dazu zusätzlich Emporen errichtet, auf denen diverse Nebenhandlungsplätze errichtet wurden, wie z.B. die FBI-Büros. Diese flexible Szenerie schafft reibungslose Übergänge und bietet dabei genügend Platz für die zahlreichen Choreografien, die Jonathan Huor extrem schwungvoll in Szene setzt und dabei auf das komplette Ensemble inklusive Hauptdarsteller zurückgreift. Die Show bekommt dadurch phasenweise einen starken  Revuecharakter, der aber aufgrund der sehr guten tänzerischen Leistungen des 22-köpfigen Ensembles den Unterhaltungswert dieser Inszenierung noch weiter anhebt.

Die Kostüme von Franz Blumauer ergänzen dieses Szenario wunderbar. Blitzschnelle Wechsel der Outfits, gleich zu Beginn wirkungsvoll auf der Bühne beispielhaft dargeboten am Hauptdarsteller Frank W. Abagnale jr., sorgen für ein farbenfrohes Bild, das kaum Wünsche offen lässt. Musikalisch begleitet wird das Ganze sehr feinfühlig und nie die DarstellerInnen überstimmend  vom Linzer Orchester unter der Leitung von Juheon Han.

Bei der Regie hat Ulrich Wiggers sich zum einen stark auf die Personenregie konzentriert und dadurch in manchen Szenen völlig unerwartete Handlungs-Highlights von eigentlich eher unbedeutenden Rollen geschaffen, worauf wir später noch eingehen werden, zum anderen hat er aber auch seiner „kindlichen“ Kreativader freien Lauf gelassen. Wer beispielsweise um Abagnale Juniors Vorliebe für Comicfiguren weiß, der wird an dieser Show zweifellos seinen ganz persönlichen Aha-Moment erleben, darin gipfelnd, dass plötzlich ein scheinbar echter Spiderman vom Theaterdach über Kopf herabgelassen wird und frech ins Publikum grinst. Das es sich dabei um eine Puppe handelte, haben wohl die wenigsten im Saal bemerkt, den Autor eingeschlossen. Insgesamt überzeugt die Regie durch extrem kurzweilige Handlungsabläufe, Straffung oder Streichung an den richtigen Stellen und perfekte Betonung der darstellerischen Stärken aller Ensemblemitglieder.

Womit wir bei den KünstlerInnen wären. Und da wollen wir einmal nicht mit den Hauptrollen beginnen, sondern zunächst ein dickes Lob an die Swings und TänzerInnen verteilen, die einen wunderbaren und ausdrucksstarken Job machen. Es macht Spaß, ihnen bei den zahllosen Tanzeinlagen zuzuschauen und sie vermitteln nahtlos den Eindruck, dass ihnen dieser Job tatsächlich richtig Spaß macht, der Funke vom Ensemble zum Publikum springt jedenfalls sofort über.

Dies gilt auch für die Hauptprotagonisten. Allen voran Gernot Romic alias Abagnale jr. Schauspielerisch stark hat dieser Romic eine herrliche Stimme, die absolut klar, kraftvoll und zudem emotional ihre Botschaften vermittelt. Gleich zu Beginn nimmt er gemeinsam mit dem Ensemble bei „Live und ganz in Farbe“ das Publikum für sich ein, dies ist auch der Haupt-Ohrwurm des Musicals, der sich mehrfach durch die Inszenierung zieht.

Romic interagiert perfekt mit seinem Kontrahenten Karsten Kenzel alias Carl Hanratty. Der scheint in Linz ohnehin der Publikumsliebling zu sein, kein Wunder, wenn man sieht, wie  der Schelm in ihm jederzeit aus den Augen sticht. Kenzel ist schauspielerisch genial, seine Körpersprache, aber vor allem seine Mimik passen wie die Faust auf´s Auge zu seiner Rolle. Stimmlich und gesangstechnisch ist er sicher kein Pavarotti, aber sehr solide und gemessen an Pierce Brosnans “Gesang“ im Mamma Mia-Kinofilm sogar ein Gott.

Während Daniela Dett als Franks Mutter Paula eine ordentliche, aber insgesamt unauffällige  Französin abgibt, die sich ihrer jugendlichen Illusionen beraubt sieht, liefert Nicolas Tenerani einen ganz starken Vater Frank Abagnale Senior. Gerade schauspielerisch hat er seine Stärken und besticht durch fühlbare Emotionen.  In der Szene mit Hanratty an der Bar kauft er Karsten Kenzel mit seinem Spiel sogar den Schneid ab, ihr Duett „Kleiner Bub sei ein Mann“ hat hohen Unterhaltungswert.

Eine faustdicke Überraschung für alle, die sie bislang nicht kannten, ist Celina dos Santos als Frank´s Verlobte Brenda Strong. Sie gehört zum Hausensemble und besticht mit einer grandiosen Stimme, kombiniert mit einer fehlerfreien schauspielerischen Leistung. Ihr Duett „Sieben Wunder“ mit Frank ist bereits stark, aber ihr Solo „Flieg, flieg ins Glück“ toppt das nochmal und generiert ihr verdientermaßen lautstarke Ovationen des Publikums.

Viele der Künstler in dieser Show spielen mehrere Rollen, die wir hier nicht alle aufzählen können. Aber unbedingt hervorheben wollen wir noch Sanne Mieloo, die als Brendas Mutter Carol mit ihrer spektakulären Körpersprache und dem Spiel ihrer Stimme den Saal zu Lachsalven animiert und nachhaltig in Erinnerung bleibt. Sie ist nochmal ein besonderes Highlight in einem insgesamt sehr homogenen Ensemble, in dem niemand abfällt und das durch hohes Können und noch größere Spielfreude besticht.

Insgesamt lohnt die Linzer Fassung von „Catch Me If You Can“ zweifellos einen Besuch im Landestheater Linz. Mit viel Fachverstand wurde hier eine Show umgesetzt, die Spaß macht und ein Augen- wie auch Ohrenschmaus ist. Auch wenn die Buchvorlage nicht preisverdächtig ist, die Linzer Umsetzung ist es auf alle Fälle. Drei Stunden, die wie im Fluge vergehen und keine  Schwächen offenbaren. Viel Spaß in der Donaustadt. 



Moulin Rouge in Köln

Fünf Sterne für die Rote Mühle!

Grandiose Inszenierung im Musicaldome begeistert Publikum und Kritiker!

Text: Jörg Beese, Fotos:Johan Persson




Es dürfte wohl die letzte große Musicalpremiere im Deutschland des Krisenjahres 2022 gewesen sein, aber was für eine!!! Vor ihrem für 2023 angekündigten Rückzug aus der Geschäftsführung bei Mehr-BB-Entertainment  haben es Maik Klokow und Ralf Kokemüller noch einmal so richtig krachen lassen. Nachdem die Musical-Adaption des Baz Luhrmann Films „Moulin Rouge“ bereits unzählige Preise in den USA und England abgeräumt hat, hat es die Deutsche Uraufführung nun in den Kölner Musicaldome geschafft, der sich von „Blauen Müllsack“ zur „Roten Lasterhöhle“ gewandelt hat. Mit einer der optisch, musikalisch, choreografisch und darstellerisch fulminantesten Shows, die Deutschland in den letzten 20 Jahren erlebt hat, könnte dieses Musical es tatsächlich schaffen, der aktuell schwierigen Lage auf dem Ticketmarkt zu trotzen, denn außer ein paar kleinen Schwächen beim Script, die angesichts der unzähligen Highlights aber eigentlich nicht der Rede wert sind, kann diese Produktion voll überzeugen. Definitiv eine 5-Sterne-Produktion, die man als Anhänger des unterhaltsamen Musiktheaters einfach gesehen haben muss!

Schon beim Betreten des des Saals kommt man als Besucher wortwörtlich ins Stocken. Denn kaum erscheint diese rote Pracht vor einem, da werden die Handys gezückt und erstmal Fotos gemacht. Der Saal erstrahlt unter zahlreichen Kronleuchtern, Lichtern und von der Decke und den Wänden herabhängenden, glitzernden Stoffbahnen. Das Bühnenbild zieht sich seitlich in den Saal hinein, rechts der blaue Elefant, der sich später auf der Mittelbühne als Garderobe der Hauptdarstellerin herausstellt, links die „Rote Mühle“. Vor der zentralen Bühne wurden die ersten Plätze an der Bühne, umrahmt von Laufstegen für die KünstlerInnen und TänzerInnen, ins Geschehen mit eingebunden, stilgerecht eben wie in einem vergleichbaren Nachtclub. Um es vorwegzunehmen, das Bühnenbild von Derek McLane ist in Kombination mit dem wunderbaren Lichtdesign von Justin Townsend   und den herrlichen Kostümen von Catherine Zuber fast schon alleine das Eintrittsgeld wert. Wer mit dieser Opulenz noch unzufrieden ist, dem ist nicht mehr zu helfen.

Szenarisch erwartet die Besucher eine kurzweilige, phasenweise rasante Inszenierung, die aber auch mit viel Wortwitz und auch musikalischen Pointen garniert ist. Im Gegensatz zu einigen  anderen Premieren dieses Jahres hat man auch im eigentlich eher tragischen zweiten Teil genügend Zeit zum Durchatmen und ein Lächeln wird immer wieder auf die Gesichter gezaubert. Angst, das Theater mit Tränen in den Augen verlassen zu müssen, muss sich jedenfalls niemand machen, vielleicht abgesehen von Freudentränen.

Musikalisch hat man für die Musicalvariante nicht nur die Filmsongs übernommen, sondern diese auch noch durch wunderbar angepasst weitere Ohrwürmer ergänzt. Es würde zu weit führen, die Vielzahl der Ohrwürmer hier aufzulisten, von „Lady Marmalade“ über „Firework“ und „Your Song“ bis zu „Roxanne“ ist alles dabei, was Rang und Namen hat. Und dank der sehr speziellen Regie und einer gut gelungenen Übersetzung stört es auch nicht, dass einige Songs wechselweise auf deutsch und Englisch gesungen werden. Durch die Originalpassagen ist der Wiedererkennungswert hoch, gleichzeitig ist aber durch die deutschen Textpassagen der Handlungsfluss greifbarer. Orchestriert wird das Ganze von Heribert Feckler und seiner rund zehnköpfigen Liveband, die zur Medienpremiere gerade bei den „Basshämmern“ noch nicht  optimal ausgesteuert war, was sich aber erfahrungsgemäß nach einigen Shows einspielen sollte.

Eigentlich eine ganze Extraseite wären die rasanten und temperamentvollen Choreografien von Sonya Tayeh wert, kombiniert mit einem Sonderlob für die TänzerInnen und das restliche Ensemble. Lasziv, verführerisch, elegant, stilecht, vorgetragen mit blitzsauberen Linien möchte man noch viel mehr von dieser Begeisterung erleben, dabei strotzt Moulin Rouge auch so schon von weit mehr Tanzeinlagen als andere Musicalproduktionen.Kein Wunder, dass die Choreografien auch bei den Tony Awards abgeräumt haben.

Inhaltlich hat man sich bei der Musicalversion gegenüber dem Film für kleine Unterschiede entschieden, gerade was das Finale angeht. Dieses wirkt im ersten Moment vielleicht etwas pathetisch, verzichtet auf den Knalleffekt wie im Film, stört aber nach den vielen Höhepunkten vorher nicht wirklich, zumal der anschließende Schlussvorhang wieder das Blut in Wallung geraten lässt. Abgesehen von Christian ist die Personenregie sehr ausgewogen und ordentlich inszeniert, wenngleich man auf die ein oder andere Gestik auch hätte verzichten können. Andererseits gehört Pathos natürlich auch in einen Nachtclub, also eine reine Geschmacksfrage.

Die Vorlagen wurden geschaffen, nun musste das Ensemble sie also nur noch umsetzen. Und wie es das getan hat, Respekt! Alles voran Sophie Berner als Satine. Berner gehört qualitativ ohnehin schon zu den Top Fünf unter den weiblichen deutschen Musicaldarstellerinnen, aber diese Rolle dürfte sie aktuell wohl an die Spitze befördern. Darstellerisch und tänzerisch stark, gesanglich absolute Weltklasse fasziniert diese Frau mit ihrer wechselnden Mimik, ihren sekundenschnell variierenden Stimmungen und einer ausdrucksstarken Körpersprache. Eine wunderbare Leistung, die für die Zukunft noch viel hoffen lässt.

An ihrer Seite verblasst Riccardo Greco als Christian fast ein wenig. Er erinnert an den jungen Patrick Stanke, wobei Greco seine Stärken mehr in den melancholischen, ruhigen Momenten hat und nicht ganz so der Draufgängertyp ist. Das gilt sowohl schauspielerisch wie auch stimmlich, denn während er in seinen Balladen sehr gefühlvoll und melodiös klingt, wird er, sobald es schneller und lauter wird, doch sehr technisch unterstützt. Hier hat man wohl die richtige Balance bei der Abmischung noch nicht gefunden, jedenfalls verwundert es schon, dass phasenweise mehr Technik als Stimme zu hören ist. Seine vom Buch her vorgegebene Rolle stellt Christian auch als etwas selbstmitleidig dar, was Greco wiederum sehr gut umsetzt. Das zu viel (vorgegebenes) Selbstmitleid auch nerven kann, dafür kann ja der Darsteller nichts.

Der unsympathische Gegenspieler der beiden Hauptprotagonisten, der Duke of Monroth, wird absolut glaubwürdig von Gian Marco Schiaretti verkörpert. Sein Charakter entwickelt sich im Verlauf der Inszenierung immer mehr hin zum gefährlichen Narzissten, den man aus neutraler Sicht am liebsten die Pest an den Hals wünschen würde. Schiaretti spielte seine Rolle so gut, dass man beim Schlussapplaus förmlich zu spüren glaubte, dass sich viele Zuschauer erst überlegen mussten, ob sie ihm applaudieren oder ihn ausbuhen sollten. Ein größeres Kompliment kann es für einen Künstler kaum geben. Da passt der Stones-Klassiker „Sympathy for the Devil“ natürlich wie die Faust auf´s Auge zu Schiaretti, den er gesanglich mit einer ordentlichen Portion Diabolismus   umsetzt.

Das genaue Gegenteil vom Duke sind und die Charaktere von Toulouse-Lautrec ( Alvin Le-Bass) und Santiago (Vini Gomes ).  Während Le-Bass wunderbar den mal besorgten, mal sarkastischen Freund von Christian und späteren Regisseur der neuen Moulin Rouge Show gibt, begeistert Gomes vor allem mit seinem lateinamerikanischen Temperament und den beeindruckenden Tanzeinlagen. Auch die Tatsache, dass beispielsweise Santiagos Liaison mit Nini (stark verkörpert von Annakathrin Naderer) intensiver betont wird als im Film , tut der Szenerie im Ganzen sehr gut, selbst ihr kurzes „Pas de Deux“ zu Beginn des zweiten Akts ist sehr sehenswert und zeugt von einer hohen tänzerischen Grundausbildung.

Ebenfalls zu den Sympathieträgern, obwohl er manchmal auch ein wenig Zuhälterimage verkörpern muss, gehört Moulin Rouge Chef Harold Zidler, gespielt in Köln von Gavin Turnbull. Er spielt seine Rolle wunderbar schleimig, dreht seine Nase immer so in den Wind wie es für ihn gerade opportun scheint und ist zudem ein vortrefflicher Conferencier. Er hat nicht nur das Ensemble, sondern auch die Zuschauer in der Roten Mühle fest in seinem Griff.

Insgesamt gibt es im Ensemble überhaupt keine negativen Ausschläge, im Gegenteil. Diese auch körperlich sehr anspruchsvolle Produktion zeigt, wie hoch die Qualität im darstellerischen Bereich sein kann, wenn alle drei Sparten des Musicals gleich betont werden. Oft sind ja der schauspielerische und gesangliche Anteil eines Musicals deutlich größer als der tänzerische, nicht so aber bei Moulin Rouge.  Alle Mitglieder der Cast zeigen, wie hochwertig sie diese Bandbreite abdecken können, es macht einfach Spaß, ihnen zuzusehen und die Zeit (knapp drei Stunden inklusive Pause) vergeht gefühlt wie im Flug.

Zusammenfassend muss man festhalten, dass Moulin Rouge ein absolutes Muss für alle Anhänger guten Musiktheaters sein sollte. In Köln erlebt man bei dieser Show große Unterhaltung auf allen Ebenen. Und wer in der aktuellen Situation verständlicherweise etwas genauer auf seinen Kontoauszug schaut, der sollte sich bei Interesse auf die Vorstellungen innerhalb der Woche oder Sonntags konzentrieren, denn dort gibt es bereits Karten im Bereich zwischen 60 und 70 Euro. Wer aber das große Vergnügen erleben möchte, mitten im Geschehen an der Bühne zu sitzen, der kommt um dreistellige Summen nicht herum, wo diese dann aber für drei Stunden durchaus sinnvoll investiert wären. Denn den momentan oft recht tristen Alltag kann man im „Moulin Rouge“ definitiv komplett vergessen. 



Hamilton in Hamburg

Die pure Energie auf der Bühnel!

Von Rap bis Pop füllt dieses preisgekrönte Musical im Hamburger Operettenhaus eine ungewöhnliche Bandbreite!

Text: Jörg Beese, Fotos:Stage Entertainment.

Mit großer Spannung hat die deutsche Fangemeinde die Premiere des mehrfach preisgekrönten US-Musicals „Hamilton“ von Lin-Manuel Miranda im Hamburger Operettenhaus erwartet. Die Show erhielt unter anderem elf Tony Awards, den Pulitzer- Preis sowie einen Grammy. Am 6. Oktober nun feierten Künstler wie Zuschauer eine fulminante Premiere an der Elbe, die in vielen Bereichen gut unterhalten, phasenweise gerade im ersten Akt auch begeistern konnte, aber auch die ein oder andere Frage aufwarf. Wie lange sich diese Produktion in Deutschland halten wird, dürfte dabei die wichtigste Frage sein, denn ob die Generation, die diese Show vermutlich am ehesten ansprechen würde, sich die Tickets überhaupt leisten kann, darf zumindest angezweifelt werden.

Doch worum geht es eigentlich in „Hamilton – Das Musical“? Alexander Hamilton war einer der Gründerväter der USA, reifte nach einer turbulenten Kinderzeit zur rechten Hand des späteren ersten US-Präsidenten George Washington und begründete als dessen Finanzminister die Grundlage für das heutige US-Finanzsystem, was sicherlich seine größte Leistung darstellte. Doch Hamilton war auch eine umstrittene Person, wozu seine Affären beitrugen, aber auch seine manchmal sehr sture Sicht der Dinge. Diese Vielschichtigkeit war es wohl, die Miranda dazu veranlasste, einen musikalisch neuen Weg zu gehen und mit einer Mischung aus Hip-Hop, Rap, Soul, Pop und R&B eine in dieser Intensität noch nicht erlebte musikalische Extrovertiertheit zu performen, in die klassische Musicalklänge zwar gelegentlich einfließen, aber keine tragende Rolle spielen.

Optisch ist die Produktion im Operettenhaus absolut sehenswert. Holz und Backstein sind in der Kulisse ein tragendes Thema. Vor den Hausfassaden des New York im späten 18. Jahrhundert begrenzt eine hohe Galerie in U-Form die Bühne seitlich und nach hinten, die in dieser Form immer wieder für schnelle Szenewechsel genutzt wird. Kombiniert mit einem sehr schönen Lichtdesign ergibt sich dadurch eine optische Opulenz als optimaler Hintergrund für die zentral bespielte Hauptbühne. Während die Lichttechnik durchgängig überzeugen kann, gab es beim Ton gerade im zweiten Teil ein paar Probleme, bei denen das Orchester deutlich die Stimmen der KünstlerInnen übertönte und die Verständlichkeit litt. Dies war im 1. Akt noch nicht der Fall, sollte also ein reines Abstimmungsproblem aufgrund des kurzen Vorlaufs sein, das sich im Laufe der Zeit einspielen dürfte.

Musikalisch ist „Hamilton“ ohne Frage eine Frage des persönlichen Geschmacks. Während jüngere Besucher gerade die Rap-Passagen lautstark feierten, war die Reaktion des „Ü-50 Publikums“ eher entspannt freundlich. Allerdings muss man hier zwischen beiden Akten unterscheiden, denn während vor der Pause eine extrem energiegeladene Cast das Publikum mitreißt und auch die Songs begeistern, wird im zweiten Teil bei weiten nicht das mögliche Potential ausgenutzt. Der Rap-Battle zwischen Hamilton und Thomas Jefferson im Senat beispielsweise wird eigentlich nur angedeutet, hätte aber definitiv zum Show-Stopper ausgebaut werden können wenn nicht müssen. Insgesamt fällt der zweite Akt musikalisch eher in die Kategorie „Schwermütigkeit“, die Lockerheit, die vor der Pause so faszinierte, ist leider kaum noch zu spüren.

Verantwortlich hierfür ist sicherlich das Script. Denn in der Dramaturgie haben die Autoren offenbar für den zweiten Akt kaum noch Ideen gehabt. Wie das Buch ohnehin zu den Schwächen des Stücks gehören. Vieles muss man sich nachträglich herausziehen, so die eigentliche Leistung von Hamilton für das Finanzsystem, die auf der Bühne eher nebensächlich wirkt. Und auch seine Affären sind etwas schwammig, hat er nun auch etwas mit der Schwester seiner Frau oder nicht, hatte er auch eine Affäre mit deren zweiter Schwester und warum macht er seine zunächst geheim gehaltene Affäre zu Maria Reynolds ohne Not am Ende doch öffentlich? Unwillkürlich kommt hier die uralte Debatte des Geschmacks zwischen Amerikanern und Europäern, speziell den Deutschen, ins Spiel, die schon bei vielen Inszenierungen in der Vergangenheit nicht kompatibel lösbar war. Was übrigens für beide Richtungen gilt, denn auch deutschsprachige Produktionen (z.B. „Tanz der Vampire“) hatten am Broadway so ihre Probleme.

Dem Ensemble kann man keine Vorwürfe machen. Die Cast sprüht nur so vor Energie und wird körperlich durch die unzähligen Choreografien enorm gefordert. Absoluter Publikumsliebling ist dabei zweifelsohne Jan Kersjes alias King George. Seine Mimik, seine Körpersprache und seine herrlich mitleidige Stimme machen ihn zum heimlichen Star des Abends, obwohl andere ein Vielfaches seiner Bühnenpräsenz haben.

Benet Monteiro alias Hamilton ist dabei einer derjenigen, die gefühlt kaum einmal die Bühne verlassen. Ihm gelingt eine starke Darstellung seines Charakters, der nicht nur positiv aufgebaut ist, sondern dessen Schwächen und Eitelkeiten durchaus betont werden. Monteiro meistert diese Herausforderungen mühelos und kann auch in den Rap-Passagen punkten, wobei er für die manchmal etwas „laschen“ deutschen Übersetzungen ja nichts kann.

Stark präsentiert sich auch das Trio Gino Emnes (Aaron Burr), Daniel Dodd-Ellis (Lafayette/ Jefferson) und Charles Simmons (George Washingten). Alle drei bedienen völlig unterschiedliche Charaktere und sind schauspielerisch wie gesanglich eine Bank. Manchmal wünscht man sich, gerade die Rap-Passagen dieser  Künstler (inklusive Hamilton) mal auf Englisch zu hören, vermutlich wäre der Effekt noch viel größer als er es in Hamburg war.

Sehr solide Leistungen liefert das Damen-Trio in dieser Show ab. Ivy Quainoo als Eliza, Chasity Crisp als Angelica und Mae Ann Jarolan, die in einer Doppelrolle als Peggy Schuyler wie auch Maria Reynolds agiert, spielen schauspielerisch glaubwürdig, ohne dabei große Funken überspringen zu lassen. Gesanglich sind Quainoo und Crisp gut, ohne für wirkliche Gänsehaut sorgen zu können. Dies ist aber auch das Problem bei den Männern, denn hier kommt wieder einmal das Problem mit dem phonetischen Deutsch zum Tragen. Der Akzent der Künstler ist unüberhörbar und so fehlt dem Zuschauer die Möglichkeit des entspannten Zuhörens.Wer sich aber ständig darauf konzentrieren muss, das gesprochene oder gesungene Wort zu verstehen, dem fehlt einfach die Lockerheit und so kann ein wirklicher Funke nicht überspringen.

Das ist völlig anders bei den Ensemblenummern und Choreografien. Hiervon lebt diese Show und wenn alle oder die meisten Mitglieder des 21-köpfigen Ensembles auf der Bühne stehen, dann hat „Hamilton“ seine großen Momente, woran auch die Choreografien ihren großen Anteil haben. Dem Ensemble machen diese Momente sichtlich Spaß, auch wenn dem, ein oder anderen am Ende der Show die Erschöpfung deutlich anzumerken ist.

Fazit: „Hamilton“ ist zweifelsohne eine gut gelungene Unterhaltung, nicht perfekt, aber deutlich oberhalb des normalen Levels. Vielleicht hätte man einige Songs, gerade die Battles, im englischen Original lassen sollen, aber das ist letztlich Geschmackssache. Die Schwächen des Buches haben auch in den USA nicht davon abgehalten, diese Show zu besuchen. Ob das aber auch hierzulande der Fall sein wird, darf abgewartet werden. Vielleicht wäre Stage Entertainment gut beraten, sich Gedanken über ein U20-Ticket zu machen. Denn wenn man dieses junge Publikum ins Operettenhaus bekommen möchte, dann wird das garantiert nicht über Eintrittspreise von über 100 Euro funktionieren, dann sollte zumindest ein Bruchteil von 100 oder 200 Tickets pro Show für 20 Euro an die Kunden gebracht werden. Das wäre zumindest eine Chance, um langfristig auch junges Publikum für dieses Spektakel zu begeistern.



Der Besuch der alten Dame in Tecklenburg

Am Ende stopfen sie sich die Taschen voll!

Große Emotionen, packende Charaktere und spektakuläre Choreografien auf der Freilichtbühne

Text: Jörg Beese, Fotos: Heiner Schäffer.

Nach Athos, Artus und Audrey II nun also Alfred Ill. Die vierte besuchte Freilichtinszenierung innerhalb von sieben Tagen veranlasste den Autor bereits im Vorfeld zu einer gewissen Vorfreude, denn wenn eine der spektakulärsten Romanvorlagen von Friedrich Dürrenmatt auf den deutschen „Regie-Master of Musical-Emotions“ trifft, dann kann dabei eigentlich nur ein fesselnder Abend herauskommen. Und genau so war es auch auf der Freilichtbühne Tecklenburg, wo Regisseur Ulrich Wiggers mit „Der Besuch der alten Dame“ in nicht mal vier Wochen Probezeit eine totalen Kontrast zur ersten Tecklenburger Inszenierung des diesjährigen Musicalsommers „Sister Act“ inszenierte. Die Reaktionen des Publikums sprachen eine deutliche Sprache, der wir uns nur anschließen können, das war große Kunst auf großer Bühne!


Die Vereinigten Bühnen Wien, die die Rechte an diesem Musical besitzen, hatten die Geschichte um die Heimkehr der reichen Witwe Claire Zachanassian, die einst als junge Frau schwanger und unter übelsten Umständen aus dem Dorf Güllen vertrieben wurde und sich nun an ihrem damaligen Geliebten Alfred Ill rächen will, im Sommer 2013 zum ersten mal auf der Thuner Seebühne inszeniert und rund ein halbes Jahr später dann auch in Wien. Damals spielten Pia Douwes und Uwe Kröger die beiden Hauptrollen, deren Part nun Masha Karell und Thomas Borchert übernommen haben. Im Vergleich zu damals hat Ulrich Wiggers nun bei der Personenregie andere Schwerpunkte gesetzt, die dem Stück definitiv gut tun. So steht die Frage deutlich klarer im Vordergrund, wer denn in dieser Handlung nun eigentlich Täter und wer das Opfer ist. Und besonders Claire wird nicht ansatzweise so weichherzig dargestellt, wie es seinerzeit bei Pia Douwes immer wieder der Fall war. Diese kleinen, aber sehr effizienten Handlungsstränge sorgen durch ihre Neujustierung dafür, dass auch der Besucher immer wieder durch ein Wellenbad der Gefühle gehen muss um für sich selbst die Frage zu klären, wem denn nun seine/ihre Sympathien gelten. Wiggers untermalt dies auch durch das Wechselspiel der ganz in  Weiß gekleideten „jungen Alter Egos“ von Claire und Alfred, gespielt von Katia Bischoff und Fabio Diso, die durch fließende Bewegungen zu ihren älteren Ich immer wieder mal die Nähe und dann die Distanz der beiden Charaktere zueinander eindrucksvoll interpretieren. Die kleinen, aber sehr anmutenden Choreografien zwischen der jungen Claire und dem jungen Alfred sind extrem anmutig und gefühlvoll choreografiert, dass sie zweifellos zu den Höhepunkten der Inszenierung gehören. Im Gegensatz zu Thun und Wien beziehen sich die jüngeren Alter Egos aber nicht nur auf den eigenen Charakter, sondern wechseln auch immer wieder mal den älteren Bezugspartner, was dem Ganzen noch etwas mehr Tiefe verleiht.

Normalerweise, dass muss man an dieser Stelle ehrlicherweise erwähnen, wäre so ein schwerer Stoff nicht wirklich geeignet für eine Musicalbühne, doch die Autoren haben durch viele Handlungselemente die Möglichkeiten geschaffen, immer wieder das Publikum zum Durchatmen zu verleiten. Und in Tecklenburg werden diese Chancen rigoros genutzt, was neben vielen kleinen verbalen und optischen  Anspielungen auch durch spektakuläre Choreografien erreicht wird, die von Bart De Clercq in Szene gesetzt wurden. Absolute Höhepunkte dabei: Das „Trio Infernal“ von Claires Bodyguards sowie die große Ensemblenummer „Tempel der Moral“. In diesem Zusammenhang auch gleich ein dickes Kompliment an Karin Alberti für ihre herrlichen und einfallsreichen Kostüme, die bei den Tanznummern phasenweise Jubelstürme – gerade unter den weiblichen Besucherinnen – auslösten. Jens Janke rundet das Kreativteam mit einem sehr passenden, gut in die Szenerie der alten Burgruine passenden Bühnenbild ab, bei dem auf der linken Seite Alfreds Geschäft dargestellt wird, auf der entgegengesetzten Seite der Güllener Bahnhof und das Polizeirevier sowie im Zentralbereich das zunächst noch recht heruntergekommene Hotel, im dem Claire residiert.

Musikalisch hat dieses Musical durchaus Ohrwurmqualität, wobei die Geschmäcker hierbei durchaus verschieden sein dürfen.  Von „Sie ist seltsam“ über „Trio Infernal“ und „Ich hab die Angst besiegt“ bis hin zum grandiosen „Liebe endet nie“, um nur einige zu nennen, liefert der Musikalische Leiter Tjaard Kirsch mit seinem 20-köpfigen Orchester den Solisten eine optimale Soundgrundlage. Während das Orchester optimal ausgesteuert ist, gab es beim Chor bei der Premiere eine kleine Verzögerung auf dem Übertragungsweg, so dass die Männer nicht ganz synchron zu den Sängerinnen zu hören waren. Das ist bei einer solch kurzen Vorbereitungszeit aber nichts Ungewöhnliches und sollte sich schnell erledigt haben.


Personell kann die Freilichtbühne wieder aus dem Vollen schöpfen. Neben dem Ensemble steht auch wieder der Chor mit Statisterie zur Verfügung, wobei aber die Präsenz zwischen den großen Massenszenen und den „stillen“ Momenten sehr ausgewogen ist. Dass es nicht immer viel braucht, beweist Thomas Borchert bei „Ich hab die Angst besiegt“. In diesem Moment schenkt ihm die Regie die komplette Bühne und er füllt sie mit einer gesanglichen Intensität, die ihresgleichen sucht. Rund 1.500 Augenpaare folgten „Alfred Ill“ in diesem Moment wie gebannt, fraglos einer der großen Momente der Inszenierung.

Womit wir auch bei den Solisten wären. Thomas Borchert ist, wie erwähnt, gesanglich eine Klasse für sich, egal ob im Duett oder alleine, er fasziniert und begeistert mit seiner Stimme. Auch darstellerisch überrascht er, denn gerade im ersten Teil, als sich die Panik immer mehr in ihm ausbreitet, liefert er auch schauspielerisch einiges ab, erst nachdem er sich im 2. Akt entscheiden hat, sich dem „Urteil“ der Bevölkerung zu stellen, wirkt er ein wenig steif, was aber den sehr guten Gesamteindruck nicht schmälert.

Masha Karell haben wir vor wenigen Wochen bereits für ihre Mutter Oberin in Sister Act gelobt, nun können wir dieses Lob nur nochmal bestätigen. Karell ist sowohl eine begnadete Sängerin als auch eine große Schauspielerin. Hinzu kommt die bereits erwähnte regiale Veränderung ihres Charakters Claire gegenüber den Vorgänger-Inszenierungen, die der Rolle sehr gut tut. Es ist fast beängstigend, wie sie auf die Frage Alfreds, ob sie ihm nun verzeihe, nach kurzem Zögern mit einem durch Mark und Bein gehendes „Niemals“ antwortet, da geht sogar ein Raunen durch das Publikum.

Als junge Alter Egos der beiden stehen Katia Bischoff und Fabio Diso auf der Bühne.  Die beiden sind ein absolut bezauberndes Paar, auch wenn Disos weißes Kostüm anfänglich ein bisschen an ein Schlafanzug-Oberteil erinnert. Durch die Dynamik, dass beide sich sowohl Claire als auch Alfred wechselweise zuwenden, entsteht eine neue Dynamik in den Interaktionen dieses Quartetts, die dem Gesamtwerk sehr gut tun. Sie schaffen es wunderbar, ihre Rolle gesanglich mit klaren Stimmen zu manifestieren. Und die tänzerische Leichtigkeit, mit der Katia Bischoff ihre (leider) wenigen Tanzszenen absolviert, bleibt ebenfalls nachhaltig in Erinnerung.

Apropos klare Stimme. Als Alfreds Frau Mathilde Ill spielt mit Navina Heyne eine Künstlerin, deren Vita uns bislang noch nicht bekannt war. Und wie sie das tut, ihre Stimme klingt absolut wunderbar und versetzte das Publikum von jung bis alt in Entzücken. Von dieser Dame dürften wir wohl noch öfter etwas hören in der Zukunft.

„Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr!“ Wenn diese Weisheit jemals perfekt in die Realität umgesetzt wurde, dann jetzt in Tecklenburg. Ein schauspielerisch bärenstarker Pastor (Benjamin Eberling), der die Grundsätze der Kirche nach Belieben verdreht und verhöhnt, ein Lehrer (Alexander di Capri), dem der Begriff Rückgrat fremd ist und der sich lieber in den Suff stürzt, als drohendes Unheil zu verhindern, dabei aber noch phänomenal singen kann, dazu ein Polizist (Andreas Göbel), dem man nicht mal seinen Komposthaufen im Garten anvertrauen würde. Diese Drei bilden das Fundament der wunderbar gespielten und gesungenen Scheinheiligkeit der Güllener Bevölkerung, die nur noch von ihrem Bürgermeister übertroffen wird. Und hier muss man Martin Pasching einfach ein Sonderlob machen, denn wer es schafft, dass ihn die Sitznachbarinnen auf der Tribüne am liebsten von der Burgzinne stürzen wollten, der muss alles richtig gemacht haben. Einen solchen, vorsichtig ausgedrückt, „Mistkerl“ muss man erstmal auf die Bühne bekommen, beim Schlussapplaus wussten einige Besucher unter dem großen Zeltdach sicht- und hörbar nicht genau, ob sie Pasching nun applaudieren oder ihn gnadenlos ausbuhen sollten, ein größeres Kompliment kann es für einen Schauspieler eigentlich nicht geben.

Unbedingt erwähnen müssen wir noch Jochen Schmidtke, Michael B. Sattler und Andrew Chadwick. Sie spielen die drei Bodyguards Loby, Toby und Roby, lange Zeit eher im Hintergrund aktiv, ehe sie dann bei „Trio Infernal“ so richtig die „Sau“ rauslassen und sowohl mit ihren tänzerischen als auch körperlichen Qualitäten punkten können. Angesichts des begeisterten Gejauchzes der anwesenden Damenwelt beim Angesicht der Waschbrettbäuche dürften einige männliche Begleiter im Publikum möglicherweise kurzzeitig Minderwertigkeitskomplexe bekommen haben.


Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es Ulrich Wiggers mit seinem Kreativteam sowie seinem Ensemble gelungen ist, einen schwierigen Stoff kurzweilig und leicht verdaulich zu präsentieren. Viele Publikumsreaktionen zeigten, dass bei diesem „Besuch der alten Dame“ vieles richtig gemacht wurde. Damit haben die Freilichtspiele Tecklenburg in diesem Jahr wieder einmal zwei Produktionen auf die Bühne gezaubert, die thematisch  zwar weit voneinander entfernt sind, die aber qualitativ kaum hochwertiger sein könnten. 




3 Musketiere in Sondershausen, Spamalot in Bad Gandersheim sowie Der Kleine Horrorladen in Bad Gandersheim

Von Paris über die Skid Row bis zum heiligen Gral!

Ein ungewöhnlicher Musicaltrip durch Open-Air Festspiele innerhalb von 26 Stunden!

Text: Jörg Beese;   Fotos: Marco Kneise / Thüringer Schlossfestspiele und Julia Lormis / Gandersheimer Domfestspiele gGmbH 

Manchmal sorgen Umstände wie Reisepläne, Einladungen oder einfach Regeneration dafür, dass sich plötzlich Dinge ergeben, die man in dieser Form auch nicht jede Woche erlebt. So geschehen vor wenigen Tagen, als der Autor das Glück hatte, innerhalb von nicht mal 30 Stunden gleich drei Musical-Open-Air-Produktionen miterleben zu dürfen. Die Reise begann bei den Thüringer Schlossfestspielen in Sondershausen mit „3 Musketiere“ und wurde nach einer kleinen Rundreise entlang der Harzer Stauseen bei den Bad Gandersheimer Domfestspielen  mit „Spamalot“ fortgesetzt und an gleicher Stelle auch mit „Der kleine Horrorladen“ beendet. Ausnahmsweise gibt es daher heute nicht einen Artikel für jede Produktion, sondern wir stellen die Inszenierungen in einem Quervergleich dar.

Die Locations:

Das Schloss in Sondershausen mit seinem angrenzenden Park ist ein wunderbarer Ort für Open-Air Inszenierungen, der Innenhof wie geschaffen für ein Mantel-und-Degen-Spektakel wie 3 Musketiere. Der Großteil des Schlosses wurde bereits saniert, nur ein kleiner Teil hinter und neben der Bühne wirkt noch veraltet, was aber thematisch zur Inszenierung passt. Vielleicht sollte man es wagen, die Bühne genau entgegengesetzt vor dem Hauptflügel aufzubauen, denn dann hätte man mehr Platz für die Bühne und vor allem könnte man auch das Orchester draußen platzieren, das derzeit innerhalb des Schlosses untergebracht ist und per Mikrofon nach Außen getragen wird.

Die Stiftskirche in der Innenstadt von Bad Gandersheim mit seinen beiden hohen Türmen ist eine ganz andere Art von Blickfang, Die  Band wird hier direkt unter den Augen des Publikums im Mitteleingang der Kirche untergebracht und kann damit sogar in die Handlung eingebunden werden. Im Laufe der Jahre hat man im Harz unter Beweis gestellt, dass Weniger manchmal wirklich Mehr sein kann, denn die minimalistischen Bühnenbilder stören nicht, sondern passen sich wunderbar in die Kulisse ein und lenken den Focus voll auf die Akteure.

Die Geschichten:

Intellektuell sind die drei Handlungen natürlich kaum miteinander vergleichbar. Während die „3 Musketiere“ sicherlich nie einen Grimme-Preis erhalten werden, dafür aber – normalerweise - mit  optischer Opulenz, hohem Spaßfaktor und noch größerem musikalischen Ohrwurmfaktor punkten können,  ist „Spamalot“ der polarisierende Faktor. Diese Show funktioniert nur, wenn die Kreativen den (schwarzen)  Monty Python Humor mit viel (Selbst-)Ironie für das Publikum verständlich umsetzen, ohne dem manchmal derben Wortwitz seine Seele zu nehmen. „Der kleine Horrorladen“  ist in Sachen schwarzer Humor ähnlich angelegt wie die „Ritter der Kokosnuss“, verinnerlicht aber deutlich eher das Genre Musical als sein  Pendant, das Selbiges eher parodiert.  In Kurzform: Während bei den Musketieren der junge Gascogner D´Artagnan auf seinem Weg, des Königs Musketier zu werden viele witzige, aber auch gefährliche Abenteuer bestehen muss und seine erste große Liebe findet, um sie noch vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu verlieren, verballhornt Monty Python den guten alten König Artus und seine Ritter auf dem Weg, den Heiligen Gral zu finden. Ebenso skurril ist die Handlung im Horrorladen vom Blumenhändler Mushnik, der nur dadurch vor der Pleite gerettet wird, dass sein tolpatschiger Assistent eine Pflanze entdeckt hat, die die Menschen in Massen anzieht, dummerweise aber nur dann weiter wächst, wenn sie regelmäßig mit frischem Blut gefüttert wird. Da bleiben am Ende kaum noch Protagonisten übrig.

Die Optik:

 Die Musketier-Bühne in Sondershausen hat eine gute Grundidee zu bieten, denn zwei geschwungene Treppenhälften, die in alle Richtungen verschoben werden können, öffnen oder schließen das Blickfeld je nach Bedarf und Szene. Aber: Außer diesen beiden Treppen und drei in überdimensionaler Bleistiftform dargestellten Feldkanonen gibt es so gut wie keine Requisiten. Keine Tische, keine Stühle, lediglich eine mit PET-Flaschen gefüllte Plastik-Getränkekiste ist gelegentlich zu sehen. Dazu eine Nebelmaschine, die allerdings etwas wenig Power hat. Der Verzicht auf ein großes Bühnenbild muss grundsätzlich kein Nachteil sein, sofern Regie und Darstellerleistung dies auffangen, aber dazu kommen wir später. Zur Optik gehören aber auch die Kostüme und da hat das Theater Nordhausen, das für die Inszenierung verantwortlich ist, offenbar unter Budgetproblemen zu leiden, denn nicht nur, dass praktisch alle Hauptrollen von Anfang bis Ende nicht einmal das Kostüm wechseln oder dass der Rock von Königin Anna offenbar aus einer nicht mehr genutzten Gartentischdecke aus Plastik geschneidert wurde, für ihren Mann, immerhin König, wie auch für D´Artagnan waren offenbar nicht mal mehr passende Schuhe bzw. Stiefel verfügbar, beide müssen tatsächlich mit Turnschuhen spielen. Und beim Ensemble war das Motto offenbar „Hauptsache bunt“, hier wurde offenbar der vorhandene Kostümfundus des Theaters geplündert, anstatt neue Kleider schneidern zu lassen.

Ganz anders die Optik in Bad Gandersheim, das ja eigentlich nie für opulente Bühnenbilder bekannt war. Bei Spamalot ist das auch 2022 wieder so, eine auf Pappe gezeichnete Burg bildet den Hintergrund, aber die Handlung findet im Wesentlichen auf der freien Fläche davor statt, wo zu jeder einzelnen Szene entsprechend benötigte Requisiten aufgefahren oder -getragen werden. Besonders Erwähnung verdienen hier die Kostüme, die mit einer grandiosen Vielfalt, gerade beim Ensemble, aufwarten und das Stück zu einem absoluten Augenschmaus machen.

Eine Überraschung gibt es aber beim „Horrorladen. Eine breit dargestellte Silhouette New Yorks, natürlich vornehmlich Downton Skid Row, dazu fahr- und drehbare Kastenelemente, aus denen der Blumenladen oder die Zahnarztpraxis entstehen. Sehr zweckmäßig gemacht und auch bei kleinen Details jederzeit up to date. Auch in Bad Gandersheim kommt eine Nebelmaschine zum Einsatz, die allerdings wesentlich besser „gefüttert“ wurde als ihre Kollegin in Sangershausen.  Die Kostüme sind zeitgemäß, gewechselt wird deutlich seltener als bei „Spamalot“, aber immer im richtigen Moment. Ein Blickfang, aber sicher auch Geschmackssache ist das Kostüm von Audrey II, es betont die mimischen Qualitäten seines Darstellers, birgt aber bei der „Pflanzenfütterung“ kleine Risiken in sich.

Die Technik:

Wie aus Ensemblekreisen zu erfahren war, ist in Sondershausen der Sounddesigner coronabedingt ausgefallen. Seine Vertretung hatte große Mühe, alle Akteure rechtzeitig und qualitativ gut freizuschalten. Immer wieder wurden Mikros zu spät oder zu leise freigeschaltet.Besonders ärgerlich war der übertragene Sound des Orchesters, der permanent so belegt klang, als ob er vom Band käme.Und auch beim Licht gab es Luft nach Oben, immer wieder standen Künstler entweder komplett oder zur Hälfte im Dunkeln.

Die Domfestspiele konnten hingegen technisch komplett überzeugen. Licht spielt dort zugegeben eine geringere Rolle, weil die Stücke in maximal zwei Stunden ohne Pause durchgespielt werden und so die Dunkelheit gar nicht wirklich zum Tragen kommt. Der Sound ist allerdings top und auch die Nähe zur fünf- (Horrorladen) bzw. achtköpfigen (Spamalot) Band sorgt für einen lupenreinen Klang.

Die Musik:

Bei den Kompositionen hat „3 Musketiere“ eindeutig die Nase vorne. Die Gebrüder Bolland haben hier Steilvorlagen ohne Ende geliefert, von „Engel aus Kristall“ über „Einer für alle“ und „Wer kann schon ohne Liebe sein“  bis hin zu „Nicht aus Stein, um nur einige wenige zu nennen, prägen sich viele Melodien in die Köpfe der Besucher ein. Wenn eine Regie es schafft, die in diesen Liedern vorhandenen Emotionen über die Interpreten auf der Bühne auch nur ansatzweise zu vermitteln, dann hat man bei diesem Musical eigentlich schon gewonnen. Und in Sangershausen retten diese Ohrwürmer letztlich auch die gesamte Inszenierung, obwohl der Faktor Emotionen noch deutlich mehr hätte betont werden können. Das Loh-Orchester Sondershausen unter der Leitung von Henning Ehlert und Florian Kießling macht, soweit es die schwache Soundübertragung zulässt, einen ordentlichen Job.

Alan Menken und Howard Ashman haben beim kleinen Horrorladen ebenfalls etliche gefällige Kompositionen geliefert, nicht so viele wie die Bolland-Brüder, aber Ohrwürmer wie „Downtown“, „Suddenly Seymour“ oder „Dentist“ sind beliebt und hinterlassen bleibende Eindrücke. Ferdinand von Seebach und seine vier Bandmitglieder sorgen für einen lupenreinen Ton.

Der Ohrwurmfaktor gestaltet sich bei „Spamalot“ etwas anders. Die Komikertruppe Monty Python hat sich vor allem auf den Humor konzentriert. So sind die meisten Titel zwar schwungvoll und durchaus zum Mitklatschen, -lachen oder -tanzen geeignet, aber wirklich im Gedächtnis bleibt letztlich nur „Always Look on the bright Side of Life“. Die achtköpfige Band unter der Leitung von Patricia Martin agiert fehlerfrei und schwungvoll und wird sogar mit in die Handlung eingebunden.

Die Choreografie:

Dominik Büttner hat in Sondershausen die Tanznummern einstudiert, wobei er hier auf das Ballett des Theaters Nordhausen zurückgreifen kann. Im großen und Ganzen kommen die Choreos auch gut an, allerdings hätte man gerade Highlights wie „Nicht aus Stein“ oder „Einer für Alle“ noch intensiver und mit mehr Statisterie auffüllen können, um die Wucht dieser Nummern zu manifestieren.    

Yara Hassan zeichnet bei den Domfestspiele für die Tanz-Arrangements beider Inszenierungen verantwortlich. Dabei hat sie durchaus unterschiedliche Voraussetzungen, denn während bei „Der kleine Horrorladen gerade mal acht KünstlerInnen auf der Bühne stehen, sind es bei Spamalot immerhin 18 zuzüglich mehrerer erstmals engagierter Tänzerinnen.  Doch Hassan versteht es perfekt, diese Herausforderungen zu meistern. In der Skid Row lässt sie die Akteure im Vergleich weniger, dafür aber absolut handlungseffektiv tanzen. Hier ist die Choreografie eine entspannte Begleitung. Bei den Rittern der Kokosnuss nutzt sie dagegen die Power der Tänzerinnen und vereint sie mit den darstellerischen Qualitäten des Ensembles und den wunderbaren Kostümen von Kati Kolb zu einem absoluten Augenschmaus.

Die Regie:

Der größte Unterschied zwischen den drei Inszenierungen liegt zweifelsohne in der Regie. Und hier muss man Sabine Sterken, die bislang überwiegend im Bereich Oper und Operette aktiv war, bei den Schlossfestspielen wohl die schwächste Leistung attestieren.  Man fragt sich mehrfach, ob sie die Emotionalität vieler Songs nicht verstanden hat, die sie einfach „singen“, aber nicht „fühlen“ lässt, obwohl die DarstellerInnen noch versuchen, das Beste daraus zu machen. Sie lässt die vielen humoresken Momente, die im Script eigentlich enthalten sind, eher  nebenbei passieren. Gerade die Rolle des Porthos, aber auch Aramis, Rochefort oder D´Artagnan lassen dadurch Potential ungenutzt. Apropos Musketiere: Wer auch immer die drei Beschützer des Königs ausgesucht hat, hat zwar qualitativ nichts, optisch aber sehr viel falsch gemacht. Denn Athos ist normalerweise die Rolle, die am lebenserfahrensten wirkt, Aramis eigentlich der belesene Frauencharmeur und Porthos das vor Kraft strotzende, humorvolle „Dickerchen“ in bester Obelix-Manier. In Sondershausen wirkt Athos hingegen sehr jung, Aramis eher wir Athos und Porthos ist ein schlankes Reh. Eigentlich würde man da von einer Regie erwarten, dass sie hier zumindest über die Maske einen künstlichen Bauch ordert, aber das war hier nicht der Fall. Und so passiert es immer wieder, dass man sich fragt, wer da nun eigentlich wer ist.

Aber auch dramaturgisch hinterlässt Sterken einige Fragezeichen. Warum muss Porthos (oder war es Aramis?) auf der Bühne rauchen? Wieso muss der Wirt den bewusstlosen D´Artagnan in einer eigentlich abgeschlossenen Szene noch endlos lang die zwei Stufen vor die Bühne hinab treten?  Es gab einige dieser fragwürdigen Momente, irgendwie hatte man immer wieder das Gefühl, dass die Regisseurin den aus dem Opernfach des Theaters kommenden Nebendarstellern hier ein eigenes Rampenlicht geben wollte, was aber nicht nur aufgrund der falsch justierten Scheinwerfer nach hinten los ging. Zudem wirkten einige Szenen abgekupfert bei anderen, früheren Musketier-Inszenierungen. Insgesamt zu wenig Inspiration, eine eher schwache Regieleistung.

Das genaue Gegenteil hat Achim Lenz geschafft. Sein Spamalot bei den Domfestspielen ist in jeder Sekunde sehens- und hörenswert und gespickt mit Überraschungen, die meistens mit ganz minimalen Mitteln erzielt werden.  Lenz schafft es tatsächlich, dass das Publikum die extremen Wetterbedingungen – bei der besuchten Nachmittagsvorstellung dürften die Temperaturen auf der Tribüne im gleißenden Sonnenlicht gefühlt mindestens bei 40 Grad gelegen haben -  fast komplett ignorieren kann, weil die Inszenierung wahrlich begeistert. Dabei hilft ihm das grandiose Ensemble, aber hierzu gehört eben auch eine perfekte Personenregie und die vielen, ganz gezielt gesetzten Überraschungsmomente, die am Schluss darin gipfeln, dass eine junge Zuschauerin, die (unwissentlich) die ganze Zeit den heiligen Gral unter ihrem Sitzplatz „bewacht“ hat, als Retterin der Gral-Suche auf die Bühne geholt und mit einer Überraschung verabschiedet wird. Ach ja, und eine Szene muss explizit angesprochen werden, denn wie Lenz seinen Artus in bester Max Giermann Manier  als verkappten Klaus Kinski seine Bandchefin Patricia Martin „zur Sau“  machen lässt, ist fast schon alleine das Eintrittsgeld wert.

Bleibt noch Sandra Wissmann, die sich der fleischfressenden Audrey II angenommen hat. Sie hat eine sehr solide Inszenierung auf die Beine gestellt, keine erkennbaren Fehler gemacht und durchaus auch etwas gewagt. Die  Spielzeit von rund 90 vergeht wie im Fluge und das achtköpfige Ensemble wird mit all seinen Stärken stark in Szene gesetzt. Ein Faktor sollte allerdings erwähnt werden, denn bei einer Rolle wird das Potential selbiger nicht voll ausgeschöpft. Wissmann lässt als macho-sadistischen Zahnarzt Orin Scrivello mit Miriam Schwan eine Frau spielen. Die macht das auch durchaus ordentlich, aber diese Rolle ist eben eine Hass-Rolle. Heißt, sie ist dann perfekt, wenn das Publikum nach Orins Tod und Verfütterung an Audrey II sogar Beifall spendet, weil das „A...loch“ endlich seine gerechte Strafe gefunden hat. Dieser Punkt entfällt in Bad Gandersheim, denn dazu ist „diese(r) Orin“ einfach viel zu sympathisch.

Das Ensemble:

Und damit kommen wir zu denjenigen, die alle bislang genannten Vorgaben mit Leben füllen und die entsprechenden Handlungsstränge umsetzen müssen.

In Sondershausen rettet das Ensemble letztlich die Inszenierung. Allen voran Tobias Bieri als D´Artagnan, Nicky Wuchinger als Porthos, Laura Saleh als Constance (trotz fragwürdigem, orangefarbenem Lidschatten) und Eve Rades alias Milady de Winter sind hier zuerst zu nennen, da sie es schaffen, die großen Ohrwürmer des Stücks zu verinnerlichen und gleichzeitig auch schauspielerisch überzeugen können. Von den Hauptrollen fällt gesanglich lediglich Richelieu-Darsteller Marian Kalus etwas ab, seine belegte Stimme dürfte aber daran gelegen haben, dass er gerade erst von einer Infektion genesen war und diese Vorstellung für ihn vielleicht doch ein paar Tage zu früh kam. Abzüge muss man nicht nur wegen der Optik beim  Festspielchor machen.  Hier war deutlich zu hören, dass die zumeist aus dem Operngenre stammenden SängerInnen lieber für sich selbst als für einen gemeinsamen Chor auftreten wollten, man versuchte gar nicht erst, als Einheit aufzutreten und so hörten sich viele Chornummern an wie die übereinander gelegten Stimmen eines Dutzend Solisten.

Das größte Kompliment muss man dem Ensemble von Spamalot machen. Bei extremer Hitze, die auf der voll in der prallen Sonne liegenden Bühne bestimmt deutlich über 40 Grad gelegen haben dürfte, mussten die „Ritter“ auch noch in ihren schweren Rüstungen agieren und „Pferd“ Patsy die ganze Zeit mit einem gefüllten Rucksack, auf den obendrauf auch noch eine Wolldecke geschnallt war. Ein Riesenkompliment daher an Guido Kleineidam (Artus), Lukas Witzel (Robin), Tim Müller (Lancelot), Stephan Luethy (Patsy), Sven Olaf Denkinger (Galahad), Rudi Klein (Bedevere) und all die anderen, die in ihren prachtvollen, aber immer wieder auch schweren Kostümen derartige Topleistungen ablieferten und sich niemals anmerken ließen, welche Tortur  die Vorstellung an diesem Nachmittag gewesen sein muss. Ein dickes Lob auch an die Tänzerinnen, die die Inszenierung mit viel Elan und Schwung bereicherten. Und wir müssen natürlich noch Miriam Schwan erwähnen, die als Fee aus dem See zum Publikumsliebling avancierte, ehe sie dann drei Stunden später im Horrorladen als Orin Scrivello erneut auf die Bühne musste und spielte, als hätte es den Nachmittag nie gegeben.

Womit wir uns bezüglich der zweiten Gandersheimer Inszenierung auch kurz fassen können, denn alle DarstellerInnen, die am Abend auftraten, hatten bereits zwei Stunden Spamalot in den Knochen, ließen sich aber ebenfalls nichts davon anmerken und lieferten eine wunderbare Performance ab, allen voran Lina Gerlitz als Audrey und Lukas Witzel alias Seymour. Guido Kleineidam, der am Nachmittag Unmengen an Flüssigkeit verloren haben musste, spielte einen bärenstarken Mushnik und Lemuel Pitts begeisterte mit seiner Mimik als Audrey II, auch wenn man sich über sein Kostüm durchaus streiten darf. Nicht zu vergessen die drei Damen Crystal (Marion Wulf), Ronnette (Maja Dickmann) und Chiffon (Pauline Schubert), die mit kesser Mimik, kristallklarem Gesang und entspannten Tanzeinalgen überzeugten.

Fazit: Der Besuch an allen drei Standorten hat sich gelohnt. Setzt man allerdings den Level an, den sich das Theater Nordhausen, das für die Schlossfestspiele verantwortlich zeichnet, im Bereich Musical unter dem damaligen Intendanten Lars Tietje vor 10 bis 15 Jahren bereits erarbeitet hatte, dann muss man hier klar von einem Rückschritt sprechen. Das Musical war unterhaltsam, aber es wurde recht schnell klar, warum der Zwischenapplaus nach den Gesangsnummern meistens sehr bescheiden ausfiel. Das Publikum wurde emotional zu wenig in die Handlung und die Musik eingebunden, das geht definitiv besser.Der kleine Horrorladen bei den Domfestspielen war absolut sehenswert, sehr ordentlich inszeniert und auch mit einer eigenen Handschrift versehen. Die 90-minütige Inszenierung war kurzweilig und auch trotz der nicht voll ausgereizten Möglichkeiten (Scrivello) sein Eintrittsgeld wert.

Den Vogel hat aber die Inszenierung abgeschossen, die thematisch eher am unpopulärsten sein dürfte, denn Monty Python ist nun wirklich nicht Jedermanns Fall. Doch was Achim Lenz daraus gemacht hat, ist einfach lustig und man freut sich in jedem Moment bereits auf die nächsten Gags und Szenen. Wer es schafft, das Publikum bei solchen extremen Wetterbedingungen derart zu fesseln, der darf sich absolut rühmen, ein perfektes Musical inszeniert zu haben, auch wenn kurz vor dem Ende einige Mikrofone hitzebedingt ihren Geist aufgaben und ausgetauscht werden mussten, doch das hat niemand übel genommen.Während die Schlossfestspiele in diesen Tagen zu Ende gehen, ist ein Besuch der Domfestspiele noch bis zum 21. August möglich. Wer die Möglichkeit hat, beide Inszenierungen an einem Tag zu sehen, sollte sie nutzen, es lohnt sich. 



Sister Act in Tecklenburg

Großer Spaß wie man ihn sich öfter wünscht!

Werner Bauer gelingt auf der Freilichtbühne eine perfekte Inszenierung  mit höchster Lachgarantie!

Text: Jörg Beese, Fotos: Heiner Schäffer

Theo Lingen hätte seine Freude gehabt. Denn zu welchem Musical würde das Motto „Frisch, fromm, fröhlich, frei ans Werk“ seines Alter Ego Oberstudiendirektor Dr. Taft besser passen als zu Alan Menkens (Musik) und Glenn Slaters (Texte) „Sister Act“. Erst recht, wenn er die Version gesehen hätte, die seit dem 24. Juni auf der Freilichtbühne Tecklenburg von Regisseur Werner Bauer inszeniert wurde und die vom einem begeisterten Premierenpublikum völlig verdientermaßen mit minutenlangen Standing Ovations, die bereits vor dem eigentlichen Ende der Show begannen, gefeiert wurde.Dem kompletten Kreativteam sowie einem spektakulären Ensemble und einem wohltuend unauffälligen, weil perfekt begleitendem Orchester unter der Leitung von Giorgio Radoja ist hier ein großer Wurf gelungen, den man allen Musicalfans nur wärmstens ans Herz legen kann. Kurzweiliger und abwechslungsreicher geht’s nimmer und gerade in diesen Tagen tut das herzhafte Lachen, das fast im Minutentakt die Tribüne erschüttert, der Seele einfach nur gut.

Ehre wem Ehre gebührt, darum beginnen wir unseren Premierenbericht mit dem Mann, der diese Show in Szene gesetzt hat. Werner Bauer ist schon von Haus aus ein gut gelaunter und fröhlicher Mensch, dem der Schalk gerne im Nacken sitzt. Das zeichnete ihn bereits als Darsteller aus und das setzt er nun nahtlos weiter um. Und „Sister Act“ ist vielleicht das perfekteste Stück, das man ihm geben konnte, denn diese handlungstechnische Kombination aus Wortspielen, wunderbaren Pointen, tagesaktuellen Anspielungen und mimisch/gestisch hoch anspruchsvollem Sarkasmus, gepaart mit immer wieder im richtigen Moment gesetzten, melancholischen Momenten, passt zu Bauer wie die berühmte Faust auf´s Auge. Dem Regisseur ist dabei ein Werk gelungen, dass in keiner einzigen Sekunde langatmig wirkt, einfach Spaß macht, aber auch im richtigen Moment Zeit zum Luftholen bietet. Auf einer Skala von 1 bis 10 ist dies eine glatte 10 für eine perfekt inszenierte Show. Und hätte es Bauer noch geschafft, Tecklenburgs Intendanten Radulf Beuleke am Ende in die päpstliche Robe zu hüllen, dann wäre sogar noch das +-Zeichen zusätzlich verliehen worden.

Dann bleiben wir auch gleich beim Kreativteam. Giorgio Radoja hat sein 16-köpfiges Orchester hervorragend auf die Premiere vorbereitet, in keiner Phase übertönen die Musiker das Ensemble, spielen auf eine - wie bereits erwähnt - sehr unauffällige Art die Partitur perfekt herunter. Musik muss nicht laut sein, um anzukommen, sie muss begleiten und gefallen und  genau das tut sie in Tecklenburg. Wie auch das Bühnenbild von Jens Janke. Der hat sich für eine clevere Aufteilung im Baukastenprinzip entschlossen,  bei dem zwei Elemente immer wieder in Bühnenwand eingeschoben werden, um das Kloster darzustellen, oder herausgezogen und gedreht werden, um das Clubambiente abzubilden. Hinzu kommt die Seitenbühne, auf der das aufklappbare Polizeirevier untergebracht ist sowie die Zellen der Nonnen, die auf dem oberen Bühnenbau angesiedelt wurden. Ein sehr schlüssiges Bild, dessen Umbauphasen schnell und problemlos von der Hand gingen.

Sehr klug und clever ist Karin Alberti – wieder einmal – bei ihren Kostümen vorgegangen. Ebenso einfach wie genial verwandeln sich da die braven Nonnen in Soul-Girls oder der scheinbar biedere „Schwitze-Fritze“ Eddie Fritzinger in den „Travolta der Nacht“. Alleine  die doppelte Verwandlung im Rahmen von „Tief in mir“ ist bereits das Eintrittsgeld wert.

Sehenswert sind auch die Choreografien von Till Nau. Natürlich ist eine Partitur mit so vielen Ensemble-Arrangements für jeden Choreografen eine Herausforderung. Nau meistert dies mühelos mit schwungvollen Tanzeinlagen, allerdings hätte man sich zur absoluten Perfektion vielleicht noch ein besonderes Leckerli gewünscht, eine Soloeinlage von Schwester Mary Nirvana oder den „Kochschwestern“ Mary Lichter und Mary Lafer.

An den letztgenannten Namen merkt man bereits, dass die Handlung in Tecklenburg immer wieder etwas „spezialisiert“ wurde. Immer wieder tauchen teils ältere, teils  tagesaktuelle Anspielungen auf. So steht das Kloster plötzlich zum Verkauf und wer hat Interesse? Die Russen! Doch Gott sei Dank wird es nicht nötig, das die Herren Perestroika und Gasnost (kein Tippfehler) ihr Schwarzgeld anlegen, schließlich schlägt Musik – zumindest auf der Bühne – alle konventionellen Übernahmeversuche.

Doch um so viel Inspiration und Kreativität auch zu vermitteln, bedarf es eines besonderen Ensembles, das nicht nur singen und tanzen können muss, sondern das gerade in den Fächern Mimik, Gestik, Ironie und Sarkasmus gut aufgepasst haben sollte. Und hier hagelte es Volltreffer für Sister Act. Allen voran ist hier Masha Karell zu nennen, die als Mutter Oberin die perfekte Besetzung darstellt. Wunderbar spielt sie mit ihrem Talent die Mischung aus Mutterinstinkt, Hilflosigkeit, Schwarzem Humor und Starker Frau. Sie wirkt auf eine besondere Art entspannt und locker, genießt mit zunehmendem Verlauf der Show ihre Rolle immer mehr und animiert selbst mit kleinsten verbalen Ergüssen das Publikum zum Lachen. Da sie zudem auch noch eine wunderbar klare Stimme besitzt, könnte diese Rolle kaum besser besetzt sein, Chapeau!.

Als Deloris van Cartier ist mit Peti van der Velde eine alte Bekannte wieder zurück in Tecklenburg, wo sie bereits 2004 und 2006 in „Hair“ und „Kiss me, Kate“ zu sehen war. Ihr Stimmvolumen ist seither mächtig gewachsen und verdient inzwischen das Prädikat „Powerstimme“. Auch schauspielerisch liefert sie eine gute Leistung, hat allerdings ein Problem. Denn man hört und vor allem sieht ihr an, dass sie hoch konzentriert versucht, ihren deutschen Text phonetisch fehlerfrei zu artikulieren. Dadurch wirkt sie extrem angespannt und nicht wirklich freigespielt. Da aber fast alle ihre Kolleginnen und Kollegen auf der Bühne schon zur Premiere Spaß hatten und völlig befreit wirkten, was letztlich massiv zum großen Erfolg der Premiere beitrug, fällt ein solcher Kontrast schon ins Auge. Vielleicht sollte sie einfach mal etwas weniger auf die korrekte Aussprache achten, als einfach sie selbst zu sein und Spaß zu haben, dann sollte auch Peti van der Velde sich schnell freigespielt haben.

Diesen Spaß hat Martin Pasching alias Curtis Jackson bereits. Man sieht seinem Gesicht an, wie sehr ihm die Rolle des machomäßigen Möchtegern-Bösewichts liegt, er zelebriert seine Texte und singt auch musikalisch absolut auf den Punkt, sollte mal jemand „Der Pate“ als Comedy-Musical erfinden, wäre Martin Pasching zweifellos die Idealbesetzung.

Fabio Diso spielt in Tecklenburg Eddie Fritzinger, den heimlichen Verehrer von Deloris aus Kindertagen. Anfänglich noch etwas nervös, spielt er sich im Laufe der Premiere frei und holt sich die Sympathien des Publikums spätestens ab seinem großen Solo „Tief in mir“. Da fällt kaum auf, dass er vom Alter her eigentlich zu jung wirkt, um rollentechnisch mal mit Deloris auf die gleiche Schule gegangen zu sein, aber das vergisst man eigentlich recht schnell wieder.

Die Riege der Nonnen verdient sich ein Extralob. Ob Mona Graw als Mary Lazarus, Jenny Kohl als Mary Patrick, Regina Venus als Mary Nirvana oder Janina Niehus als Mary Teresa, um nur einige zu nennen, sie stehen stellvertretend für eine qualitativ hochwertige, Spaß habende Gruppe von Klosterschwestern, die in ihren jeweiligen Rollen voll aufgehen. Ohne ihre Leistung auch nur ansatzweise schmälern zu wollen, muss aber eine Künstlerin hier besonders erwähnt werden. Katia Bischoff spielt die wohl beste Schwester Mary Robert, die es bislang auf deutschen Bühnen zu sehen gab. Schauspielerisch schon extrem stark, ist ihre Interpretation von „Die Welt, die ich nie sah“ einer der absoluten Showstopper des Abends. Diese Frau hat stimmlich und schauspielerisch so viel Talent, dass, sofern sie sorgsam und demütig damit umgeht, sie derzeit wohl die hoffnungsvollste deutsche Bühnendarstellerin im Musicalbusiness überhaupt ist und Vergleiche mit europäischen Topstars wie einer (jungen) Pia Douwes oder Maya Hakvoort nicht mal ansatzweise scheuen muss.

Unbedingt erwähnen müssen wir auch noch ein Männerquartett. Andreas Göbel gibt einen  sehr sympathischen Monsignore, der auch die Launen seiner Mutter Oberin zu händeln weiß. Und Florian Albers, Benjamin Eberling und Mathias Meffert sind als Curtis Jacksons Handlanger eine Show für sich. Einer der größten Lacher des Abends ist ihr Terzett zu „Hey Schwester“, zu dem wir aber an dieser Stelle nicht mehr verraten möchten.

Fazit: Die Würdenträger der katholischen Kirche sollten Tecklenburg einen Besuch abstatten, denn so macht Kirche Spaß und ist auch mal für positive Schlagzeilen gut. Wer ein tolles Ambiente, flott-entspannte Musik und gut inszenierte Musicalproduktionen mag und zudem gerne lacht, für den ist ein Besuch auf der Tecklenburger Freilichtbühne in diesem Jahr ein absolutes Muss. Diese Show IST gut und TUT gut, also raus aus dem Alltag und ab ins Tecklenburger Land.


Rebecca in Magdeburg

Grandiose Power und starke Gefühle!

Domplatz Open-Air feiert nach zweijähriger Zwangspause mit dem Kunze/Levay Klassiker erfolgreiches Comeback!

Text: Vanessa Schäfer, Fotos: Andreas Lander

Die Erwartungshaltung war groß, als wir uns auf den Weg nach Magdeburg machten. Nicht ohne Grund hat sich das dortige Theater in den letzten 20 Jahren einen hervorragenden Ruf im Musicalbereich erarbeitet, nicht zuletzt auch dank seiner grandiosen sommerlichen Open-Air Inszenierungen, zu denen u.a. „Les Miserables“, „Evita“, „Titanic“ oder die „Rocky Horror Show“  gehörten. Nach der Zwangspause durch Corona feierte nun „Rebecca“, das Musical von Michael Kunze und Sylvester Levay nach dem gleichnamigen Roman von Daphne du Maurier, seine Uraufführung vor dem mächtig aufragenden Magdeburger Dom.  Und bereits der erste Anblick der Bühne beim Betreten des Zuschauerraums ließ die Neugier auf das, was dort gezeigt würde, nochmals deutlich steigen. In vielen Bereichen wurden diese Erwartungen auch erfüllt, allerdings gab es nach Ende der Premiere auch einige Fragen, die vorzugsweise die Regie (Erik Petersen) betrafen.

Die Geschichte von „Rebecca“ dürfte den meisten auch aus der entsprechenden Verfilmung von Alfred Hitchcock bekannt sein. Der reiche Witwer Maxim de Winter (Patrick Stanke) lernt eine junge namenlose Frau kennen, die  dem Publikum nur als „Ich“ vorgestellt wird (Sybille Lambrich). Er heiratet sie und nimmt sie mit auf seinem Wohnsitz Manderley. Dort wird der Geist von Maxims auf mysteriöse Weise ums Leben gekommene Ehefrau Rebecca vor allem von der Haushälterin, Mrs Danvers (Kerstin Ibald) immer wieder beschworen. Zwischen den beiden Frauen kommt es zu Spannungen, unter denen auch Maxim und sein Umfeld zu leiden haben. Am Ende kommt es zum dramatischen Höhepunkt, wenn Manderley in Flammen aufgeht.

Optisch hat man in Magdeburg wieder viel dafür getan, um dem Ensemble optimale Möglichkeiten zu bieten. Während sich im Hintergrund das Domschiff in die Höhe türmt, ist davor eine flache, in Teilen bewegliche Bühne aufgebaut worden, in deren Mitte ein großes Wasserbecken angesiedelt ist. Dieses Bild wird mit diversen beweglichen Bauteilen und Requisiten versehen, besonders beeindruckend dabei die beiden gegenüberliegenden Treppen oder auch das Boot. Und auch der brennende  Abschluss der Show ist sehr einprägsam gestaltet und hinterlässt Gänsehaut.Dirk Hofacker hat hier etwas großes geschaffen, unterstützt von – überwiegend - sehr passenden Kostümen von Kristopher Kempf. Ein großer Vorteil des im vorderen Bereich flachen Bühnenaufbaus sind auch die gut choreografierten Massenszenen, bei denen der Magdeburger Opernchor sowie das ansässige Ballett zu begeistern wissen (Choreografie: Sabine Arthold).

Allerdings stellt man sich mit fortlaufender Dauer immer öfter die Frage, warum sich die Regie so extrem auf das Wasserbecken als Ort für die Handlung konzentriert. Sicherlich ist das in einigen Szenen thematisch geboten. Aber oftmals fragt man sich, warum in Momenten, die dramaturgisch nun so gar nichts mit Wasser zu tun haben, die Darsteller wieder eine „Kneippkur“ machen müssen, hier wäre weniger definitiv mehr gewesen. Stattdessen hätte man sich mehr Personenregie gewünscht, denn gerade Sybille Lambrich kommt nicht ansatzweise an die Ausstrahlung heran, die ihre Vorgängerinnen andernorts als „Ich“ erlangt haben. Ihre Rolle ist sehr widersprüchlich angelegt, das irritiert phasenweise und überdeckt ihren zweifelsohne schönen Gesang.

Ganz anders ist das bei Kerstin Ibald. Sie ist als Haushälterin das absolute Highlight dieser Inszenierung, sorgt sogar für Gänsehaut in Momenten, in denen sie weder spricht noch singt. Eine bemerkenswerte Ausstrahlung, eine kraftvolle, alle Nervenbahnen erzittern lassende Stimme und eine unglaubliche Bühnenpräsenz machen sie zum Star dieser Inszenierung.

Auch Patrick Stanke kann gesanglich und schauspielerisch als Maxim absolut überzeugen. Allerdings gibt es ein anderes Problem, denn da man seine Rolle optisch viel eleganter in Erinnerung hat, muss man sich erst an den neuen Anblick gewöhnen, zumal man in dieser Rolle bislang eigentlich eher große hagere Darsteller gewöhnt war. Und ausgerechnet sein Kostüm gehört zu den wenigen Fehlgriffen, denn das stark vertretene Grau passt genauso wenig zu Stanke wie sein kleiner Oberlippenbart, beides verleiht ihm optisch eine eher biedere Ausstrahlung..

Insgesamt liefert das Ensemble auf dem Domplatz ein starkes Bild, dazu gehören vor allem Amani Robinson als Mrs. van Hopper,  Marc Clear als Frank Crawley, Robert David Marx alias Jack Favell oder Lutz Standop als Giles. Besonders in Erinnerung bleiben aber die Massenszenen, wo Magdeburg mal wieder aus dem Vollen schöpft und die ganze personelle wie stimmliche Wucht aufbieten kann. Leider war der Sound zur Premiere sehr durchwachsen, offenbar hatte der Ton sehr wenig Zeit, sich auf die Show vorzubereiten, denn so viele Tonprobleme und Mikrofonpannen ist man aus Magdeburg eigentlich nicht gewöhnt, diese sollten allerdings im Laufe der Spielzeit abgestellt werden.

Fazit: Rebecca als Domplatz Open Air ist auf alle Fälle eine Reise wert, auch wenn man in Teilbereichen kleine Abzüge in der B-Note machen muss. Die Qualität des Ensembles und die wunderbare Musik von Sylvester Levay übertünchen die Fragezeichen bei der Regie und sorgen insgesamt für einen sehr unterhaltsamen, manchmal atemberaubenden und immer wieder Gänsehaut erzeugenden Abend.



Pfingstgala Tecklenburg

Tolle Stimmung und bestes Wetter Musical meets Pop!

Impressionen von Heiner Schäffer

Traditionell stand am Pfingstmontag nach zweijähriger Pause wieder die Gala "Musical meets Pop" auf der Freilichtbühne Tecklenburg auf dem Programm, sie gilt als Auftakt der Tecklenburger Freilichtsaison. Intendant Radulf Beuleke und der Musikalische Leiter Giorgio Radoja präsentierten ein buntes, Programm, wie immer zunächst im ersten Teil vom Musical und nach der Pause vom Pop dominiert. Das Publikum feierte die KünstlerInnen Peti van der Velde, Thomas Borchert, Katia Bischoff, Sascha Krebs, Masha Karrell, Alexander di Capri, Wietske van Tongeren und Fabio Diso in dem rund dreistündigen Programm und wurde natürlich auch schon auf die beiden Großproduktionen dieses Sommers, "Der Besuch der alten Dame" (Premiere 22. Juli) sowie "Sister Act" (Premiere 24.Juni) vorbereitet. Hier eine paar Fotoimpressionen der Gala von unserem Fotografen Heiner Schäffer:



















































Robin Hood - Das Musical in Fulda

Große Emotionen, große Musik, großes Ensemble!

Chris de Burgh und Dennis Martin präsentieren großartige Kompositionen im Schlosstheater!

Text: Jörg Beese, Fotos: Spotlight Musicals

Am 3. Juni 2022 war es endlich so weit. Nach knapp fünf Jahren Vorbereitung, davon zwei Jahre allerdings Corona-Zwangspause, feierte das Musical „Robin Hood“ der Spotlight Musicalproduktion in Kooperation mit Chris de Burgh seine vom Publikum umjubelte Uraufführung im frisch sanierten Schlosstheater in Fulda. Und das Spotlight für Überraschungen gut ist, zeigte sich auch am Premierentag, denn es fanden tatsächlich gleich zwei Premieren statt, eine am Nachmittag und die andere am Abend, eine eher ungewöhnliche Maßnahme in der Musicallandschaft. Die Reaktion der Zuschauer war allerdings einhellig, mit lang anhaltenden Standing Ovations feierten die jeweiligen Premierengäste die Inszenierung der Komponisten Chris de Burgh und Dennis Martin sowie der Autoren Christoph Jilo und Kevin Schröder, die von Regisseur Matthias Davids in Szene und von Kim Duddy choreografiert wurde.

„Bleib mir weg, die Geschichte kennt doch jeder und Männer in Strumpfhosen muss nun wirklich nicht sein.“ Mit diesen Worten wurde der Autor rund acht Stunden vor Premierenbeginn von einer Kollegin ins Auto verabschiedet, um auf der A7 die (Un-)Annehmlichkeiten des Pfingstreiseverkehrs kennenzulernen. „Denkste“ kann man da nur sagen, denn dieses „Robin Hood“ Musical hat weder etwas mit Strumpfhosen noch den allseits bekannten Handlungen aus Leinwandversionen mit Kevin Costner, Russell Crowe oder Errol Flynn zu tun. Wobei wir handlungstechnisch bereits in einem Dilemma stecken. Denn gerade weil in Fulda völlig neue Handlungsstränge gegenüber dem Altbekannten “Disney-Schischamdudel mit Happyend-Garantie“ erdacht wurden, soll an dieser Stelle gar nicht so viel über die – durchaus dramatische – Story verraten werden, diesen Eindruck können sich die Interessenten nämlich noch vor Ort bis zum 16. Oktober 2022 im Schlosstheater verschaffen, wo insgesamt 177 Shows gespielt werden. Knapp 80 Prozent der Karten waren bereits zur Premiere verkauft, man muss kein Prophet sein um vorauszusagen, dass am Ende wieder eine Auslastung mit einem hohen 90er Wert zu Buche schlagen wird. Laut Produzent Peter Scholz gibt es ab September auch noch hier und da gute Plätze zu erwerben, bis dahin sind meist nur noch Restkarten erhältlich. Kleiner Tipp des Autoren: Wer es zeitlich einrichten kann und angesichts horrender Lebenshaltungskosten auf den Geldbeutel schauen muss, sollte sich auf die Wochentage und die Nachmittagsveranstaltungen konzentrieren, da kosten Tickets, beispielsweise am Mittwoch oder Donnerstag, in der PK 1 nur 49,90 Euro. Aber selbst an den Freitag- und Samstagabenden ist „Robin Hood“ mit 69,90 Euro beim Preis-Leistungsverhältnis eine absolute “Daumen-hoch Empfehlung“.

Kommen wir also unter Außer-Acht-Lassung der Handlung zunächst zur Optik. War man von Spotlight zuletzt eher große Bühnenbilder wie bei „Die Päpstin“ oder „Der Medicus“ gewohnt, so gehen Regisseur Davids und seine Bühnenbildner Hans Kudlich und Conny Lüders nun wieder einen anderen, eher abstrakten Weg. Ein wenig erinnert dieser an den Spotlight-Klassiker “Bonifatius“, nur dass der Schwerpunkt diesmal neben einer weitgehend leeren Bühne nicht auf verschiebbare Quader, sondern auf cleveres Lichtdesign in Kombination mit kleinen, mobilen Requisiten sowie einer Bühne eingrenzenden LED- und Projektionswand besteht, aus der mittig ein circa sechs mal sechs Meter großes Teil mobil herausfahrbar und in verschiedene Neigungsstufen heb- und senkbar ist. Ansonsten präsentiert sich den Akteuren eine weitgehend leere Bühne, die sie aber zu füllen wissen. Es ist eine Geschmacksfrage, beim Kunze/Levay Klassiker„Elisabeth“ schieden sich seinerzeit auch die Geister. Die einen mochten das opulente Essener Bühnenbild, die anderen lieber die Wiener „Licht-und-Light-Show“. Letzteres trifft nun im Schlosstheater eher zu.


Bei den Kostümen hat sich Elke Quirmbach für sehr moderne Outfits entscheiden. Mal abgesehen vom Kettenhemd könnte Robin Hood zumindest fast jeden Szeneclub unserer Zeit problemlos betreten, ein bisschen Muskeln, ein bisschen Leder und coole Stiefel, da würde sich selbst Kaya Yanar  sein legendäres „Du kommst hir net rein“ verkneifen.Auch seine Mitstreiter und das Ensemble sind toll eingekleidet, nicht ist hier verstaubt oder aus der Klischee-Schublade entnommen, „Kostüme 12 Points“!

Musikalisch haben sich vielleicht viele Musicalfans vorab gefragt, ob diese Kombination aus Chris de Burgh und Dennis Martin funktionieren kann. Klare Antwort: Und wie! Beide liegen in ihrer emotionalen Musikalität voll auf einer Linie, so dass sich ein Reigen an flüssigen Kompositionen ergibt, bei dem man vom reinen Hinhören oftmals gar nicht sagen kann, von welchem der beiden Komponisten dieser Song eigentlich ist. Auch wenn der Ohrwurm natürlich „Freiheit für Nottingham“  (Don´t pay the Ferryman“) ist, so gibt es einige Ohrwürmer, darunter auch „Wir lassen Fünfe g´rade sein“ oder „Wir hab´n die Kohle“. Sollte dem einen oder anderen bei „Wir lassen Fünfe g´rade sein“ übrigens eine Assoziation zu einem sinnähnlichen Song aus einem anderen Musical kommen, dann ist sie/er damit nicht alleine. Einziger Wermutstropfen: Die Show ist sehr balladesk, was angesichts des Scripts nachvollziehbar ist, aber manchmal tut zu viel Schwermut auch nicht gut, zwei oder sogar drei weitere Uptempo-Arrangements würde “Robin Hood“ gut tun.








Und da kommt die Regie ins Spie. Ausdrücklich loen muss man Matthias Davids für seine Personenregie. Es ist völlig legitim, bei einem so starken Ensemble den Fokus auf die Künstler zu legen. Allerdings hat er dabei entweder etwas übersehen oder er hat sich den Autoren einfach gebeugt, jedenfalls kommt die Inszenierung in den ersten 30 Minuten eher schwer in Fahrt. In dieser Phase fehlen, genau wie auch zum Schluss der Show hin, die auflockernden Momente zum Luft holen, zum Spaß haben. Wie man das in Perfektion macht, hat Fulda seinerzeit mit „Bonifatius“ bewiesen, wo Spaß, Romantik und Dramaturgie perfekt miteinander kombiniert wurden, was die Geschichte um Wynfreth von Credition, so sein bürgerlicher Name, auch heute noch zum wohl besten aller bisherigen Spotlight-Musicals macht. In den Passagen vor und nach der Pause funktioniert dies auch bei “Robin Hood“, wofür auch gerade Bruder Tuck sorgt. Von diesen Momenten wünscht man sich definitiv noch mehr, bei aller Dramatik in dieser, soviel sei verraten, „Tragödie“.  Aber auch einzelne Szene hätte man griffiger arrangieren können, die Befreiungsszene von Loxley vom Galgen beispielsweise wirkt doch etwas mit der heißen Nadel gestrickt. Umso schöner sind die Ensembleauftritte inszeniert und choreografiert, hier haben Davids und die wieder einmal tolle Arbeit abliefernde Kim Duddy ganze Arbeit geleistet, wobei die Choreografien gerne noch länger hätten dauern können.

Und damit wären wir beim Ensemble. Viele dieser Künstler und deren Qualität kennt der Autor seit Jahren, von daher war klar, dass hier auf höchstem Niveau gespielt werden würde. Das Mark Seibert in der Hauptrolle abliefert, ist  keine Überraschung. Mit seiner Stimme und seinem coolen Spiel ist er nun mal einer der Top Fünf der (männlichen) deutschen Musicaldarsteller und beweist dies auch im Schlosstheater wieder. Was man gelegentlich vermisst sind aber die emotionalen Zwischentöne, gerade im zwischenmenschlichen Bereich, die unausgesprochene Kommunikation. Seibert spielt nur bis zum Sommer und wird dann von Friedrich Rau und Sascha Kurth abgelöst, die auch aktuell schon immer wiededr den Bogen schwingen lassen dürfen.  An Seiberts Seite überzeugt Johanna Zett als Marian sowohl mit ihrer extrem klaren, kräftigen Stimme als auch mit ihrer schauspielerischen Darbietung. Sie ist ein Sympathieträger und beeindruckt mit ihrer Körpersprache.

Richtig gut drauf sind die „Bösewichter“. Thomas Hohler als Robins früherer Freund und letztlicher Todfeind Guy von Gisbourne ist ein sehr emotionaler „Mistkerl“, schauspielerisch stark und gesanglich ein absoluter Hinhörer. Genauso wie Christian Schöne, der in Fulda bereits als Gewilip und Anastasius in ähnlichen Rollen brillieren konnte und der im Vergleich mit Hohler schauspielerisch noch einen drauf setzt und mit seiner, pardon für die Wortwahl, “Kotzbrockendarstellung“ von King John begeistern kann. Großes Kino auf der “dunklen Seite der Macht“!

Sind die Hauptdarsteller bis hierhin bereits gut, so muss man zwei DarstellerInnen nochmal zusätzlich hervorheben. André Haedicke als Bruder Tuck hat, obwohl sein Bauchumfang so gar nicht ins Klischeebild passt, das Publikum auf seiner Seite, vermutlich auch, weil er die einzig wirklich lustige und aufmunternde Rolle im Stück hat. Er interpretiert sie aber herausragend mit höchsten Entertainer-Qualitäten. Sein "Wir lassen Fünfe g´rade sein" ist ein Showstopper und das er am Ende wohl der Künstler mit dem lautesten Schlussapplaus im Theater war, hatte er sich wahrlich als verdient.

Euphorische Reaktionen bekam auch eine Künstlerin, die seit 15 Jahren ihren Beruf ausübt und wohl zu den am meisten unterschätzten Künstlerinnen dieser Branche zählt. Melanie Gebhard ist als Äbtissin in einer eher kleineren Rolle zu sehen und zu hören, aber was sie daraus macht ist herausragend. Gebhard hat sich fraglos zu einer der besten, wenn nicht die beste, deutschen Charakterdarstellerinnen auf der Musicalbühne entwickelt und hätte längst größere Rollen verdient. Es wäre mit Sicherheit spannend, sie beispielsweise mal als Lucy in Jekyll & Hyde oder Eva Duarte in Evita zu sehen, Rollen, in denen die emotionale Vielfalt also gegeben wäre.

Während Dennis Henschel seinen Job als Will Scarlett makellos performt und Thomas Christ einen sehr sympathischen Sheriff von Nottingham abgibt (war das im TV nicht immer ein Bösewicht?), hat einer der Künstler allerdings ein Problem. Wohlgemerkt nicht mit seiner Leistung, aber mit seiner Doppelrolle. Denn Reinhard Brussmann, der in Fulda mittlerweile schon zum Inventar gehört, liefert zunächst eine ebenso starke wie überraschend negativ betonte und inszenierte Leistung als Robins Vater  ab. Doch diese Rolle ist dermaßen präsent und polarisierend inszeniert, dass man dem Künstler, der sie spielt, nach der Pause nicht mehr abnimmt, nun in neuem Gewand als Little John plötzlich wieder einer von den “Guten“ zu sein.  Hier ist die Glaubwürdigkeit der Rolle nicht vorhanden, da hätte man vom Typ her eher auf einen Andreas Lichtenberger oder einen Enrico de Pieri zurückgreifen können.

Ein dickes Lob gebührt auch den Kinderdarstellern sowie dem grandiosen Tanzensemble, von dem man, siehe oben, gerne noch mehr gesehen hätte. Und ein kleiner Tipp: Wie aus den Previews zu hören war, überzeugen auch die Zwei- und Drittbesetzungen mit sehr starken Leistungen, es muss also überhaupt kein Nachteil sein, wenn man eine Show ohne die Erstbesetzung erwischen sollte.


Zusammenfassend ist zu sagen, dass Robin Hood – Das Musical einige Überraschungen zu bieten hat sowie besonders starke Leistungen bei Musik, Kostümen und Ensemble. Auch wenn manchmal die Leichtigkeit fehlt, ist die Show sehr unterhaltsam und man ist   als ZuschauerIn mit dem Fokus klar bei den Künstlern. Eine Show, die man gesehen haben sollte, gerade wenn man auf emotionale Handlungen steht.





3 Musketiere in Magdeburg

Große Gefühle, starke Kampfszenen und ein aufgehender Stern!

Mantel- und Degen Spektakel begeistert das Publikum an der Magdeburger Oper!

Text: Jörg Beese, Fotos: Nilz Böhme

Mit der Premiere des Musicals „3 Musketiere“ nach dem Roman von Alexandre Dumas und der Musik der Gebrüder Rob und Ferdi Bolland hat sich das Theater Magdeburg an ein Musikspektakel der jüngeren Musicalgeschichte heran gewagt und sich dafür namhafte Verstärkung ins Haus geholt. Unter der Regie von Ulrich Wiggers und der Musikalischen Leitung von Damian Omansen ist dabei eine Inszenierung der Emotionen und großen Gefühle entstanden, die vielleicht in ein paar kleinen optischen Details Fragezeichen aufwerfen könnte, ansonsten aber ein Muss für alle Fans und Liebhaber des dramatisch-emotionalen, humorvollen und soundstarken Musicals sein sollte. 

Seit die Stage Entertainment 2003 in Rotterdam diese neue Show zum ersten mal auf die Bühne brachte, damals noch mit Boygroup-Ikone Bastiaan Ragas, Pia Douwes sowie Henk Poort und Stanley Burleson in den Hauptrollen, wurde es im Zuge seiner Premiere und anschließenden Wanderschaft in Deutschland immer wieder verändert. Gerade die Handlung wurde immer weiter entwickelt, verfeinert und den Gegebenheiten des 17. Jahrhunderts angepasst. Auch in der Metropole Sachsen-Anhalts macht das Stück wieder einen Schritt nach Vorne, nach einem Muster, das gerade den eingefleischten Musicalfans bekannt vorkommen dürfte. Denn Ulrich Wiggers hat sich eines Kunstgriffs bedient und erzählt die Geschichte von D´ Artagnan und den drei Musketieren aus Sicht des Erzählers. Diesen hat er, ganz analog zu „Der Mann von La Mancha“, in ein Hugenottengefängnis gesteckt, wo die Gefangenen nun die verschiedenen Rollen in diesem Drama zu Zeiten der Glaubenskriege nachspielen. Der Roman wird durch diese Idee als Erzählung greifbarer, wer allerdings jenen „Mann von La Mancha“ bereits live erleben durfte, dem dürfte zu Beginn der Geschichte ziemlich schnell der Gedanke an ein Dejavu kommen.

Freunde des opulenten Bühnenbildes werden in Magdeburg voll auf ihre Kosten kommen. Leif-Erik Heine hat große Bühnenelemente geschaffen, die flexibel bewegbar sind und daher alle benötigten Szenarien in kürzester Zeit darstellen können, erstaunlich, wie fließend zur Premiere diese Umbauten bereits funktionierten. Die Kostüme, ebenfalls von Heine kreiert, passen sich dem Zeitalter der Geschichte an und überzeugen nicht durch Glanz und Gloria, sondern durch Realismus.

Die Choreografien, für die die Tecklenburg-erprobte Kati Heidebrecht verantwortlich zeichnet, sind wieder sehr emotional, schwungvoll und auch dramatisch inszeniert. Absoluter Höhepunkt dabei ist die Choreo zu „Nicht aus Stein“, zu der wir an dieser Stelle aber nicht zu viel verraten wollen.

Musikalisch hat Damian Omansen sein Orchester nicht nur perfekt im Griff, die Musiker haben hörbar Spaß am rockigen Sound der Bolland-Brüder. Musikalisch gibt es daher überhaupt nichts auszusetzen, selbst bei einer abgedunkelten Bühne wäre allein schon der Sound einen Besuch wert.

Leider nicht ganz so optimal sind die Mikrofone der Künstler ausgesteuert. Gibt es bei den Hauptdarstellern wenig zu bemängeln, so liegen hier und da einige „Schatten“ auf den Mikros des Ensembles bzw. der Nebenrollen. Bei der Premiere waren die Mikros vom Conferencier (Christoph Bangerter), Königin Anna (Jeanett Neumeister) und Aramis (Daniel Rakász) am häufigsten davon betroffen, diese Probleme sollten aber im laufe der zeit in den Griff zu bekommen sein.

Dramaturgisch hat Ulrich Wiggers sich neben dem Erzählungsmodus auch im Laufe der Show einige Änderungen einfallen lassen. Wir wollen an dieser Stelle nicht zu viel verraten, denn das eine oder andere dürfte Musicalfans sicherlich auch überraschen. Aber zumindest der Hinweis auf das Damen-Trio bei „Wer kann schon ohne Liebe sein“ darf erlaubt sein, denn das ist nicht nur anders platziert als sonst, sondern dank des Bühnenbildes auch extrem nachhaltig und sicherlich der emotionale Höhepunkt im ersten Akt. Insgesamt ist die Show durch die filigrane Szenenbearbeitung sehr kurzweilig und unterhaltsam, wobei der Humor nie zu kurz kommt.

Ob die Maske bewusst zu diesem Humor beitragen wollte ist dem Autoren nicht bekannt. Aber sowohl die Perücke von D´Artagnan als auch das Outfit von Porthos lassen den Besucher zwangsläufig grinsen, wobei man sich schon fragt, ob das auf der Bühne wirklich Porthos oder nicht doch eventuell Obelix ist, der da gerade seine Spielchen mit den Römern, pardon, den Kardinalsschergen treibt.

Ein weiterer großer Pluspunkt dieser Inszenierung sind die Künstler. Vor 14 Jahren stand Patrick Stanke noch als Draufgänger D´Artagnan im Theater des Westens auf der Bühne, nun agiert er als Kardinal Richelieu auf herrlich niederträchtigem und intrigantem Niveau, emotionalisiert aber die Besucher auch durch die innere Zerrissenheit mit dem Highlight seiner tänzerischen Kreuzigung bei „Nicht aus Stein“. 

Florian Peters spielt einen sehr überzeugenden, stimmstarken und auch schauspielerisch überzeugenden D´Artagnan. Wenn da nur nicht sein gruselige Perücke wäre, die irgendwie an den “Wischmob“ erinnert, den Deborah Sasson bei ihrer „Phantom der Oper“-Fake Tour trägt, nur dass hier die untersten Zotteln abgeschnitten wurden. Aber ansonsten ist Peters richtig gut, seine Stimme schwankt zwischen Kraft und Emotion, sein Spiel ist überzeugend und seine Fechtkämpfe sind, wie übrigens insgesamt in dieser Inszenierung, herausragend, ein dickes Lob hierfür an den Kampfchoreografen Klaus Figge.


An D´Artagnans Seite agieren wie gewohnt Athos, Porthos und Aramis. Während Daniel Rákász als Aramis mit seinen feinsinnigen Sprüchen punktet und Porthos (Benjamin Eberling)mit seiner Obelix-Parodie für Gelächter sorgt, ist Lucius Wolter als Porthos der Mann, dem der musikalische Showstopper dieses Musicals gehört. Der „Engel aus Kristall“, in den letzten 15 Jahren mehrfach zum Musical-Ohrwurm des Jahres von den Musicalfans gewählt, kann auch in Magdeburg überzeugen. Auch wenn Wolter nicht über die klassische Stimme eines Marc Clear verfügt, der diese Rolle und diesen Song in Deutschland populär gemacht hat, so versteht er es hervorragend, durch die Mischung aus Spiel und Gesang zu  punkten. Seine Fechtkünste überzeugen genau wie sein feiner Humor und seine Zerrissenheit zu Milady de Winter.

 Apropos Milady. Katja Berg gehört ohne Zweifel zu den ausdrucksstärksten Künstlerinnen, die wir im deutschsprachigen Raum haben. Dass Katja Berg eine großartige humoristische Ader besitzt, weiß eigentlich jeder, in Magdeburg zeigt sie aber auch, welche große Charakterdarstellerin und Sängerin sie ist. Großartig ihr abschließendes Duett mit Lucius Wolter bei „Wo ist der Sommer“, das ist emotionales Musical vom feinsten.

Die absolute Entdeckung der Magdeburger Inszenierung ist aber eine andere Künstlerin, die die meisten Musicalfans bislang kaum kennen dürften, was sich schleunigst ändern sollte. Katia Bischoff liefert als Constance eine großartige Darbietung ab und erinnert in Ausstrahlung Stimme und ihrem extrem natürlichen Spiel an die junge Pia Douwes. Trotz ihrer Jugend ist ihre darstellerische wie gesangliche Qualität dermaßen hoch, dass man sie sich sofort in diversen großen Rollen des Genres vorstellen könnte, nicht nur als „Elisabeth“, sondern auch als „Päpstin“, „Lucy Harris“, „Sarah“ oder zum Beispiel als Lady Marian im neuen Spotlight-Musical „Robin Hood“. 

Neben den Gästen komplettiert das Ensemble der Oper Magdeburg die Cast in diesem Musical, wobei besonders Andreas C. Meyer in seiner Doppelrolle als Ludwig XIII und Herzog von Buckingham sowie Christoph Bangerter alias James/Conferencier zu erwähnen sind . Ein besonders Lob gebührt dem Ballett des Theaters Magdeburg, das die Choreografien sehr intensiv, aber immer mit zur Schau gestellter Leichtig- und Fröhlichkeit umsetzt. 

Insgesamt erwartet die Besucher bei den „3 Musketieren“ ein unterhaltsamer, emotionaler, humorvoller und vor allem kurzweiliger Abend, bei dem viele Facetten des Genres Musical mit höchster Präzision und Qualität dargeboten werden. Wer die Anreise in Kauf nimmt, dürfte nicht enttäuscht werden. 


Bonifatius in Fulda

Spektakel vor grandioser Kulisse!

Rund 36.000 Besucher feiern die Rückkehr des preisgekrönten Musicals vor dem Fuldaer Dom!

Text: Jörg Beese, Fotos: Heiner Schäffer

Es war vermutlich die Musical-Wiederaufnahme mit der größten Beachtung im Jahr 2019. „Bonifatius – Das Musical“ kehrte nach vielen Jahren Pause wieder nach Fulda zurück und das auch noch Open-Air auf dem dortigen Domplatz. In acht komplett ausverkauften Vorstellungen feierten rund 36.000 Zuschauer die Geschichte von Winfrid von Crediton, der nach seinem Tod als Missionar Bonifatius vom Papst heilig gesprochen wurde. 2005 wurde Bonifatius vom Musicalpublikum zum besten deutschen Musical gewählt und konnte auf eine breite Fangemeinde zurückgreifen, entsprechend hoch war die Erwartungshaltung an Regisseur Stefan Huber und die Verantwortlichen der Spotlight Musicalproduktion. In vielen Bereichen wurde diese Erwartungshaltung auch erfüllt, allerdings gab es zumindest in einem Bereich auch Grund zu Diskussionen, denen wir uns am Ende unseres Berichts widmen wollen.

Alleine optisch hat Fulda mit diesem Open-Air Spektakel neue Maßstäbe im Musicalbereich gesetzt. Eine grandiose Kulisse vor dem historischen Dom mit massivem Technikaufwand, eine rund 60 Meter breite Bühne, Zuschauertribünen mit rund 4.400 Plätzen und dazu eine eigene „Fressmeile“ mit angegliedertem VIP-Bereich. Fulda hat in diesem Bereich neue Maßstäbe gesetzt, allerdings wird sich dies nicht alljährlich wiederholen, denn die Kosten für diesen Aufbau mit allem Drum und Dran liegen im siebenstelligen Bereich und waren nur mit Hilfe der Stadt Fulda anlässlich des Stadtjubiläums zu stemmen, für Spotlight alleine wären solche Kosten kaum wieder einzuspielen. „Aber vielleicht ergibt es sich ja, dass man alle zwei bis drei Jahre so etwas wiederholen kann“, philosophierte Produzent Peter Scholz, der mit seinen Gedanken schon wieder bei der nächstjährigen Welt-Uraufführung von „Robin Hood – das Musical“, dann wieder im schnuckeligen Fuldaer Stadttheater, ist. Übrigens sind heute bereits über 56 Prozent des Kartenkontingents für „Robin Hood“ verkauft, ein Zeichen dafür, wie groß der Vertrauensvorschuss für die Fuldaer Musicalmacher inzwischen ist.

Besonders das Lichtdesign (Sven Sauer) auf dem Domplatz wusste bei „Bonifatius“ zu überzeugen, der in gleißendes Licht gehüllte Dom, der mit unterschiedlichen Projektionen beleuchtet wurde, bildete einen grandiosen Hintergrund für die Geschichte, die auf einer mit einem Glasdach überdachten Bühne gespielt wurde und insgesamt dreigeteilt war. Auf der linken Bühne war das Orchester der Kölner Symphoniker unter der Leitung von Inga Hilsberg untergebracht, die einen ebenso hervorragenden Job ablieferten wie der extra für diese Produktion zusammengestellte 130-köpfige „Symphonische Chor Bonifatius“ unter der Leitung von Carsten Rupp, der auf der rechten Seite der Bühne platziert war. In der Mitte spielte die Geschichte überwiegend auf einem schrägen Rondell, das mit einem heb- und senkbaren Deckel versehen war. Oberhalb von Chor und Orchester waren zudem zwei riesige Projektionswände montiert, die aber leider nur zeitweise für Impressionen genutzt wurden und – leider für die Zuschauer, die in größerer Entfernung saßen - trotz installierter Kameras nicht das Geschehen auf der Bühne wiedergaben.

Die Kostüme von Okarina Peter waren eine Mischung aus Vergangenheit und Gegenwart, analog zur Handlung, die zu Beginn und zum Ende in der Gegenwart spielt, dazwischen eben jene Geschichte von „Bonifatius“ erzählt.

Für die Choreografien zeichnete Danny Costello verantwortlich,der für seinen Job nicht zu beneiden war. Denn Bonifatius in seiner Urfassung hatte ohnehin schon relativ wenig an Tanzeinlagen zu bieten, die des Jahres 2019 wurden teilweise noch personell reduziert, wodurch vor allem der frühere Showstopper „Salz der Erde“ deutlich an Wirkung verliert.

Beim Ensemble haben die Produzenten überwiegend ein gutes Händchen bewiesen. Allerdings darf man auch nicht verschweigen, dass ein Reinhard Brussmann seit der Premiere 2004 inzwischen auch 15 Jahre älter geworden ist. Er konnte nicht mehr diese Kombination aus unbeschwerter Leichtigkeit und feinem Humor, die ihn seinerzeit auszeichnete, über drei Stunden umsetzen, auch stimmtechnisch bekam er gerade bei seinem zweiten großen Solo „Ein Leben lang“ hinten heraus ein paar kleine Probleme. Dennoch insgesamt eine ordentliche Leistung.

Star des Abends, das merkte man auch beim Schlussapplaus, war allerdings Friedrich Rau in der Rolle des Sturmius. Rau brilliert in diesem Wechsel aus jugendlicher Euphorie, Verliebtheit und kirchlichem Gehorsam. Schauspielerisch bärenstark ist er auch gesanglich eine Bank. Absolutes Highlight eigentlich der gesamten Inszenierung ist sein Duett mit Judith Jandl als Alrun bei „Kann das wirklich Liebe sein“, ein absoluter Gänsehautmoment, der der Urfassung von 2004 absolut gleich kommt. Jandl stellt insgesamt eine hervorragende Bühnenpartnerin dar, singt einwandfrei und ist auch schauspielerisch brillant.

Der Bösewicht vom Dienst ist bei Bonifatius der Mainzer Bischof Gewilip. Frank Winkels gab sich alle Mühe, diese Rolle mit einem gehörigen Maß an Boshaftigkeit auszufüllen, allerdings fehlte ihm im Gegensatz zu seinen Vorgängern Stefan Poslovski und Christian Schöne eine Faktor, der bei den beiden Genannten noch zusätzlich einfloss, nämlich die Mischung aus körperlicher Ekstase und natürlich-verbalem Sarkasmus. Waren Poslovski und Schöne in Personalunion Buhmann und Publikumsliebling, kann Winkels nur den Unsympathen nahtlos ausfüllen.

Andreas Lichtenberger ist als Heidenführer Radbod gewohnt burschikos und draufgängerisch in Aktion zu sehen, er spielt seine Rolle souverän und singt auch sauber. Schade ist, dass das Lichtdesign bei seinem ersten Auftritt keine wirklich Idee zu haben schien, seine unheimliche Rolle beispielsweise in Form von langgezogenen Schatten stärker zu illuminieren. Natürlich ist ein solcher Auftritt auf einer so großen Bühne schwieriger zu inszenieren als im kuscheligen Schlosstheater, aber etwas mehr Gedanken hätte man sich hier sicher machen können.

Starke Partien liefern auch Karsten Kenzel, Simon Steiger und Tom Schimon als Luitger, Karlmann und Pippin ab. Allerdings haben sie genau wie Anke Fiedler als Lioba das Problem, dass die Regie ihre Rollen gegenüber der Uraufführung doch etwas in den Hintergrund gerückt hat, wodurch gerade die entspannten, humoresken Momente deutlich zurückgefahren wurden.

Damit wären wir auch schon bei dem Punkt angelangt, der zwischen Kennern und Neulingen dieses Musicals zu vielen Diskussionen führte. Stefan Huber ist als Regisseur bekannt für seine Liebe zum Detail, für seine extrem dezidierte handwerkliche Umsetzung und vor allem für schlüssige Handlungsabläufe. Seine szenischen Übergänge sind absolut perfekt und blitzschnell umgesetzt. Da ist dann aber in der Regel auch wenig Platz für Pathos oder Albernheiten. Und genau das hat Bonifatius 2004 so einmalig gemacht. Die Huber-Inszenierung 2019 war sehr dramatisch-spektakulär angelegt, aber die verschiedenen Emotionen, die Verschnaufpausen, die ein gutes Musical auch mal braucht, wurden deutlich weniger. Um nicht missverstanden zu werden: Dies ist kein Fehler oder Mangel, es ist eine Frage des persönlichen Geschmacks. Stefan Huber wollte den Fokus auf die handelnden Personen und deren Schicksal lenken und duldet dabei keine Ablenkungen, keine zwischenzeitliche Leichtigkeit. Dadurch wirkt die Inszenierung nicht nur extrem stringent, sondern sie wirkt in vielen Bereichen perfekt. Der Kick bei einem herausragenden Musical ist aber oftmals, dass es eben nicht perfekt ist, sondern emotional-menschliche Schwächen oder Randnotizen zulässt. Allerdings: In einer Sache hat Stefan Huber eine sehr gelungene Idee auch sehr entspannt umgesetzt. Die Rolle des Conferenciers Willibald (Alexander von Hugo) wurde völlig neu gestaltet und bietet durchaus Platz für Humor, denn an seine Seite wurde mit Max Gertsch ein sehr humoresker Künstler gestellt, der mit seiner Art das Publikum begeistert. Die Musicalfans dürfen also ihrem Diskussionsbedarf freien Lauf lassen.

Fazit: Bonifatius im Jahr 2019 ist erwachsen geworden. Es ist wesentlich dichter an der Perfektion, aber etwas weiter entfernt von der Emotionalität der Urversion. Optisch hat Fulda einen Quantensprung für Open-Air Musical-Inszenierungen geschaffen. Die Besucher waren begeistert, zumal das Wetter auf dem Domplatz an allen Veranstaltungstagen – fast – perfekt war. Fulda dürfte in diesem Sommer das Musical-Zentrum der Republik gewesen sein, nach den grandiosen Inszenierungen von „Die Päpstin“ und „Der Medicus“ nun ein spektakulärer Bonifatius. Man möchte den Verantwortlichen der Stadt und von Spotlight Musicals wünschen, dass man diesen Level halten kann und nicht den Fehler anderer Städte in der Vergangenheit macht, die den vorhandenen, überregionalen Zuschauer-Vertrauensbonus ungenutzt verstreichen ließen. Vorerst bleibt eines Fakt: Fuldas Musicalsommer ist definitiv eine Reise wert!




Doktor Schiwago in Tecklenburg

Eine Achterbahnfahrt der Emotionen!

Wiggers, Ammann, Jovanovic und Co rühren das Publikum zu Tränen im Minutentakt!

Text: Jörg Beese, Fotos: Heiner Schäffer

Es war der krönende Abschluss eines emotionalen Abends. Als sich das komplette Ensemble der Tecklenburger Freilichtbühne bereits im großen Finale auf der riesigen Bühne der alten Burgruine anlässlich der Beerdigung des Titelhelden Jurij Schiwago versammelt hatte, ihm seine große Liebe Lara und seine Tochter, die ihn nie leibhaftig zu Gesicht bekommen hatte, ihre ganz persönlichen Abschiedsgrüße vorgelesen hatten, da trat Jan Ammann im letzten Moment im Zentrum der höher gelegenen Galerie ebenfalls nochmals ins Rampenlicht und ließ zum letzten mal an diesem Abend seine Stimme erklingen. Gänsehaut pur bei „Doktor Schiwago“, reihenweise gingen die Finger der Männer im Publikum nach oben, während die Frauen hastig nach Taschentüchern suchten. In den letzten 25 Jahren gab es nur eine Inszenierung, bei der der Verfasser dieser Zeilen ähnlich zahlreiche Publikumsreaktionen beobachten konnte. Das war im Herbst des Jahres 2003 bei „Les Miserables“ im Theater des Westens in Berlin, als Olegg Vynnyk seinerzeit in Valjeans Sterbeszene für hemmungsloses Schluchzen im Zuschauerraum sorgte. Damals stand der Mann als „Thenardier“ auf der Bühne, der heute dafür verantwortlich zeichnet, dass der diesjährige Tecklenburger Musicalsommer im Qualitätsmodul „dramatisch-emotional“ wohl eines des besten – wenn nicht das beste – Musical geschaffen hat, das die deutschsprachigen Musicalbühnen in den letzten 25 Jahren gesehen haben: Ulrich Wiggers hat mit diesem „Schiwago“ sein Meisterstück abgeliefert und schafft es dank filigraner Detailarbeit und großen Gefühlen, kombiniert mit einer Weltklasse-Cast und einem 5-Sterne Plus Orchester, die manchmal recht fragwürdigen und dürftigen inhaltlichen Vorgaben, die ihm das Script hierzu lieferte, vergessen zu machen.

Vorab muss man anmerken, dass die Musicalversion von „Doktor Schiwago“ natürlich angesichts des Umfangs des Originalbuchs von Boris Pasternak und der speziellen Film-Eigenarten des Kinoerfolgs von David Lean nicht so einfach im Eins zu Eins umgesetzt werden konnte. Da wurde gestrichen, verändert, gekürzt und improvisiert, was absolut erlaubt ist, schließlich will ja niemand fünf Stunden auf harten Holzbänken sitzen. Michael Korie und Amy Powers haben das Buch für die musikalische Bühnenversion geschrieben, Lucy Simon die dazugehörige, sehr melancholische, aber auch russisch-traditionell ausgerichtete Musik. Im Prinzip laufen hier zwei Handlungsstränge nebeneinander her, einerseits die Wirren des ersten Weltkriegs und der folgenden russischen Revolution um 1917, andererseits die tief emotionale Dreiecksbeziehung zwischen der Hauptfigur Jurij Schiwago und seinen „beiden“ Frauen Tonya und Lara, die misstrauisch von diversen Protagonisten in deren Umfeld beobachtet und beeinflusst wird.

Bei zwei so in die Tiefe gehenden Themen ist es nicht einfach, die richtige Balance zu finden zwischen Dramaturgie, Emotionalität und Unterhaltungswert. Erst recht schwierig wird es, wenn im Buch einige Charaktere und Beziehungen gar nicht richtig gewürdigt und entwickelt werden. Dazu gehören beispielsweise Juriys Kindheit oder die Beziehung zwischen den beiden Frauen, die den gleichen Mann lieben. Was macht also ein Regisseur, der sich dieser schwächen in der Vorlage zweifellos bewusst ist, um diese Dinge zu kaschieren? Er kürzt sie einfach radikal ein und verlagert sie in Übergangszonen zwischen dramatischer Handlung und emotionalen Höhepunkten, so dass sie im Nachhinein kaum auffallen. Doch das alleine würde aus der Tecklenburger Inszenierung noch keine Spitzenshow machen. Es ist vielmehr die filigrane Arbeit in jeder einzelnen Szene, die ins Auge sticht. Wie sich beispielsweise der „Chor“ der Krankenschwestern bei „Laras Theme“, der Titelmelodie des Films, langsam entwickelt. Oder wie man am Ende bei der direkten Konfrontation der beiden um Lara buhlenden Männer zunächst Gänsehaut und später ein Lächeln mit sich trägt, ehe einer der beiden sich plötzlich in den Kopf schießt. Es gibt sehr viele dieser sowohl kleinen wie auch großen Momente in Wiggers Inszenierung und wohl kaum jemand hätte diese Gefühlswallungen besser in den Griff bekommen als der Meister des „Emotions-Sadismus“.

Wiggers kann dabei aber auch wieder auf ein tolles Umfeld zurückgreifen. So hat Jens Janke das von Wiggers selbst erdachte Bühnenbild umgesetzt und setzt im Zentrum der Bühne auf vier leicht ansteigende Laufstege, die sich in der Mitte kreuzen. Diese Laufstege werden erst am Schluss mit wenig Aufwand vom Ensemble zum Moskauer Friedhof umfunktioniert, ebenfalls einer dieser kleinen Momente, in denen der Zuschauer beeindruckt ist von der Nachhaltigkeit, die mit wenig Mitteln erreicht wird. Im linken Bühnenbereich ist ein Feldlazarett angedeutet, davor ein Brunnen, um den herum sich die schon beschriebene und extrem gefühlvoll inszenierte Szene bei „Laras Theme“ abspielt. Ansonsten wird die Bühne im Hintergrund von „schnee“-bedeckten Bäumen und Gebäuden bzw. Gebäudeteilen begrenzt, die durch kluge Lichteinspielung immer wieder in winterliche Zustände versetzt werden können.

Wunderbar ergänzt wird diese Optik durch die herrlichen Kostüme von Karin Alberti. Manchmal staunt man, wie vielseitig, aber originalgetreu diese Kostüme sein können. Die Akteure tun einem dabei aber auch ein bisschen leid, denn bei Temperaturen jenseits der 25 Grad ist „Sommerkleidung“ zweifellos etwas anderes.

Unterstützt wird Ulrich Wiggers auch durch Choreograf Zoltan Fekete. Der hat mit dem Ensemble sehr sehenswerte Choreografien einstudiert, von denen man gerne mehr gesehen hätte, von klassischen Tanz bis hin zum Kasatschok und Kosakentanz. 

Wie bereits erwähnt liefert die Musik in Tecklenburg spitzenmäßige Arbeit ab. Tjaard Kirsch hat sein Orchester perfekt im Griff und spielt die Partitur in einem niemals übersteuerndem Gleichklang von Kraft und Melancholie. Die Melodie spielt sich nicht in den Vordergrund, sie begleitet, obwohl sie durchaus Potential hätte, mal etwas mehr auf sich aufmerksam zu machen. Denn die Arrangements von Lucy Simon haben durchaus Ohrwurmcharakter, sind natürlich den meisten Besuchern noch weitgehend unbekannt, aber die Hinhörqualität ist sehr hoch.

Doch was wäre das alles, wenn man keine Künstler hätte, die aus diesen elfmeterreifen Vorlagen auch einen Kantersieg machen? Und da muss man natürlich zuerst den Mann erwähnen der eine gefühlte Bühnenpräsenz von über 90 Prozent hat. Jan Ammann kennt die Rolle des Jurij Schiwago bereits aus Leipzig, aber dort konnte er auf einer wesentlich kleineren Bühne mit Klimaanlage spielen und singen. In Tecklenburg dürfte er bei seinem Pensum und der großen Hitze pro Vorstellung sicherlich einige Pfunde verlieren, aber anzumerken ist ihm diese Anstrengung in keiner Phase. Eine begnadete Stimme, momentan zweifelsfrei eine der ergreifendsten im Deutschland, mit der es es mühelos versteht, im richtigen Moment auch das Timbre zu variieren. Nicht nur gesanglich, auch schauspielerisch ist Ammann Spitzenklasse und verdient sich die Ovationen des Publikums am Ende redlich.

Das gilt im übrigen auch für seine beiden „Frauen“. Milica Jovanovic (Lara) und Wietske van Tongeren (Tonya) agieren auf dem gleich hohen Niveau wie ihr Bühnenpartner, stark im Gesang wie im Spiel. Wie sie es hinbekommen, aus dem Spagat zwischen eigentlich zwei grundverschiedenen Frauen eine Entwicklung durchzumachen, die sie bei dem ergreifenden und zu den absoluten Highlights dieser Inszenierung gehörenden Frauenduett in der Bibliothek plötzlich einander glaubhaft näher bringt, das ist schon großes (Bühnen-)Kino. Diese drei, das sollte an dieser Stelle mal erwähnt werden dürfen, stehen stellvertretend für unzählige Musicaldarsteller auf deutschem Boden, die es in den letzten 20 Jahren geschafft haben, aus dem lange Zeit ein Mauerblümchendasein führenden Genre Musical die strahlende und führende Theaterkraft in der Republik zu machen. Wer heute noch in das alte Klischee verfällt, Musicaldarsteller hätten viele Talente, aber könnten keines richtig, der hat wirklich keine Ahnung und sollte vielleicht in Länder auswandern, in denen man mit solchem Intellekt sogar Präsident werden könnte.

Doch es wäre unfair, die anderen Darsteller nicht zu erwähnen. Da ist vor allem Dominik Hees, der zunächst als Pavel Antipov und später als roter Führer Strelnikov (ein Mann wie ein Messer!) das Auditorium begeistert. Eine maßgeschneiderte Rolle für Hees, der in seiner Selbstmordszene mit Jan Ammann ein herrliches Paar abgibt, aller Dramatik dieses Augenblicks zum Trotz.

Nicht bekannt ist, wer sich für Bernhard Bettermann als Darsteller des Viktor Komarovskij entschieden hat, aber es würde verwundern, wenn da nicht der Regisseur seine Finger im Spiel gehabt hätte. Bettermann, eher Schauspieler als Sänger, hatte bei der besuchten Vorstellung offenbar gesundheitliche Probleme mit der Stimme, aber das kaschierte er mit einer brillanten darstellerischen Leistung. Die Rolle des intriganten, lüsternen „Kotzbrockens“ nahm man ihm problemlos ab, und auch bei seiner Wandlung am Ende wirkte nichts gestellt.

Man könnte die Liste nahtlos weiterführen. Bettina Meske und Kevin Tarte als Tonyas Eltern, Nicolai Schwab als Janko oder Florian Soyka als bärbeißiger Liberius, sie alle machen ihre Sache blendend und werden dabei von einem tanz- und stimmstarken Ensemble und der Tecklenburger Statisterie perfekt ergänzt. 

Fazit: „Doktor Schiwago“ ist ein Muss für alle Anhänger des Genres Musical, die emotionale Achterbahnfahrten auf der Bühne, kombiniert mit ergreifender Musik, dramatischer Handlung und herausragenden Künstlern lieben. Eine solch hoch qualifizierte Adaption aller benötigten Musical-Elemente bekommt man, siehe oben, vielleicht zweimal in 25 Jahren geboten. Darum sollte man diese Chance nicht verpassen. 





Hair in Bad Gandersheim

Spektakel mit hoher Publikums-Interaktion!

Domfestspiele Bad Gandersheim begeistern mit "Hair"!

Text: Jörg Beese, Fotos: Domfestspiele

Es dürfte ohne Zweifel eines der meistgespielten Musicals weltweit, aber auch in Deutschland sein, gerade während der Open-Air Saison. “Hair“ mit der Musik von Galt MacDermot und den Texten von Gerome Ragni und James Rado wird alleine aktuell gleich auf sechs deutschen Bühnen gezeigt, darunter seit kurzem auch bei den Domfestspielen in Bad Gandersheim. Von seiner Anziehungskraft hat dieser Evergreen der Flower-Power Bewegung offenbar nichts verloren, denn die Vorstellungen in Bad Gandersheim waren blitzschnell ausverkauft, daher wurde sogar noch eine Zusatzvorstellung kurzfristig für Spontanbesucher ins Programm genommen. 

Nun muss der Autor dieser Zeilen zugeben, dass er weder ein Hair-Fachmann oder gar Fan ist, in den letzten 20 Jahren kreuzten sich seine Wege mit denen des Musicals vielleicht zwei oder drei mal. Und dennoch muss festgehalten werden, dass eine derartige Version von „Hair“ wie sie in Bad Gandersheim gezeigt wird, bislang wohl einmalig sein dürfte. Denn Regisseur und Choreograf Marc Bollmeyer verzichtet über weite Strecken auf Dramatik, setzt stattdessen auf Humor und nimmt die Besucher außerdem auf eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit mit. Auch rollentechnisch setzt Bollmeyer klare Akzente, denn er setzt voll auf die Figur des “Berger“, die von Tim Müller mit Bravour ausgefüllt wird. Während die eigentliche Hauptfigur des “Claude“, gespielt von Daniel Eckert, weitaus mehr im Hintergrund agiert als üblich und eher unscheinbar ist, erhalten die anderen Charaktere punktuell ihre Highlight-Momente, wodurch das zweistündige Spektakel (ohne Pause) vor der herrlichen Kulisse der Stiftskirche mit ihren Doppeltürmen extrem kurzweilig wird. Ein weiteres großes Plus: Bollmeyer legt einen hohen Wert auf die Interaktion mit dem Publikum, lässt seine Akteure ständig durch die Reihen flanieren und bezieht auch immer wieder einzelne Besucher in die Handlung mit ein, was von der Tribüne mit viel Gelächter und Sympathiebekundungen honoriert wird.

Ein Sonderlob bekommt vorab die Musikalische Leiterin Patricia Martin und ihre siebenköpfige Band, zu der auch drei Bläser gehören. Sie begleitet die Künstler in jeder Situation perfekt und ist im Gegensatz zu einigen Solisten auch tontechnisch perfekt ausgesteuert. Auch das Bühnenbild (Bernhard Niechotz) ist für Bad Gandersheimer Verhältnisse fast schon üppig, fünf kistenartige Sitzbänke können auf verschiedene Art und Weise verschoben werden und ergeben die verschiedensten Szenarien, natürlich darf beim “Flower-Power“ auch das obligatorische Grün nicht fehlen, für die bunten Aspekte sorgen zudem diverse Requisiten und Kostüme sowie natürlich die Hippie-Kostüme im Stil der späten 1960er Jahre.

Der Vorteil von “Hair“ ist, das seine Hauptdarsteller jung sein sollten – und dementsprechend belastbar sind. Denn das nutzt Marc Bollmeyer für seine Choreografien gnadenlos aus und auch, wenn die Künstler immer ein Lächeln auf den Lippen haben, so müssen sie manchmal angesichts der schnellen und teilweise akrobatischen Einlagen ganz schön schnaufen. Hauptprotagonist ist dabei immer wieder Berger, den Tim Müller mit ganz viel Emotion, Dynamik und jederzeit höchst extrovertiert darbietet. Erst zum Ende des Musicals bekommt Müller seine kleinen Durchschnaufphasen, aber insgesamt dürfte er mit dieser Performance zu einer der Entdeckungen des Musicalsommers 2019 in Deutschland gehören. 

Ein Genuss ist auch Sven Olaf Denkinger, der besonders für seine Rolle der Margaret Mead vom Publikum bejubelt wird. Ebenfalls ein großer Pluspunkt ist Lemuel Pitts alias “Hud“, der mit seinem tiefen Bass nicht nur gesanglich überzeugt, sondern auch mimisch und tänzerisch ein Schwergewicht dieser Show ist. Auch Elena Otten als Sheila ist darstellerisch ein Hingucker, hat allerdings das Problem, dass ihre Tonaussteuerung sehr schwankt und bei einzelnen Passagen ihres Gesangs offenbar „jemand auf der Leitung stand“. Diese vier Künstler bilden die Speerspitze eine hoch engagierten, zwölfköpfigen Ensembles, das den berühmten Funken immer wieder auf die Zuschauer überspringen lässt.

Normalerweise wäre es nicht unüblich, wenn sich die Zuschauer bei einer Sonntagabendvorstellung auch mal reserviert verhalten, bei der besuchten Show konnte davon keine Rede sein, denn das Auditorium war ehrlich begeistert und spendete dem gesamten Team lang anhaltenden und verdienten Beifall. Bad Gandersheim ist sich seiner Devise „Klein, aber Fein“ auch 2019 treu geblieben, mit einem Besuch der Domfestspiele macht man auch in diesem Sommer nichts falsch. 




Der Medicus in Fulda

Auf der Suche nach der Kunst des Heilens!

Erneut sorgt die Wiederaufnahme einer Spotlight-Produktion für Ovationen beim Publikum!

Text: Jörg Beese, Fotos: Spotlight Musicalproduktion

„Es ist immer wieder schön, nach Fulda zum Musicalsommer zu kommen, denn es ist jedes mal anders.“ Mit diesen Worten einer Besucherin kann man die Wiederaufnahme des Musicals “Der Medicus“ im Schlosstheater Fulda wohl am trefflichsten beschreiben. Denn die Show, die 2016 ihre Premiere in der Bonifatiusstadt feierte, ist auch drei Jahre später wieder hoch attraktiv und kann trotz komplett veränderter Hauptdarsteller (gegenüber 2016) begeistern. Nicht nur optisch durch Bühnenbild und Kostüme ist “Der Medicus“ ein Genuss, auch tänzerisch und gesanglich schlägt jedes Musicalherz hier höher. Und durch die aktuellen Erstbesetzungen gewinnt die Produktion auch emotional an Tiefe, verändert so durchaus ihr früheres Gesicht und sorgt für einen kurzweiligen und höchst unterhaltsamen Abend. 

Es gibt immer wieder mal Nörgler, die sich darüber mokieren, dass das Script für das Musical nicht in jeder Szene deckungsgleich zum Roman von Noah Gordon ist. Warum sollte es das auch sein? Abgesehen davon, dass es ohnehin schon eine Kunst ist, einen solchen vielschichtigen Roman in knapp drei Stunden Bühnenfassung umzusetzen, geht es hier doch vor allem um Unterhaltung. Die Message, die Noah Gordon dabei los werden wollte, nämlich das durchaus mögliche, friedliche Miteinander verschiedener Kulturen, ein Thema, was gerade derzeit angesichts rassistischer Großmachtpräsidenten aktueller denn je ist, wird dadurch ja nicht im geringsten verfremdet. So, wie es für die Bühne geschrieben wurde, unterhält “Der Medicus“ jedenfalls bestens und transportiert auch die erwähnte Botschaft. Und wer glaubt, diese Show ein beim diesjährigen Musicalsommer in Fulda nur ein Lückenfüller zwischen der “Päpstin“ und “Bonifatius“, der irrt erst recht. Die Kolleginnen und Kollegen auf dem Domplatz werden sich gewaltig strecken müssen, um dieses Niveau zu halten oder sogar zu überbieten.

Bei “Der Medicus“ merkt man einfach, dass viele Musical-Fachleute hier zusammengearbeitet haben. Die Musik von Dennis Martin und Marian Lux ist stimmig, vielseitig und variabel, das Buch und die Texte von Dennis Martin, Wolfgang Adenberg und Christoph Jilo überzeugt mit seinem roten Faden. Die Optik ist grandios durch das Bühnenbild von Christoph Weyers und die sehr detaillierten Kostüme von Ulrike Kremer zusammengestellt. Kim Duddy ist seit Jahren eine der anerkannt besten Choreographinnen überhaupt, was sich auch im Schlosstheater wieder bemerkbar macht, wobei an dieser Stelle die hervorragenden Tänzerinnen und Tänzer auch mal ein Extralob für ihre unzähligen Performances erhalten sollen. Es passt einfach bei dieser Produktion alles, die großen wie die kleinen Rädchen sind perfekt miteinander verzahnt.

Wenn dann noch ein tolles Ensemble dazu kommt, kann ja auch nichts mehr schief gehen. Aktuell ist Sascha Kurth der neue Hauptdarsteller des Rob Cole. Kurth merkt man anfangs die Nervosität noch an, aber er spielt und singt sich im Verlauf des Abends immer mehr in die Herzen des Publikums. Ab der Mitte des ersten Akts kam auch seine warme, vielseitige Stimme so richtig zum Tragen, eine Gabe, die seine Bühnenpartnerin Johanna Zett alias Mary Cullen schon mit ihrem ersten Auftritt glänzend präsentiert. Ihre Stimme ist sehr vielschichtig, variabel in den Höhe und einfühlsam wenn nötig, aber auch klar und kraftvoll. Dazu schauspielerisch eine tolle Performance, man kann sich diese Mary Cullen sehr gut anschauen und -hören.

Während Kurth und Zett bereits aus den Vorjahren Medicus-Erfahrung besitzen, ist Ibn Sina-Darsteller Ethan Freeman, der in Fulda bereits als Bonifatius zu sehen war, neu in dieser Rolle. Wie schon seinerzeit als wandernder Missionar schlüpft er auch dieses mal in die Fußstapfen von Reinhard Brussmann und wiederum schafft er es, dem Charakter ein ganz anderes Gesicht zu geben. Während Brussmann der souveräne, mitfühlende Übervater ist, geht Freeman wesentlich mehr in die emotionale Tiefe dieser Rolle, die im wesentlichen schauspielerisch angelegt ist, ergänzt mit eher kürzeren und duettierten Gesangseinlagen. Das ist ein bisschen schade, denn wenn man solch erstklassige Sänger wie Freeman oder früher Brussmann auf der Bühne hat, würde man sich, ähnlich wie bei “Bonifatius“, für sie auch mindestens ein großes Solo wünschen. „Nimm die Last von meinen Schultern“ geht dabei schon in die richtige Richtung, doch in einer Sterbeszene kann man ja nun auch nicht unbedingt sein ganzes Potential ausschöpfen. Wer Ethan Freeman in Fulda gesanglich mal mit seinem großen Repertoire erleben möchte, kann dies übrigens sozusagen „Gegenüber“ am 24. Januar 2020 im Maritim Hotel in Fulda tun, wenn er gemeinsam mit Lutz Standop, Yngve Gasoy-Romdal und David E. Moore zu den Musical-Evergreens in der wunderschönen Orangerie auftritt.

Eine richtig coole Socke ist wieder mal Christian Schöne, der als Karim, der spätere Schah von Persien, seiner extrovertierten Rolle freien Lauf lässt. Seine Songs scheinen maßgeschneidert zu sein, gerade wenn er zu „Ala Schah“ oder „Alles nur ein Spiel“ ansetzt, dann knistert es im ehrwürdigen Schlosstheater.

Sebastian Lohse agiert in einer Doppelrolle in den völlig gegensätzlichen Charakteren des Bader und des Mullahs Quandrasseh und schafft es problemlos, seine Rollen emotional zu transportieren. Das gilt auch für Leon van Leeuwenberg, der sogar in drei Rollen glänzen kann und immer wieder seiner ausgeprägten humoristischen Ader Ausdruck verleihen kann. Kristian Lucas ergänzt nahtlos als Mirdin das Trio der Medizinstudenten und auch Caroline Zins liefert als Robs Mutter eine tadellose Leistung. In der Rolle von Mirdins Ehefrau Fara ist Sharon Isabelle Rupa zu sehen und hören, die aber bei der Wiederaufnahme – wohl aus gesundheitlichen Gründen - in der Pause gegen Larissa Windegger ausgetauscht wurde, was aber der Rolle keinen Abbruch tat, denn auch Windegger ist eine erstklassige Musicaldarstellerin, was bei ihrem Duett „Ein Arzt in der Familie“ glänzend zum Ausdruck kam.

Fazit: Seit 2004 präsentiert die Spotlight Musicalproduktion nun in Fulda ihre Musicalinszenierungen, seit 2004 ist das Schlosstheater in jedem Sommer wieder bis zum Bersten gefüllt. So etwas erreicht man nicht nur mit Lokalpatriotismus, zu so etwas gehört eine extreme Qualität, kombiniert mit Herzblut. Und all das spiegelt sich in “Der Medicus“ wieder. Natürlich ist “Bonifatius“, das erste Erfolgsmusical der Fuldaer Erfolgstruppe, wohl die erwartungsträchtigste deutsche Musicalpremiere des Jahres 2019, zumal es erstmals Open-Air und dann vor der Kulisse des Fuldaer Doms gespielt wird (siehe n.a. Vorschau). Aber niemand sollte denken, dass “Der Medicus“ nur ein Lückenbüßer ist, im Gegenteil. Wer diese Show nicht gesehen hat, der hat etwas verpasst. Und wer sie nur 2016 bei der Uraufführung erlebte, seither aber nicht mehr, der sollte mal wieder in Fulda vorbei schauen, denn er/sie wird sich wundern, wie neu einem eine vermeintlich bekannte Produktion doch vorkommen kann.



"Don Camillo & Peppone" in Tecklenburg

Hochwürden lässt die Fäuste fliegen!

Freilichtspiele Tecklenburg präsentieren starke Bühnenadaption des Filmklassikers

Text: Jörg Beese, Fotos: Heiner Schäffer

Es gibt mal wieder etwas zu lachen auf der Freilichtbühne Tecklenburg. Mit “Don Camillo & Peppone“ feierte vor wenigen Tagen die erste der beiden Großproduktionen der diesjährigen Freilichtspiele ihre umjubelte Premiere. Nach der Uraufführung 2016 in St. Gallen sowie der Folgespielzeit in Wien war es recht ruhig um das Musical von Michael Kunze (Buch/Texte) und Dario Farina (Musik) geworden, die Meinungen des Publikums zum Stück gingen dabei auch durchaus auseinander. Das dürfte nun in Tecklenburg vermutlich anders werden, was auch die Publikumsreaktionen zeigten. Denn Regisseur Andreas Gergen, der auch bereits in der Schweiz das Zepter schwang, hat vor der herrlichen Kulisse der alten Burgruine das Tempo des Stücks deutlich erhöht. Und er kann dabei im Ensemble aus dem Vollen schöpfen, denn ohne den Protagonisten bei der Indoor-Uraufführung zu nahe zu treten muss man ganz klar sagen, dass die darstellerische Leistung in Tecklenburg nochmal eine Stufe höher anzusiedeln ist. Das zeigt sich alleine schon daran, dass seinerzeit Maya Hakvoort als Erzählerin Gina der Star in St. Gallen war, nun aber bei den Freilichtspielen ganz klar Thomas Borchert (Don Camillo) und Patrick Stanke (Peppone) dem Musical ihren Stempel aufdrücken. Doch der vielleicht noch größere Unterschied besteht in den “Nebenrollen“, denn von Femke Soetenga (wie schon in St. Gallen die Laura Castelli) über Sebastian Brandmeir (Nonno) bis hin zu Barbara Tartaglia (alte Gina) liefern alle KünstlerInnen eine bärenstarke Performance ab. Eine sehr empfehlenswerte Inszenierung, auf die am 28. Juli dann “Doktor Schiwago“ folgt, während parallel die gesamte Spielzeit über auch noch das Kindermusical “Das Dschungelbuch“ in Tecklenburg läuft.

Optisch hat Jens Janke ein sehr offenes, helles Ambiente auf der Freilichtbühne geschaffen, es fällt auf, dass die Bühne nicht so zugebaut ist wie sonst meistens in den letzten Jahren. Während auf der linken Seite die Kirche mit einem großen Fenster dargestellt ist, ist im hinteren Bereich der Frontalbühne neben dem (maroden) Kirchenturm mit wenigen Mitteln der Dorfplatz mit dem Bürgermeisteramt zu sehen. Alle weiteren Szenen werden mit Requisiten verdeutlicht, wobei besonders auch ein mobiles Zaunsegment eine wichtige Funktion hat. Natürlich werden auch die verschiedenen Aufgängen und Rampen wieder intensiv in die Handlung einbezogen, die passenden Kostüme von Karin Alberti runden das angenehme optische Gesamtbild ab.

Musikalisch hat Giorgio Radoja sein Orchester gut im Griff und intoniert die im italo-schlageresken und klassischen Musicalstil gehaltene Partitur von Dario Farina, der man deutliche Nähe zu bekannten Musicalproduktionen wie z.B. Les Miserables anhören kann, mit entspannter und qualitativ hochwertiger Gelassenheit. Und auch eine gewisse Ohrwurmqualität kann man dieser Inszenierung nicht absprechen, besonders der Titelsong „Don Camillo & Peppone“ bleibt nach der Zugabe im Ohr und wird munter vor sich hin gesummt. Die eingebauten Choreografien von Till Nau fügen sich nahtlos in dieses gute Gesamtbild ein.

Über das Buch kann man sicherlich streiten, denn die Geschichte von Don Camillo & Peppone spielt sich wie in der Filmvorlage eigentlich in mehreren kleinen Einzelgeschichten ab. Da ist das Hochwasser, dass das Dorf bedroht, der alte Ehrenbürger Nonno, der dem Tod gleich mehrfach von der Schippe springt, die problematische Beziehung von Gina und Mariolino, deren Eltern sich bis aufs Blut hassen, die marode Bausubstanz des Kirchenturms oder der zurückgelassene Geldschatz aus der Faschistenzeit, die miteinander kombiniert werden. Bei so vielen Kurzgeschichten bedarf es eines roten Fadens, um alle Handlungen miteinander zu kombinieren. Und hier hat sich die Regie sinnvollerweise komplett auf die humoristischen Qualitäten seiner beiden Hauptdarsteller konzentriert. Und dieser Schachzug funktioniert, denn nicht nur Patrick Stanke, dem ja offenbar schon die Klamaukader mit in die Wiege gelegt wurde, sondern auch Thomas Borchert (teilweise in bester Otto-Waalkes-Manier) begeistern die Zuschauer und sorgen nicht nur verbal für Lacher. Borchert überrascht in Tecklenburg mit einer grandiosen Körpersprache und herausragender Mimik, es macht Spaß, den beiden Streithähne zuzusehen und -zuhören.

Um die beiden Hauptdarsteller herum hat Andreas Gergen sowohl bewusste Kontrapunkte als auch Ergänzungen gesetzt, die das Geschehen extrem kurzweilig erscheinen lassen. So bewegen die Momente mit der „alten“ Gina, die fast permanent von einem weiteren Fixpunkt, nämlich der Figur des Jesus (Florian Albers) begleitet wird, der sich aber in den Momenten, wo er mit Don Camillo kommuniziert, auch als Solist bewegt. Für die aggressiven Momenten sind Kevin Tarte als Filotti und Jörg Neubauer als Brusco verantwortlich, die diese Rollen perfekt ausfüllen. Während Sebastian Brandmeir als liebestoller Greis Nonno das Herz der neuen Lehrerin Laura Castelli (Femke Soetenga) mit wunderbar humoresker Attitüde darbietet, sind Milica Jovanovic und Dominik Hees als Gina und Mariolino das Liebespaar des Abends, wobei Jovanovic schauspielerisch der etwas überzeugendere Part ist. Insgesamt ein sehr überzeugendes Ensemble, das auch in den Nebenrollen und beim Chor und der Statisterie überzeugen kann.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die erste der beiden Hauptproduktionen der diesjährigen Tecklenburger Freilichtspiele eine gelunge Inszenierung mit hohem und kurzweiligem Unterhaltungspotential darstellt. Eine Show, die optisch nicht überfrachtet wurde, und mit Musik, Regie und Cast überzeugen kann. Die Fahrt ins Tecklenburger Land lohnt sich auch 2019 wieder.




"Tina - Das Tina Turner Musical" in Hamburg

Plötzlich stand die Tina auf der Bühne...!

Queen of Rock feiert mit den Besuchern die Premiere ihres Musicals im Operettenhaus!

Text: Jörg Beese, Fotos: Manuel Harlan

Es war gegen 22.30 Uhr am 2. März 2019, als ein ohnehin schon grandioser Abend sogar noch spektakulär wurde. Denn als sich der Schlussvorhang im traditionellen Hamburger Operettenhaus nach der Beendigung des neuen Musicals „Tina – Das Tina Turner Musical“ nochmals hob, da stand da plötzlich nicht mehr die Cast auf der Bühne, sondern die Queen of Rock höchstpersönlich. In 22 Jahren Musicalberichterstattung hat der Autor so eine Emotionsexplosion beim Publikum noch in keinem Theater erlebt. Das waren keine “branchenüblichen Lobhudeleien“, das waren ehrliche Ovationen an eine Künstlerin, deren Biografie den Zuschauern gerade in realen Bildern (und Tönen) auf der Bühne vermittelt worden war. Es war ein begeisternder Abend, der Hamburg endlich mal wieder ein 5-Sterne Plus Musical beschert hat und der deutlich gemacht hat, was für ein Privileg manchmal der Beruf als Berichterstatter doch sein kann.

„Und schon wieder ein Compilation-Musical.“ So oder ähnlich haben vermutlich viele Musicalfans gedacht, als bekannt wurde, dass nach Queen, Abba, Meat Loaf, "Wolle" Petry, Udo Jürgens u.v.a.m. nun auch Tina Turner ein eigenes Musical produzieren würde. Der leichte Stoßseufzer, der damit verbunden war, basierte wohl auf den Erfahrungen mit anderen „Hinterlassenschaften“ der Rock-, Pop- oder Schlagergeschichte. Da wurden dann Ohrwürmer bekannter Stars mal in witzige (z.B. Mamma Mia, Ich war noch niemals in New York) und mal in belanglose oder irrwitzige Handlungsstränge (z.B.„We will rock you, Wahnsinn, Bat out of Hell) hinein verfrachtet. Ziel war es, mit möglichst wenig Aufwand das große Geld zu machen, schließlich waren die Namen der dahinter stehenden Künstler ja schon mal das beste Marketing. Das ist sicher auch bei „Tina“ so, der Name zieht natürlich, nicht umsonst wurden bereits vor der Premiere mehr als 150.000 Tickets verkauft. Aber eins ist hier anders – und zwar total! Denn das Tina Turner Musical ist keine Comedy und auch keine Phantasie, es ist der im Zeitraffer zusammengefasste Weg eines Weltstars, der selbst, als sie schon längst auf dem Globus bekannt war, privat noch Abgründe überwinden musste. Und diese Geschichte wurde von Autorin Katori Hall sehr einfühlsam und ereignisgetreu zu einem Script zusammengefasst, das von Star-Regisseurin Phyllida Lloyd für die Bühne adaptiert wurde. Für Hamburg kommt noch hinzu, dass es endlich mal eine sehr gelungene Übersetzung gibt, sowohl bei den Dialogen (Ruth Deny) als auch bei den Songtexten (Kevin Schroeder und Sera Finale) fühlt man sich nicht, wie beispielsweise „Bat out of Hell“ aus den Melodien herausgerissen, sondern man hört zu – eben weil eine Geschichte erzählt wird, zu der die Musiktexte passen. So kann man „Tina – das Tina Turner Musical“ wohl am ehesten mit der „Buddy Holly Story“ vergleichen, bei der ebenfalls biografische Elemente enthalten waren, die aber - abgesehen vom frühen Tod Buddy Hollys bei einem Flugzeugabsturz - nicht annähernd so dramatisch waren.

Das Musical erzählt die Geschichte des Weltstars von ihrer Kindheit als Anna Mae Bullock, wie Tina Turners eigentlicher Name ist, dem schwierigen Verhältnis zu ihrer Mutter, der Nähe zu ihrer Großmutter und ihrer Schwester, dem Kennenlernen und Zusammenleben mit dem drogensüchtigen, brutalen und fremdgehenden Ike Turner, ihrer Trennung und dem anschließenden Kampf um Anerkennung, der Annäherung an ihren deutschen Lebenspartner Erwin Bach bis hin zur Wandlung als Queen of Rock. Mithilfe ihres neuen Managements. All das wird schonungslos erzählt und lässt die Menschen im Saal auch mitleiden. Es ist selten, dass es in Musicalproduktionen speziellen Szenenapplaus gibt, aber bei „Tina“ geschieht dies häufiger, am meisten aber wohl, als sie endlich ihrem brutalen Ehemann Ike mit dem Knie in den Unterleib tritt, ein Moment, in dem der ganze Saal laut applaudiert. Dass das so funktioniert ist übrigens auch ein Verdienst des „Ike“-Darstellers Mandela Wee Wee, der diesen üblen Charakter derart perfekt spielt, dass man am Ende gar nicht weiß, ob man ihn beim Schlussapplaus nun feiern oder ausbuhen soll.

Passend zum Thema hat die Stage Entertainment bei ihrer neuesten Produktion ausnahmsweise mal nicht auf optische Opulenz gesetzt. Das Bühnenbild ist sehr angepasst, mit kleinen, schnell austauschbaren Bühnenelementen wird die Konzentration des Publikums in erster Linie auf die handelnden Personen gelenkt. Und selbst bei der spektakulären Finalszene („Simply the best“) wird mit einer Showtreppe und einem erstklassigen Lichtdesign (Bruno Poet) eigentlich nur das Notwendige aufgebaut, alles andere regelt die dann ebenfalls auf der Bühne agierende Band und natürlich die Hauptdarstellerin.

Und damit wären wir bei DEM Highlight dieser Show. Denn was Kristina Love als Tina Turner abliefert, ist Wahnsinn. Ihre Stimme ist eine musikalische Atombombe, ihre Körperspannung und Energie erinnern extrem an Tina Turner, manchmal fühlt man sich als Zuschauer/-hörer daher wie in einer Zeitreise in die Vergangenheit. Love ist nicht nur als Sängerin eine Bank, sie tanzt auch - sowohl solo als in der Gruppe - herausragend. Kein Wunder, dass der Saal explodiert, als sie im Finale zunächst noch die ersten Takte von „Simply the best“ auf Deutsch zu ihrem neuen Freund Erwin singt, dann die Treppe hinauf stürmt und mit einem begleitenden Feuerwerk aus Scheinwerfern und LED-Lichtern die Originalfassung dieses Evergreens zelebriert. Da hielt es selbst die sonst so reservierten Journalisten nicht mehr auf den Sitzen, innerhalb von Sekunden stand der komplette Saal und feierte eine riesige Party. Die kleinen Patzer beim Text, die ihr zweimal unterliefen, schmälern ihre Leistung in keinster Weise und wirkten sogar sympathisch.

Wie bereits erwähnt liefert Mandela Wee Wee als Ike Turner ebenfalls eine Topleistung als “Kotzbrocken vom Dienst“ ab. Es ist gar nicht so einfach, sich auf der Bühne derart arrogant, herzlos und brutal zu geben, aber Wee Wee schafft dies problemlos. An dieser Stelle seien Eltern gewarnt, die mit Kindern unter 14 Jahren in diese Show gehen wollen, das Thema Gewalt gegen Frauen ist in diesem Musical nämlich kein Tabuthema, auch wenn es nach hinten raus durch die bereits erwähnte „Gewalt gegen Männer“ etwas neutralisiert wird. Der Hamburger Ike jedenfalls kann alle Facetten spielen, von wehleidig, drogen- und sexsüchtig, sadistisch, musikalisch bis hin zu rechthaberisch liefert er alle Charaktere perfekt ab.

Auch wenn Tina und Ike im Mittelpunkt der Show stehen, so kann das komplette Ensemble überzeugen. Als Anna Maes/Tinas Mutter zeigt Adisat Semenitsch, wie froh man sein kann, dass die eigene Mutter nicht so war. Extrem viel Spaß machen neben den erstklassigen Backgroundsängerinnen und den Tänzerinnen auch Nikolas Heiber alias Roger Davies, Adi Wolf als Gran Georgeanna, Denise Lucia Aquino alias Alline Bullock sowie die kleine Clarissa als Anna Maes Kinderdarstellerin. Insgesamt eine sehr homogene und vitale Castleistung, lediglich die manchmal etwas starken Dialekte beeinträchtigen an wenigen Stellen etwas die Verständlichkeit.

Musikalisch hat Tobias Vogt seine Band für eine Medienpremiere schon hervorragend in Schuss. Gerade zum Finale hin merkt man den Musikern auch an, welchen Spaß sie haben, gerade die Solomomente für Saxophon und Bass haben es in sich und machen einfach nur Spaß.

Ein dickes Lob muss auch an Anthony van Laast gehen, der für die Choreografien verantwortlich zeichnet. Da ist viel Schwung und Elan dabei, und vor allem werden auch immer wieder alle Darsteller, gerade im Finale, in die Tanzszenen eingebunden. Besonders loben muss man hier aber Kristina Love und die Backgroundsängerinnen/Tänzerinnen, die mit einer extremen Energie und dennoch spielerischen Leichtigkeit für Furore sorgen.

Fazit: Wenn dieses Musical in Hamburg keinen langfristigen Erfolg hat, dann schafft es auch kein anderes mehr. In den letzten 20 Jahren gab es keine Produktion auf deutschsprachigem Boden, bei der schon während der Show so viel Stimmung im Saal war. Hier stimmt vielleicht noch nicht alles, aber bereits sehr, sehr viel. Eine bewegende Storyline, tolle Musik, präsentiert von erstklassigen Musikern, ein hervorragend geschnürtes Kreativpaket, ein spektakuläres Ensemble und sehr viel Emotionen. Musicalherz, was willst du mehr? Auf dem Kiez darf gerockt werden!



"Miss Saigon" in Köln

Grandiose Rückkehr nach 20 Jahren

Cameron Mackintosh präsentiert tolle Neufassung der Liebesgeschichte im Musical Dome!

Text: Jörg Beese, Fotos: Johan Persson

Wenn man als Redakteur zu einem Musical zwecks zu erstellender Rezension fährt, dann stellt man sich eigentlich darauf ein, während der Show schon mal eine gedankliche Pro- und Contra-Auflistung zu erstellen anhand der positiven und negativen Gegebenheiten der Inszenierung. Verlässt man dann nach knapp drei Stunden das Theater, dann wägt man üblicherweise diese Argumente gegeneinander ab und bereitet schon mal den Text im Geiste vor, den man später zu Papier bzw. Tastatur bringen muss. Doch was ist, wenn einer dieser Bereiche praktisch leer ist? Wenn man kein Haar in der Suppe finden konnte, keine Schwächen oder Klischees, die man vielleicht bedienen könnte? Ganz einfach, dann war die gesehene Show einfach nur eins: Richtig gut! So geschehen nach einer sonntagabendlichen Visite im Kölner Musicaldome, wo derzeit die Neufassung eines Klassikers zu sehen ist, den man seit 1999 nicht mehr auf deutschem Boden erleben konnte: Miss Saigon! Es ist das zweite große Meisterwerk von Alain Boublil und Claude-Michel Schönberg nach Les Miserables und feierte 1989 in London seine Uraufführung. Nach der Broadwaypremiere 1991 fand Miss Saigon 1994 den weg nach Deutschland, wo es bis 1999 im heutigen Apollo-Theater in Stuttgart zu sehen war. 2014 hat dann der Originalproduzent Cameron Mackintosh eine grundlegende Überarbeitung der Inszenierung vorgenommen um sie so auch flexibler und mobiler zu machen. Im Rahmen einer Europatournee ist diese Neufassung derzeit noch bis zum 3. März im Kölner Musical Dome zu sehen. Und für Musicalfans ist die Show, die in englischer Muttersprache (mit deutschen Untertiteln auf seitlich angebrachten Videowänden) gespielt wird, eigentlich ein Muss, denn in allen Bereichen schafft diese Fassung eigentlich Bestnoten.

OK, ein kleiner Makel ist dann vielleicht doch vorhanden, der aber letztlich nichts mit der Inszenierung selbst zu tun hat, denn die Buchvorlage beleuchtet das spannende und dramatische Verhältnis der amerikanischen GI´s zur vietnamesischen Bevölkerung doch recht eindimensional. Dennoch ist es gleichzeitig ein Stück Zeitgeschichte und verliert angesichts der vielen Brand- und Kriegsherde unserer Zeit nichts an Aktualität, gerade in Bezug auf das Schicksal von Frauen und vor allem Kindern. Die Handlung ist schnell beschrieben, denn es geht letztlich um den GI Chris, der in Saigon auf die junge Kim trifft und sich in einer stürmischen Nacht in sie verliebt, was nicht ohne Konsequenzen bleibt, denn Kim wird schwanger. Im Zuge der chaotischen Evakuierung der Amerikaner werden die beiden voneinander getrennt. Während Chris – nun zurück in den Staaten – immer wieder von Albträumen gequält wird, aber dennoch ein neues Leben mit seiner Frau Ellen beginnen kann, versteckt sich Kim in Vietnam mit ihrem Sohn Tam. Doch Thuy, ein inzwischen mächtiger Kommissar der neuen Regierung, der mit 13 Jahren mit Kim von den Eltern verlobt wurde, spürt Kim mithilfe von Kims ehemaligen Bordellbesitzer, dem Engineer, nach drei Jahren auf und will sie zur Ehe zwingen. In letzter Not erschießt Kim Thuy mit der Waffe, die Chris einst bei ihr zurück ließ. Fortan wird auch Kim von den Dämonen ihrer Tat verfolgt. Als Chris über seinen Freund John von seinem Sohn erfährt, beichtet er die Geschichte seiner Frau und gemeinsam mit John reisen sie nach Bangkok, wohin Kim mit dem Engineer und Tam geflüchtet ist. Doch der Zufall will es, dass Kim nicht zuerst auf Chris, sondern dessen Ehefrau Ellen trifft. Eine Welt bricht für die junge Frau zusammen, die immer darauf gehofft hat, dass Chris zu ihr zurückkehren würde. Nun will sie zumindest das Versprechen erfüllen, dass sie ihrem Sohn Tam gab, nämlich ihm ein Leben in Amerika zu ermöglichen. Doch um das zu erreichen, wählt sie einen dramatischen Weg.

Das besondere an Miss Saigon ist, dass sich die Handlung ganz extrem nur um die beiden Hauptprotagonisten dreht. Parallele Handlungsstrukturen gibt es kaum, auch die Massenszenen beleuchten eigentlich immer nur den Einfluss auf die Situation von Chris und Kim, die weiteren Charaktere werden kaum beschrieben, sieht man einmal vom Engineer ab. Doch das stört nicht, ebensowenig wie die Tatsache, dass die sehr einfühlsamen Melodien kaum Ohrwurmcharakter haben, dafür aber dramaturgisch umso hochwertiger sind. 

Optisch hat die Neufassung von Cameron Mackintosh einen cleveren Schachzug genutzt. Die großen Bühnenelemente können mühelos und schnell von der Bühne entfernt werden, so dass sie Platz machen für die großen Massenszenen, die mithilfe des 32-köpfigen Ensembles auch richtig schön in Szene gesetzt wurden. Dieser Wechsel zwischen optischer Bühnen- und Darstelleropulenz tut der gesamten Inszenierung gut und sorgt des öfteren für Gänsehautmomente. Highlight hier wohl der Hubschraubereinsatz während der Evakuierung der amerikanischen Botschaft in Saigon, einfach toll inszeniert mit der passenden Geräuschkulisse. Der tolle Eindruck wird noch verstärkt durch die strammen und stimmigen Choreografien mit dem weiteren großen Höhepunkt beim „American Dream“. 

Die Regie konzentriert sich im Wesentlichen auf die beiden Hauptprotagonisten, allerdings ist durch die Neufassung auch die Rolle von Chris´ Ehefrau Ellen aufgewertet worden. Auch John, der freund von Chris, hat seine Momente, sei es vor der Pause als GI und später als Helfer für die Kinder amerikanischer Soldaten in Vietnam.

Und dann ist da natürlich noch die Rolle des „Engineer“. Auch wenn es eine Liebesgeschichte ist, so ist der Engineer eigentlich die Person, die an fast allen Handlungsfäden beteiligt ist. Als durchtriebener Bordellbesitzer genauso wie später als Nachtclub-Werber in Bangkok. Gleichzeitig ist er aber auch eine Art Conferencier und meistert diesen Spagat in Perfektion. 

Das liegt zweifelsohne daran, dass die Castauswahl für „Miss Saigon“ absolut das Prädikat „hervorragend“ verdient. Leo Tavarro Valdez (Engineer), Joreen Bautista (Kim) und Ashley Gilmour (Chris) führen ein darstellerisch wie stimmlich hervorragendes Ensemble an, das von der Tontechnik auch optimal in Szene gesetzt wird. Alles Songs sind klar verständlich und so kann man auch die ebenso kraftvollen wie emotionalen Songs genießen. Glückwunsch für so eine – trotz der Größe des Ensembles – auf allen Positionen top besetzten Truppe, zu der auch die zahlreichen Tänzer/-innen ihren Beitrag leisten. Die 15 Musiker machen dazu einen sehr guten Job im Orchestergraben und übertönen die Künstler in keiner Phase.

Fazit: Bei Preisen zwischen 40 bis 140 Euro, je nach Wochentag und Preiskategorie, ist dieses Musical ein Muss für alle Liebhaber des Genres. Dank der Neufassung haben die Fans endlich wieder die Chance, ein wirklich großes Musical mit großen Gefühlen und hohem Unterhaltungswert – abseits des gegenwärtig oft vorherrschenden Unterhaltungs-Mainstreams - in Deutschland zu sehen. Angst vor der englischsprachigen Version muss niemand haben, denn selbst wenn man die mitlaufende Übersetzung ignoriert würde man die Handlung problemlos verstehen. Es wäre zu hoffen, dass es nach dem 3. März nicht wieder 20 Jahre dauert, bis dieses Musical in Deutschland gespielt wird.



"Sherlock Holmes - Next Generation - Das Musical" in Hamburg

Hohe Qualität am falschen Spielort!

Starkes Ensemble in der "Nachfahrenversion" über Londons Meisterdetektiv! 

Text: Jörg Beese, Fotos: Stefan Wagner, Mirco Wallat, Kristina Perner.

Sechs Jahre Planung liegen seit der Grundidee zum Musical „Sherlock Holmes – Next Generation“ hinter Initiator Rudi Reschke und seinem Kreativteam. Nun feierte das neue Werk um Londons Meisterdetektiv und seinen trauen und ebenso wie Holmes gealterten Gefährten Dr. Watson seine Premiere in Deutschlands Musical-Hauptstadt Hamburg. Die lange Planungsphase hat sich durchaus gelohnt, denn viele Elemente des neuen Musicals wissen zu gefallen, allerdings gibt es einen großen Makel, der euphorische Stimmung nicht wirklich aufkommen lässt, und das ist der Austragungsort. Das recht neue First Stage Theater in Hamburg-Altona ist für eine Inszenierung dieser Qualität und Epoche völlig ungeeignet und bietet neben einer viel zu kleinen und technisch nicht gerade viele Optionen offen lassenden Bühne auch den Zuschauern alles andere als komfortable Plätze. Das London des Jahres 1910 kommt hier nicht wirklich zur Geltung.

Doch kommen wir zunächst zur Grundidee. Die Macher haben die Geschichte von Sherlock Holmes weiter entwickelt. Rund 20 Jahre, nachdem Holmes seinen Erzrivalen Moriarty (scheinbar) getötet hat, wird er von der Geschichte eingeholt. Ein wertvolles Schmuckstück wird aus dem Museum geraubt und Holmes und Watson sorgen anstelle des unfähigen Inspektors Lestarde dafür, dass der Stein bald wieder auftaucht. Unterstützt werden sie dabei - zunächst eher unfreiwillig - vom jungen Waisenhaus-Burschen John und seiner neuen Freundin Catherine. Das John in Wirklichkeit Holmes´ Sohn ist und seine Mutter die Frau war, die Moriarty seinerzeit ermordete, erfährt der Zuschauer im weiteren verlauf des Stücks, ebenso wie die Tatsache, dass Catherine eigentlich die Nichte von Sherlocks ehemaligem Gegenspieler darstellt, wovon sie selbst aber keine Ahnung hat bis zum großen Finale. In diesen Generationskonflikt hinein kreuzen diverse Figuren der Londoner Schein- und Unterwelt den Weg der Hauptprotagonisten, und plötzlich stellt sich dann auch noch die Frage, ob Moriarty damals wirklich ums leben kam, denn plötzlich ist Holmes spurlos verschwunden und sein Sohn macht sich auf die Suche nach dem verborgenen Element, das ihn auf die Spur seines Vaters bringen soll. Doch zu viel wollen wir an dieser Stelle nicht verraten, schließlich lebt das Stück gerade nach der Pause auch massiv von der Spannung.

Das Buch von Rudi Reschke und Co-Autor Jo Quirin weiß durchaus zu gefallen, die Mischung aus Dramaturgie, Humor und Musik weiß durchaus zu überzeugen, auch wenn im Plot hier und da auch ein paar Unwägbarkeiten auftauchen, wie zum Beispiel die Opiumhölle im ersten Teil, deren Existenz nicht wirklich nachvollziehbar wird. Aber das sind Kleinigkeiten, die man nachsehen kann. Insgesamt ist das Script dem Thema Sherlock Holmes durchaus würdig, auch der Überraschungseffekt zur Falllösung am Ende des Stücks funktioniert. Für die Musik zeichnet Christian Heckelsmüller verantwortlich, der vor der Pause eine entspannte Musicalmischung, allerdings ohne große Ohrwurmqualität, präsentiert, nach der Pause dann aber auch durchaus melodiöse Songs geschaffen hat, die schon eher im Ohr bleiben. 

Für die Regie zeichnet ebenfalls Rudi Reschke verantwortlich, der hier keine leichte Aufgabe zu lösen hat, denn aufgrund der kleinen Bühne muss er seine Künstler um die hinter einem Vorhang genau in der Bühnenmitte platzierte sechsköpfige Band herumspielen lassen, was ihm zwar recht ordentlich gelingt, aber man stellt sich doch die Frage, was auf einer anderen Bühne, beispielsweise dem nahe gelegenen Altonaer Theater oder den Hamburger Kammerspielen, zu dieser Epoche optisch wie darstellerisch möglich gewesen wäre. Warum man die Band nicht an die hintere Rückwand der Bühne platziert hat, damit die Künstler mehr Fläche haben, erschließt sich dem Betrachter jedenfalls nicht. Inszenatorisch hat man außerdem das Gefühl, dass sich Reschke hier und da auch bei anderen Produktion „bedient“ hat, was heutzutage ja nicht unüblich ist. Jedenfalls erinnert der Beginn des zweiten Akts doch stark an „Mörder“ aus Jekyll & Hyde“, auch der Ohrwurm „Unser Leben“ hat (thematisch) deutliche Elemente von Lucys „A new life“. Doch das schadet der Inszenierung nicht, im Gegenteil, es sind durchaus fesselnde Momente.

Musikalisch wie technisch gibt es nichts zu beanstanden. Der Sound (Sven Baumelt) ist perfekt abgestimmt und lässt keine Wünsche offen. Die Band spielt sehr dezidiert und sauber, passt sich den Stimmen der Künstler an und ergänzt die Produktion makellos. Das Bühnenbild (Dietmar Wolf, Rudi Reschke) besteht im Wesentlichen auf einem Gerüst, mit dem eine Bespielung auf zwei ebenen möglich ist, dahinter und darunter sind große Vorhänge angebracht, die einerseits den Blick auf die Band versperren sollen, andererseits und vor allem als Projektionswände dienen, die in Kombination mit dem sehr eleganten Lichtdesign (Michael Haake) das London des Jahres 1910 darstellen sollen. Ansonsten war es das auch schon weitgehend mit dem Bühnenbild, eine Parklampe, zwei Sessel und ein drei Liegen sind die außerdem genutzten (größeren) Requisiten, für technische Kabinettstückchen gibt diese kleine Bühne offenbar zu wenig her. Was allerdings für Heiterkeit im Saal sorgte, war das Fahrrad, mit dem Catherine auf der Bühne unterwegs war. Das es im viktorianischen London von 1910 bereits Hollandräder mit Lichtanlage und Fahrradkorb gab, dürfte dann doch eher unrealistisch sein.

Dennoch merkte man eigentlich in jeder Phase, dass man es insgesamt mit einem hoch professionellem Team zu tun hatte, das seine komplette Erfahrung in diese Produktion eingebracht hat. Das galt neben den Kreativen auch und besonders für die Darsteller/-innen. Und es ist gut, dass hier so erfahrene Darsteller wie Ethan Freeman als Holmes, Frank Logemann als Watson, Stephanie Tschöppe als Mrs. Mason oder Iris Schumacher als Miss Hudson auf der Bühne stehen. Denn die wissen den Untertitel „Next Generation“ sehr wohl einzuordnen. So ist Sherlock Holmes zwar die schillernde Figur des Stücks, der eigentliche Hauptdarsteller ist aber sein Sohn John, der gemeinsam mit Freundin Catherine daran geht, das Rätsel zu lösen und den verschwundenen Vater zu suchen. Sowohl die Regie wie auch Holmes-Darsteller Ethan Freeman verstehen es hervorragend, den Meisterdetektiv zwar zu positionieren, aber ihm auch immer eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen, damit John ins rechte Licht gerückt werden kann. Wenn er dann selbst gefordert ist, löst Freeman seine Aufgaben mit gewohnter Bravour, Bissigkeit, Ironie und natürlich seinem herrlichen Gesang. Doch man muss den Hut ziehen vor seinem plötzlich auftauchenden Sohn und ehemaligen Waisenjungen John, der bei der besuchten Vorstellung von dem Folkwang-Absolventen Merlin Fargel gespielt wurde, der u.a. schon bei den Bad Gandersheimer Domfestspielen als D´Artagnan im Musical „3 Musketiere“ zu überzeugen wusste. Fargel lieferte eine Spitzenklasse-Leistung ab, spielte sehr überzeugend und sang sogar noch besser als er spielte, da wächst einer der besten männlichen Nachwuchsdarsteller heran, die wir in Deutschland in den letzten 25 Jahren hatten.

Ein perfektes Gegenstück zum manchmal überheblich-ironischen Holmes bietet Frank Logemann als Dr. Watson. Das Logemann ein Schauspieler von Weltklasseformat ist, ist längst kein Geheimnis mehr, aber das er immer mehr auch seine Liebe zum Gesang entdeckt und in Hamburg sogar sein eigenes Solo in emotionaler Perfektion zelebriert, das war nicht unbedingt erwartet worden und gehörte zu den Highlights des Abends. 

Eine ähnlich schöne Ergänzung zu John als „Next Generation“ ist Alice Wittmer alias Catherine. Sie spielt die junge Frau mit einer extrem sympathischen Ausstrahlung, besitzt auch eine schöne Gesangsstimme und kann rollentechnisch auch mal „zuschlagen“, wenn es verlangt wird. Einziger kleiner Makel, den man ihr aber nicht übel nimmt, ist ihr leichtes Lispeln.

Ein dickes Kompliment geht auch an das Damentrio Stephanie Tschöppe, Iris Schumacher und Yvonne Köstler als Lady Chamberlain. Schumacher ist eine tolle Hausdame, die mit viel Witz und sehr schönes Stimme dem selbstherrlichen Holmes Paroli bietet und gemeinsam mit Merlin Fargel auch für eine der schönsten Szenen des Abends sorgt (Unser Leben). Tschöppe muss man schauspielerisch besonders loben, weil eigentlich niemand damit rechnet, dass sie am Ende eine Wandlung vollzieht, die sie aber nichtsdestotrotz absolut authentisch auf die Bühne bringt. Und Yvonne Köstler sorgt mit ihrer überzogen-humorvollen Art immer wieder für Stimmung und gute Laune im Saal. 

Auch Claudio Maniscalco als Mr. Kurayami wird zu einem der Publikumslieblinge. Zwar wird seine Rolle und seine Opiumhölle nicht wirklich erklärt, aber was Maniscalco daraus macht ist wirklich sehens- und hörenswert. Ähnlich ist es mit Aleister Crowley-Darsteller Darrin Lamont Byrd. Wer und was er eigentlich darstellt wird einem nicht klar, aber er hat eine gewaltige Bühnenpräsenz und eine tolle Stimme. Auch dem restlichen Ensemble sieht man den Spaß an ihren Rollen an, auch die Tänzerinnen wissen mit ihren choreografischen Einlagen zu überzeugen.

Als Fazit von Sherlock Holmes – Next Generation – Das Musical“ kann man festhalten, dass man als Zuschauer merkt, dass hier Fachleute mit hoher Kompetenz etwas durchaus sehens- und hörenswertes geschaffen haben. Die Produktion ist sicher noch nicht ganz ausgereift, aber sie besitzt aufgrund der recht kurzen Spieldauer von knapp über zwei Stunden (zuzüglich Pause) auch noch die Möglichkeit, drei oder vier weitere Szene (und Songs) einzubauen, die die Handlungsabläufe und Charaktere noch besser erklären könnten. Für den aktuellen Spielort ist diese Spielzeit übrigens gut gewählt, den länger als zwei Stunden hält man es auf den recht unbequemen Sitzen mit sehr engem Reihenabstand auch kaum aus. Und man sollte schauen, ob sich nicht ein klassisches „Guckkastentheater“ findet, in dem man mit diesem Thema vermutlich deutlich mehr Authentizität erreichen könnte. Das First Stage Theater ist eben das Theater der Stage School, vorgesehen in erster Linie für deren hausinterne Aufführungen. Für anspruchsvolle Musical über historische Romanfiguren der Zeitgeschichte ist es aber eher nicht geeignet, denn dafür kann man als Zuschauer das Gefühl einfach nicht ablegen, sich in einem Schultheater zu befinden. Und das beißt sich thematisch. Dennoch sollte man sich diese Produktion anschauen, denn im Preis-Leistungsverhältnis sind die Tickets mit 35 bis 55 Euro für das dargebotene angemessen, im Gegensatz übrigens zur hauseigenen Gastronomie, deren Preise in der Pause für einige verwunderte Blicke sorgten. 



"Bat out of Hell" im Metronom-Theater Oberhausen

Optik und Ensemble top - Übersetzung flop!

Deutsche Uraufführung des Meat Loaf Musicals überzeugt trotz Schwächen! 

Text: Jörg Beese, Fotos: Stage Entertainment

Über 43 Millionen mal hat sich das legendäre „Bat out of Hell“ Album des exzentrischen Rockstars Meat Loaf verkauft, es zählt damit zu den fünf meistverkauften Studioalben weltweit. Was die meisten nicht wissen: „Bat out of Hell“ war ursprünglich als Musical gedacht, doch über Umwege wurde es dann zunächst doch als Tonträger aufgenommen. Nun feierte Meat Loafs wohl bekanntestes Machwerk aber doch endlich seine Bühnenpremiere, und zwar im Oberhausener Metronom-Theater. Mit einer bombastischen Ausstattung feierten rund 1.600 von Deutschlands Marktführer Stage Entertainment geladene Gäste die Premiere in Oberhausens neuer Mitte. Und die waren überwältigt angesichts der vielen Eindrücke, die sie an diesem Abend sammeln durften, darunter sehr viele positive, allerdings auch mindestens ein absolutes No Go.

Bat out of Hell greift traditionelle Theater- und Liebesgeschichten auf und vereint sie zu einer Story in einer Stadt namens Obsidian im Jahr 2030. Die legendären Rocksongs und Balladen bilden den Rahmen für die Liebesgeschichte zwischen Strat, dem durch Genmanipulation unsterblichen Anführer einer jungen Rebellengruppe und Raven, der schönen Tochter des tyrannischen Herrschers Falco. Rebellische Paare, wie Romeo und Julia, Tony und Maria aus der West Side Story oder Peter Pan und Wendy standen Pate für das Musical. Die Geschichte beschäftigte Komponist Jim Steinman schon lange: Es hat mehr als vierzig Jahre gedauert, bis aus der Idee und dem Album ein Musical wurde. Und es wurde spektakulär,  wenn auch nicht ohne Mängel und mit einem absoluten No Go.

Wer den Lebensweg des amerikanischen Rockstars, der aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Premiere erscheinen konnte, halbwegs mitverfolgt hat, der kam vermutlich nicht mit großen literarischen oder dramaturgischen Erwartungen nach Oberhausen, der wollte vor allem eins: Rock´n Roll! Und der wurde geliefert, ummantelt mit eben jener Liebesgeschichte mit Happyend und teilweise sehr „interessanten“ körperlichen und verbalen Auswüchsen auf der Bühne, Obszönitäten inbegriffen. Denn woraus besteht die Handlung von „Bat out of Hell - das Musical“ letztlich? Ganz einfach: Liebe, Sex und Rebellion, ergo: Rock´n Roll. Hegt man nicht die Erwartung, in Oberhausen ein Pulitzer-preisverdächtiges Musical zu erleben, dann kann man viel Spaß haben

Und zwar vor allem an dem gigantischen Bühnenbild, dem 17 Meter hohen Falco Tower, den riesigen Projektionsflächen, den sehr passenden Kostümen und unzähligen Effekten, darunter eine immer wieder auftauchende Kamerafrau, die live auf der Bühne das Geschehen aufnimmt und somit den Zuschauern noch näher bringt. Während linksseitig ein überdimensionaler Tunneleingang dargestellt wird, darüber diverse Aufenthaltsmöglichkeiten der jungen Rebellen eingerichtet wurden, spielt das Geschehen im Falco-Tower auf mehreren Ebenen, wobei auf der Hauptbühne immer wieder von hinten aus dem „Bauch“ des Gebäudes heraus Ravens Schlafzimmer oder das Wohnzimmer der Familie vorgefahren wird. Dieses spektakuläre Gesamtwerk mit allen Effekten ist auf deutschen Musicalbühnen in dieser Form ein Quantensprung und macht phasenweise sprachlos. Und so braucht man zu Beginn der Show auch ein paar Minuten, um sich überhaupt zurechtzufinden.

Unter der Bühne ist die Band untergebracht, die aber ebenfalls ins Geschehen einbezogen wird. So schiebt Raven das elterliche Cabrio aus Wut in den vermeintlich vorgelagerten See, sprich in den Orchestergraben. Und einer der zahlreichen Lacher entsteht anschließend, wenn die Bandmitglieder mit dem Musikalischen Leiter Martin Gallery mit zerbrochenen Musikinstrumenten und verbogenem Taktstock aus dem Graben schimpfend wie die Rohrspätze auf die Bühne klettern. Musikalisch machen Gallery und Co das, wofür sie bezahlt werden, Rockmusik. Dabei sind sie gerne mal artgerecht laut, aber bei den Balladen sind die Übergänge sehr dezent und beim Tempo perfekt, musikalische einer blitzsaubere Leistung. Dabei muss Gallery eine breite Palette bewältigen, insgesamt werden 18 Songs von Meat Loaf gespielt, darunter seine legendären Ohrwürmer wie „Heaven can wait“, Paradise by the dashboard light“, „Objects in the rearview mirror“, „You took the words right out of my mouth“, I´d do anything for love“ und natürlich der Titelsong „Bat out of hell“.

Wie bereits erwähnt wollen wir über das Script der Show mal großzügig hinweg sehen. Schließlich wurde ein anderes Rockmusical, nämlich „We will rock you“, mit einer ebenfalls recht abstrusen Story zur Erfolgsgeschichte. Und es gibt ja durchaus viele Gelegenheiten um zu lachen, von daher alles gut. ABER: Warum um alles in der Welt lässt man diesen Sprachmischmasch zu? Die Dialoge auf deutsch sind ja in Ordnung, wenn auch manchmal skurril. Aber die Ohrwürmer von Meat Loaf zum Teil nur auf deutsch, teilweise auf Deutsch beginnend und auf Englisch endend, teilweise aber auch hin- und her switchend, das ist starker Tobak. Und zudem wurden einige Evergreens auch noch grausam übersetzt. Kostprobe gefällig? „Objects in the rearview Mirror“ heißt nun „Im Rückspiegel erscheinen die Dinge oft sehr viel größer als sie sind“. Wer bitte würde auf Deutsch so reden??? Michael Kunze hat aus diesem Evergreen einen der größten deutschen Musicalsongs aller Zeiten gemacht, die "Unstillbare Gier". Was Übersetzer Frank Ramond jetzt getan hat, grenzt an die Vergewaltigung eines Lebenswerks und geht gar nicht, auch wenn die Künstler alles tun, um die Magie dieser Music noch halbwegs zu retten.  Weitere Kostproben gefällig? You took the words right out of my mouth“ würde jeder Normalsterbliche wohl mit „Du nimmst mir die Worte aus dem Mund“ übersetzen“, in Oberhausen heißt es nun „Du nimmst die Worte einfach aus meinem Mund“. Das man dann bei „Heaven can wait“ aus „Der Himmel kann warten“ plötzlich „Der Himmel ist weit“ macht, das schreit dann schon nach der Höchststrafe. Was sich Ramond dabei wohl gedacht hat?

Mit der Entscheidung, die meisten Texte in Deutsch – zumindest überwiegend – zu singen, hat sich Stage Entertainment ein Eigentor geschossen. Denn einerseits geht extrem viel Energie in den Songs selbst verloren, wird man als Angehöriger der „Meat Loaf Generation“ abrupt aus seiner gedanklichen Mitsing-Zeitreise gerissen und außerdem hört man so leider die Akzente der vielen ausländischen Ensemblemitglieder beim phonetischen Deutsch-Gesang viel zu deutlich heraus. Dadurch wird diesen unsterblichen Songs extrem viel ihrer Strahkraft genommen. Man mag sich kaum vorstellen, wie das Publikum abgegangen wäre, wenn dieses wahnsinnig gute Ensemble diese Ohrwürmer im Original gesungen hätte. Sorry Stage Entertainment, aber der Gedanke, durch deutsche Liedtexte die Handlung (die ja eigentlich total unwichtig ist) besser zu erklären, war ein Rohrkrepierer! Hatte man wirklich so wenig Vertrauen in sein Ensemble, dass es diese Handlung darstellerisch nicht rüberbringen könnte? Eine Fehleinschätzung! Aber das kann man ja noch ändern!?

Bevölkert wird die gewaltige Bühne von jenem erwähnten grandiosen Ensemble, das von Willemijn Verkaik als Sloane und Alex Melcher alias Falco mit einer absoluten Weltklasse-Performance angeführt wird. Die Rockstimmen der beiden, aber auch ihrer beiden jugendlichen Protagonisten Raven (Sarah Kornfeld) und Strat (Robin Reitsma) lassen jedes Rockerherz höher schlagen, unterstützt von einer nur so von Kraft und Motivation strotzenden rund 22-köpfigen Cast. An Melcher und Verkaik sieht man übrigens auch, wo es Sinn machte, auf Deutsch zu singen. Ihr Duett „Wo tut mir der Schmerz am meisten weh“ (What part of my body hurts the most) ist ein absoluter Showstopper, der Höhepunkt des Abends und krönt die Leistung der beiden Künstler. Obwohl sowohl Verkaik als auch Melcher schon wesentlich anspruchsvollere Musicalrollen gespielt haben, so hat zumindest der Autor dieser Zeilen beide noch nie so gut gesehen wie an diesem Abend. Fehlerfreie Powerstimmen, spielstark, agil, maximale Ausstrahlung: das war Weltklasse!

Eigentlich müsste man hier jede Rolle einzeln würdigen, aber das Besondere an dieser Oberhausener Cast ist, dass sie einfach alle auf einem sehr hohen Level spielen und singen. Für den kleinen Makel der gelegentlich störenden Dialekte können die Künstler ja nichts, außerdem machen sie das mit ihrer Leistung mehr als wett. Dennoch ragen mit Sarah Kornfeld (Raven) und Aisata Blackman (Zahara) zwei Künstlerinnen mit ihren Powerstimmen heraus. Auch Robin Reitsma weiß zu überzeugen, allerdings erreicht er nicht ganz die „Gänsehautschwelle“ wie seine vier MitstreiterInnen.

Die Choreografien hätte man durchaus noch etwas „schmutziger“ einstudieren können. Bei den vielen Massenszenen hätten sich durchaus mehr „obszöne“ Tanzsequenzen angeboten, denn wenn verbal schon in diverse Vulgär-Kisten gegriffen wird, dann darf man das auch tänzerisch. Die präsentierten Nummern sind durchaus sehenswert, aber oft irgendwie auch sehr „brav“, erinnern in Teilen sehr an „Grease“-Choreografien. Hier würde man sich ein paar Innovationen wünschen, wie sie beispielsweise eine Kim Duddy immer zu bieten hat.

Fazit: Wahrscheinlich würde der Herzschlag sogar in gesundheitsgefährdende Dimensionen abdriften, wenn den Produzenten nicht dieser entscheidende Fehler mit den deutschen Liedtexten unterlaufen wäre. Dies könnte für die Produktion noch zum Bumerang werden, Dennoch zeigt „Bat out of Hell“ auch wieder eindrucksvoll, wie stark ein Musical sein kann, wenn zwei oder drei Elemente überragen. Dann kann man auch verzeihen, dass es andernorts etwas hakt. Und da sich Optik und Ensemble hier in kaum mehr überbietbaren Sphären bewegen, erlebt man zumindest einen sehr unterhaltsamen Abend. Aber vielleicht, liebe Stage Entertainment, wollt ihr ja aus einen unterhaltsamen Stück noch ein hervorragendes Musical machen. Dann lasst zumindest die Evergreens im Original singen, euer Ensemble wird es zweifelsohne danken. In diesem Stück steckt noch Potential, es muss nur ausgeschöpft werden.


Ghost im Operettenhaus Hamburg

Am Ende sind die Tränen hörbar!

Bühnenadaption des Filmklassikers kann bei kleinen Mängeln durchaus überzeugen!

Text: Jörg Beese, Fotos: Stage Entertainment

In Kooperation mit dem Landestheater Linz präsentiert Stage Entertainment nach der Station im Theater des Westens in Berlin nun „Ghost – das Musical“ im Hamburger Operettenhaus. Mit zum Teil neuen Hauptdarstellern, bekanntem Bühnenbild und auf elf Wochen Spielzeit begrenzt erfüllt das Musical mit der Musik von Dave Stewart und Glen Ballard, die gemeinsam mit Bruce Joel Rubin auch für die englischen Originaltexte verantwortlich zeichnen, zwischen dem gerade erst abgelaufenen „Kinky Boots“ und dem im März folgenden Tina Turner Musical eine Art „Lückenbüßerfunktion“. So scheint es sich jedenfalls in Hamburg herumgesprochen zu haben, denn wenn man sich durch die Saalpläne klickt, dann scheint der Vorverkauf eher schleppend zu verlaufen, was sicher auch der Tatsache geschuldet ist, dass das Stück inhaltlich natürlich aufgrund der Filmvorlage mit Patrick Swayze und Whoopi Goldberg fast Jedermann/-frau in Deutschland bekannt sein dürfte. Auch bei der besuchten Vorstellung wurde der Rang im Operettenhaus gar nicht erst geöffnet und das Parkett war mit großen Lücken durchzogen. Eigentlich schade, denn bis auf ein paar Längen im zweiten Akt ist diese Show durchaus sehenswert und hätte wesentlich mehr und lautere Zuschauerreaktionen verdient.

Alleine schon von der Optik her erfüllt „Ghost“ alle Erwartungen. Tolle Kostüme (Leo Kulas) und ein sehr clever erbautes Bühnenbild (Hans Kudlich) mit vertikal und horizontal angelegten Stelen, die mithilfe blitzschneller und kleiner Umbauten zu den verschiedenen Spielorten verwandelt werden. Egal ob Loft, Bank, U-Bahn oder Oda Maes Wohnung, man hat keinerlei Probleme damit, den Handlungssträngen optisch wie verbal zu folgen. Zu diesen optischen Leckerbissen passen dann auch die sehr sportlich angelegten Choreografien von Lee Proud, die aufgrund ihrer Rasanz begeistern, sei es als Ensemble- oder Solisten-Choreografie. Einziger optischer Nachteil der Show: Die verschiedenen Lichtdesigns sind teilweise so grell und auch ins Publikum hinein strahlend, dass man mehrfach recht heftig geblendet wird. Für lichtempfindliche Menschen könnte dies zu Probleme führen, worauf auch im Foyer auf den Monitoren hingewiesen wird.

Das „Ghost“ bislang musikalisch in der Öffentlichkeit noch nicht wirklich angekommen ist, mag an den eher austauschbaren Komposition liegen. Gerade im ersten Akt vermisst man Ohrwürmer zum Mitsummen, nach der Pause sticht aber wenigstens Oda Mae mit ihrem „Weg von hier“ positiv heraus. Die achtköpfige Band in Hamburg (Musikalische Leitung Shay Cohen) spielt sich sehr souverän, allerdings manchmal etwas zu laut durch die Partitur, so dass das 20-köpfige Ensemble manchmal kaum zu verstehen ist, ein Problem, das sich mit der Zeit allerdings einspielen sollte. 

Mit Matthias Davids zeichnet einer der erfahrensten deutschen Musicalregisseure für die Inszenierung von „Ghost“ verantwortlich. Seine Aufgabe ist dabei nicht einfach, denn immerhin ist wohl jedem theaterinteressierten Besucher die Filmvorlage vermutlich bekannt. 

Da ist es nicht einfach, Überraschungsmomente zu schaffen. Dennoch gelingt Davids dies besonders im ersten Akt hervorragend. Seine Personenregie kann in weiten teilen absolut überzeugen und auch die sehr rasante und temporeiche Szeneabfolge begeistert. Nach der Pause kann dieses Tempo leider nicht gehalten werden, da hat man dann doch das Gefühl, dass aufgrund des bekannten und vorhersehbaren Endes ein wenig auf Zeit gespielt wird und der Melancholie des Themas etwas zu viel Raum gewidmet wird. Das ändert sich aber zum Finale hin, wenn Davids die erhoffte Wirkung beim Publikum, gerade bei den Damen, erzielt. Da sieht man unzählige Taschentücher, die bei der Abschiedsszene zwischen Sam und Molly gezückt werden, teilweise ist die Wirkung auch am leisen Schluchzen auf den Nachbarplätzen zu hören.

Womit wir bei den Künstlern angekommen wären. Etliche Rollen sind ähnlich wie in Berlin besetzt, aber bei den beiden Hauptrollen gab es Veränderungen. Als Sam spielt in Hamburg Ricardo Grecco und die preisgekrönte Roberta Valentini agiert als Molly. Bei der besuchten Vorstellung spielte allerdings Nikolas Heiber als Sam, der diese Rolle in der Hauptstadt bereits alternierend spielte. Ob es an seiner Ausstrahlung oder seinem eher durchwachsenen Gesang lag, der Funke sprang bei diesem Sam irgendwie nicht über. Da aber Roberta Valentini schauspielerisch wie gesanglich eine absolute Topleistung als Molly ablieferte und auch die bereits in Berlin aktive Oda-Mae Brown-Darstellerin Marion Campbell sich als wunderbare „Rampensau“ präsentierte, bescherte die Vorstellung am 1. November den subjektiven Eindruck, dass die Hauptrollen dieser Show nicht Molly und Sam, sondern Molly und Oda Mae sind, zumal auch der „Carl“-Darsteller John Vooijs den beiden Damen kein Paroli bieten konnte.

Allerdings gab es auch abseits der Hauptrollen noch einige Lichtblicke. Da ist zunächst der U-Bahn Geist zu nennen. Marius Bingel glänzt in dieser (manchmal extrem) schrillen Rolle mit starkem Spiel, Tanz und auch Gesang. Von ihm hätte man gerne noch mehr gesehen, ebenso wie von Rob Pelzer als Krankenhaus Geist, der mit seiner sehr sympathischen Ausstrahlung und perfektem Gesang punkten kann. 

Ein ganz dickes Extralob gibt es aber auch für das Ensemble, das die Tanzszenen zu einem Augenschmaus macht und dem man die große Spielfreude absolut ansehen kann.Man freut sich richtig, wenn es auf der Bühne wieder voll wird.

Insgesamt ist die Hamburger „Ghost“-Inszenierung trotz ihrer „Lückenbüßer-Funktion“ eine sehenswerte Show, bei der man über die kleinen Mängel hinwegsehen kann. Auch wenn man den Film in- und auswendig kennt, so kann man hier aufgrund der Qualität in fast allen Detailbereichen des Musicals immer wieder Spaß an einem unterhaltsamen Abend haben. Wenn man die „Blendmomente“ des Publikums noch etwas herunterfahren könnte, dann wäre es sogar noch entspannter. Für die nah am Wasser gebauten Besucher sei auf alle Fälle nochmal eins erwähnt: Taschentücher nicht vergessen!


 "Sunset Boulevard" im Stadttheater Bremerhaven

Ein Drama mit dem Drama!

Die Abrechnung mit dem Hollywood-Genre missglückt an der Wesermündung in wesentlichen Teilen!

Text: Jörg Beese, Fotos:Manja Herrmann

Das Stadttheater Bremerhaven hat in der Vergangenheit immer wieder mit sehens- und hörenswerten Musicalinszenierungen auf sich aufmerksam gemacht. Allerdings war die Spannweite bei der Qualität hier doch recht breit gefächert, gerade wenn man auf externe und erfahrene Musicaldarsteller verzichtet hat, waren kritische Töne nicht zu überhören. Dies ändert sich auch nicht bei der jüngsten Produktion „Sunset Boulevard“ von Andrew Lloyd Webber. Zwar hat man mit Andrea Matthias Pagani einen sehr renommierten Künstler in der Rolle des Max von Mayerling engagiert, alle anderen Rollen werden aber vom hauseigenen, überwiegend dem Operngenre entstammenden Ensemble gespielt. Dies macht sich gerade in den Hauptrollen bemerkbar, was in Kombination mit einer schwachen Regie zu einem nicht wirklich zufriedenstellenden Musicalabend führt.

Sunset Boulevard ist bekanntermaßen ein Drama um die alternde Hollywood-Stummfilmdiva Norma Desmond, die sich in der irrealen Scheinwelt ihrer heruntergekommenen Villa einen erfolglosen Filmautor als Gigolo ins Haus holt und diesen wie ihr Eigentum behandelt, ständig beobachtet von Butler Max, der zugleich ihr erster Ehemann war. Begleitet wird diese emotionale Handlung von sehr melodiöser Musik von Lloyd-Webber, die mit vielen Nähen zur Evita-Partitur ausgestattet ist.

Gerade die Stadttheater in Deutschland müssen mit ihrem Budget sorgfältig umgehen. In Bremerhaven ist dies offenbar noch extremer als anderswo, was sich auch im Bühnenbild bemerkbar macht. Bei einigen Requisiten hat man das Gefühl, dass diese für Sunset Boulevard auf dem verborgensten Fundus heraus gekramt wurden. Die kargen Möbel in Joe Gillis Garagenwohnung beispielsweise sprechen dafür, ebenso der gold-lilafarbene Bezug der großen Treppe in der Villa am Sunset Boulevard. Überhaupt wirkt das Wohnzimmer wenig einladend.

Gelungen ist jeweils nur die Optik bei den Szenen in den Paramount Studios, hier hat man tatsächlich perfekte Filmatmosphäre geschaffen. Die lamellenartige Videowand wird hingegen viel zu oft als räumlicher Bühnentrenner genutzt, außer einer auf Wiederholungsschleife laufenden Straßenprojektion nutzt man sie aber viel zu selten dazu, die Handlung zu unterstützen. Die Kostüme sind weitgehend passend gewählt, allerdings gibt es bei den Outfits, gerade bei Joe Gillis, auch Ausnahmen.

Musikalisch hat das Orchester des Stadttheaters unter Ektoras Tartanis offenbar wenig Zeit gehabt, mit den Künstlern zu proben. Bei der Premiere übertönten vor allem die Bläser immer wieder die Stimmen der Künstler, das ergab, kombiniert mit den sehr vielen vorhandenen Akzenten der Künstler, gerade bei Chorarrangements einen Mischmasch, der oftmals gar nicht zu verstehen war. Nach der Pause besserte sich dies etwas, daher kann man davon ausgehen, dass sich zumindest das Lautstärkenproblem mit der Zeit erledigen dürfte.

Das man mit einem größtenteils der Oper entstammenden Ensemble keine großen Choreografien einstudieren kann ist auch Musicalliebhabern klar. Lidia Melnikova hat eine ordentliche Kompromisslösung mit einfachen Gruppenchoreografien geschaffen, die ihren Zweck erfüllen und zufrieden stellen, aber natürlich längst nicht das Optimum aus dem stofflichen Potential herausholen.

Letzteres kann man leider auch von der Regie nicht behaupten. Ansgar Weigner hat noch nicht allzu viel Erfahrung im Bereich Musical, das merkt man auch. Es war bezeichnend, dass die Künstler sich selbst beim anfangs sehr verkrampft wirkenden Schlussapplaus des Publikums fragend anschauten und nicht wussten, wann und wie sie sich ihre Würdigungen abholen sollten. Weigner muss sich fragen lassen, wo sein roter Faden inszenarisch verläuft, warum einige Szenen völlig uninszeniert wirken und warum seine Personenregie mehrfach auf der Strecke geblieben ist. Ein Beispiel: Zu Beginn des zweiten Aktes, als Joe Gillis seine musikalische Abrechnung mit Hollywood und dem dazugehörigen Genre im Rahmen des Titelsongs „Sunset Boulevard“ präsentiert, lässt der Regisseur seinen Hauptdarsteller zunächst mit dem Rücken zum Publikum hinter einer Leichenbahre agieren. Hier erschließt sich weder der Zusammenhang mit der Bahre und dem Ambiente einer Leichenhalle noch das szenische Staging, das zudem durch eine katastrophale Mimik und Körpersprache des Künstlers diese Highlight-Szene ins Gegenteil verkehrt. Und auch die sich anbahnende Liebesbeziehung zwischen Joe und Betty ignoriert Weigner fast komplett, die beiden spielen nebeneinander her, aber von sich anbahnenden (Beziehungs-) Funken ist auf der Bühne wenig zu merken. 

Es gibt durchaus Szenen, so wie Normas Rückkehr in die Paramount Studios, die auch inszenarisch gefallen, aber wieso fällt dem Regisseur dann beispielsweise nicht auf, dass einer der Pförtner, der die Desmond am Eingang wiedererkennt, viel zu jung aussieht, um ein ehemaliger Weggefährte der Stummfilm-Diva sein zu können? In Sachen Maske, Perücken und teilweise auch Garderobe hat sich Bremerhaven jedenfalls keine Bestnoten verdient.

Wenn die Rahmenbedingungen nicht stimmen, dann kann ein gutes Ensemble das Ruder beim Publikum oftmals durch starke Leistungen dennoch herum reißen. Aber auch hier hapert es. Fangen wir mit dem Lichtblick an, denn das ist klar der Musicalprofi auf der Bühne. Andrea Matthias Pagani gibt einen starken Max von Meyerling. Mit seinem kraftvollem Bariton und großem Spiel verleiht er als einziger auf der Bühne seiner Rolle hundertprozentige Glaubwürdigkeit und als Zuschauer genießt man die Momente, wenn er auf der Bühne steht. Allerdings leidet auch er unter der schwachen Regie, denn es wirkt schon subtil, wenn die Desmond in ihrer Villa fragt,ob sie ihren Butler rufen soll, während dieser drei Meter neben ihr steht.

Womit wir bei der Hauptdarstellerin wären. Die Norma Desmond spielt im Stadttheater Sascha Maria Icks. Sie gehört eigentlich dem Schauspielensemble des Theaters an, hat aber eine durchaus angenehme und verständliche Gesangsstimme. Darstellerisch kann sie absolut überzeugen, stimmlich hat sie in den Höhen manchmal kleine Wackler, aber die kann man einer Schauspielerin nachsehen, sie mindern nicht ihre künstlerische Leistung. Für das eigentliche Problem ihrer Rolle kann die Künstlerin selbst gar nichts, denn sie ist einfach zu jung. Sowohl ihre Stimme, ihre Körperspannung als auch die optische Ausstrahlung sind nicht die einer alternden Stummfilmdiva, sondern einer voll im Leben stehenden Frau Anfang bis Mitte 40. Sieht man über dieses „Manko“ hinweg, dann kann man sich mit dieser Norma Desmond durchaus anfreunden, auch wenn eben das letzte Quäntchen Pathos und Lebenserfahrung, das zu dieser Rolle zwingend gehört, am Ende fehlt.

Die größten Probleme hat ein musicalerprobter Besucher sicherlich mit Vikrant Subramanian alias Joe Gillis. Gut, Subramanian ist Opernsänger, hat aber bereits Musicalerfahrung. Da hätte man ihm doch mal jemand sagen können, dass zu einem guten Musicaldarsteller auch eine gewisse Mimik und Körpersprache gehört. Nur Lächeln, eine Zigarette nach der anderen rauchen und cool mit der Hand in der Tasche auf der Bühne stehen reicht nicht, erst recht nicht in einer Rolle, die schauspielerisch eigentlich hoch anspruchsvoll ist, weil sie verschiedene charakterliche wie stimmungstechnische Facetten eines beruflich wie privat hoch emotionalisierten Mannes an den Tag legen muss. Hier fehlen dem Künstler einfach die schauspielerischen Grundlagen und die Regie hat es versäumt, zumindest das Notwendigste im Rahmen der Proben „anzutrainieren“.

Bleibt noch Patrizia Häusermann als Betty Schaefer, die mit ihrem klaren Mezzosopran durchaus gefallen kann, den Maskenbildner, der ihr die Perücke besorgt hat, allerdings auf Schmerzensgeld verklagen sollte.

Fazit: Zu viele Mängel verderben auch bei vorhandenen guten Elementen einen entspannten Musicalabend. In der Vergangenheit hat das Stadttheater mit seinen Gastdarstellern immer wieder gute Erfahrungen gemacht, zuletzt bei Dracula mit Christian Alexander Müller, Anna Preckeler und Maximilian Mann. Das man nun versucht hat, fast komplett mit dem Hausensemble solch ein anspruchsvolles Stück zu stemmen, ist schon etwas fahrlässig. Offensichtlich grassiert in Bremerhaven immer noch das Klischee, dass Musical keine eigene Kunstform ist, sondern nur ein wirrer Mischmasch aus Tanz, Schauspiel und Gesang, wobei der Gesang letztlich schon alles richtet. Dem ist aber nicht so. Für diese Show muss man jedenfalls nicht unbedingt an die Wesermündung reisen. Aber vielleicht lernt man ja aus solchen Fehlern.


"Die Schatzinsel" im Schlosstheater Fulda

Hei-Hoo - Fulda feiert sein Piratennest!

Die Wiederaufnahme von Robert Louis Stevensons Erfolgsroman wird zum Verkaufsmagnet!

Text: Jörg Beese, Fotos:Spotlight Musicals.

Schon im Jahr 2015 wurde die Uraufführung des Musicals „Die Schatzinsel“ im Fuldaer Schlosstheater vom Publikum gefeiert. Doch bei der Wiederaufnahme am 18. August schien es, als wäre das Stück erst nach seiner Überarbeitung so richtig bei den Fans angekommen. Minutenlange und sehr lautstarke Ovationen feierten ein großartiges Ensemble und eine Show, die vor allem eins gemacht hatte: Spaß! Wieder einmal hat die Spotlight Musicalproduktion um Peter Scholz und Komponist Dennis Martin einen perfekten Musicalsommer abgeliefert, mit drei großen Produktionen, denn auch „Die Päpstin“ sowie „Der medicus“ waren nicht nur erneut quasi ausverkauft, auch die Qualität wurde trotz ohnehin schon hohem Ausgangsniveau nochmals gesteigert. Kein Wunder, dass sich bereits heute viele Musicalfans auf den Musicalsommer 2019 an gleicher Stelle freuen. Dann wird nach „Päpstin“ und „Medicus“ als dritte Produktion das erste preisgekrönte Spotlight-Meisterwerk „Bonifatius“ zu sehen sein, und zwar in einer Open-Air Version auf dem Domplatz mit Platz für bis zu 5.000 Zuschauer.

Doch zunächst können sich Musicalliebhaber noch bis zum 2. September über ganz viele „Schatzinsel“-Shows freuen, die zwar weitgehend bereits ausverkauft sind, für die aber in Einzelfällen und durch Zusatzshows bedingt durchaus noch Restkarten erhältlich sind. Und dieser Besuch wird sich lohnen, denn „Die Schatzinsel“ ist entgegen der immer noch vorhandenen Einschätzung eben kein Kindermusical. Erzählt wird eine Handlung auf zwei Ebenen, nämlich zum einen die Lebensphase des Autors Robert Louis Stevenson, in der er diese Geschichte zu Papier brachte, zum anderen natürlich das Piratenepos um den Schatz von Kapitän Flint und seiner Mannschaft, angeführt vom ebenso cleveren wie hinterhältigen Long John Silver. Die Übergänge zwischen den beiden Handlungs- und Zeitebenen sind dem Kreativteam um Regisseur Stanislav Slovak und Choreograf Michal Matej hervorragend gelungen, gegenüber der 2015er Uraufführung wurden das Bühnenbild und die Kostüme überarbeitet und auch das Licht- und Sounddesign verbessert, auch der Zuschauersaal wurde in die Handlung eingebunden. So entsteht eine Inszenierung, die eine starke Mischung aus Spannung, Spaß und Melancholie repräsentiert und immer wieder für Gänsehautmomente sorgt. Musikalisch gibt es etliche Arrangements von Dennis Martin mit Ohrwurmcharakter. Absolut göttlich beispielsweise Reinhard Brussmanns Interpretation von „Ich bin das Kommando“ in der Figur das Käpt´n Smollett, absolut dramatisch dafür der „Herr der Insel“ durch Louis/Ben Gunn, emotional mit Gänsehautwirkung Fanny Osbornes „Über´s weite Meer“. Und dann ist da natürlich DER Identifikationssong des Musicals. „Hei-Hoo“, dieser spaßig-dramatische, rhythmische Piratensong, der von dem personifizierten „Oberpiraten“ Andreas Lichtenberger in der Figur von Long John Silver zelebriert wird, dass es eine wahre Freude ist, diesem Erlebnis beizuwohnen.

Womit wir auch schon bei einem der besten und spielfreudigsten Ensembles angekommen wären, das der Autor im Jahr 2018 auf einer deutschen Bühne erlebt hat. Obwohl viele der Darsteller bereits eine oder sogar zwei Produktionen des Fuldaer Musicalsommers in den Knochen haben, agieren alle Künstler, egal ob Haupt- oder Nebendarsteller, Tänzer oder Swings, mit einer scheinbaren Leichtigkeit und Unbekümmertheit, die beeindruckt. Man merkt einfach, dass es den Künstlern auf der Bühne Spaß macht und dieser Funke springt auch auf das Publikum im Saal über. Wie sagte einer der Künstler auf der anschließenden Premierenfeier so schön? „Wir sind ganz sicher nicht die perfekte Show, in der alles funktioniert, aber wir haben Spaß!“ Besser kann man es nicht formulieren, und über Kleinigkeiten schaut ein euphorisiertes Publikum ohnehin hinweg, wenn es derart ehrliche und mit Herzblut dargebotene „Arbeit“ präsentiert bekommt.

Eigentlich wäre es unfair, die Reihenfolge der personellen Bewertung an die scriptbedingte Hierarchie im Stück zu koppeln. Denn es gibt nicht den einzelnen Star bei der „Schatzinsel“. Natürlich ist Friedrich Rau als Louis alias. Dr. Livsely alias Ben Gunn mit seinem starken Spiel und seiner wunderbaren klaren Stimme ein Highlight, aber das sind zweifellos auch Anna Thorén als Fanny / Mrs. Hawkins, Andreas Lichtenberger als Silver/ Flint/ Lloyds Vater sowie mit einer ganz besonderen Note die Darsteller des kleinen Lloyd, am Premierenabend gespielt von der hervorragenden Anna-Maria, von der man erst nach Ende der Vorstellung bemerkte, dass es überhaupt ein Mädchen und kein Junge ist. Ein dickes Kompliment muss man aber auch Reinhard Brussmann machen, der nach seiner ohnehin schon massiven Belastung als „Aeskulapius“ in „Die Päpstin“ und „Ibn Sina“ in „Der Medicus“ gerade mal sieben Tage Zeit hatte, um sich auch noch in die Rolle von Louis Vater alias „Käpt´n Smollett“ einzulesen. Und auch wenn am Premierenabend Andreas Lichtenberger und Anna-Maria vielleicht noch eine kleine Phonstärke mehr beim Schlussapplaus einheimsten, insgesamt feierten die Zuschauer ein großes, harmonisches und handwerklich hochwertiges Ensemble.

Fazit: Auch bei dieser Wiederaufnahme hat es die kleine, aber seit 14 Jahren stetig wachsende Musical-Produktionsgesellschaft aus Fulda wieder mal geschafft, das Publikum für sich zu gewinnen. Drei große Shows quasi dreimal – bis auf Restkarten - auszuverkaufen, dazu gehört schon einiges an Qualität. Für diese steht Spotlight nun bereits seit vielen Jahren, wodurch sich auch die unzähligen Besucher erklären, die aus hunderten Kilometer Enternung den Weg ins Schlosstheater antreten. Kein Wunder, dass für „Bonifatius“ 2019 innerhalb von zwei Tagen bereits mehr als 10.000 Karten verkauft waren. Doch bevor die Donar-Eiche auf dem Domplatz gefällt wird, wird in den kommenden Wochen noch etliche male Long John Silvers „Hei-Hoo“ im Schlosstheater erklingen. Mitsingen ist dabei ausdrücklich erwünscht.


 "Spamalot" auf der Freilichtbühne Tecklenburg!

Angriff auf die Lachmuskulatur

Werner Bauer schafft ein Feuerwerk an Gags bei Monty Pythons Bühnenspektakel!

Text: Franziska Hecht, Fotos:Heiner Schäffer.

Als Erfolgsmusical war Monty Pythons „Spamalot“ bislang eigentlich nicht bekannt, deshalb gab es schon ein paar fragende Blicke, als die Freilichtspiele Tecklenburg im letzten Jahr bekanntgaben, das ausgerechnet die Persiflage auf die „Ritter der Kokosnuss“ als zweite Produktion neben dem Klassiker „Les Miserables“ im aktuellen Musicalsommer 2018 aufgeführt werden würde. Nimmt man die Reaktionen des Publikums als Maßstab, dann kann man diese Fragezeichen getrost vergessen, denn Regisseur Werner Bauer hat ein Feuerwerk an Lachsalven geschaffen, dessen Handlung zwar völlig diffus und eigentlich unwichtig ist, dessen Humor aber unübertroffen sein dürfte und bei entsprechender Beantragung vermutlich beste Chancen auf Zulassung als Gute-Laune Medikament haben dürfte.

Da Spamalot noch nicht bei allen Fans bekannt sein dürfte, hier eine kurze Inhaltsbeschreibung. England im Jahr 923. Es regieren Pest und Cholera, Angelsachsen und Franzosen. Ein Mann tritt an, das geteilte Land zu einen: König Artus. Für seine Mission wirbt er die tapfersten Ritter an, die sich rund um Camelot finden lassen. Seine illustre Tafelrunde bilden der tapfere Sir Robin, der eigentlich ein großer Feigling ist, der blutrünstige Sir Lancelot, Sir Galahad, ein Torfstecher aus der Unterschicht, sowie der überengagierte Ritterlehrling Sir Bedevere. Mit dabei ist auch Patsy, König Artus’ Pferd und Diener. Doch bevor sie Kokosnüsse aneinanderschlagend England durchreiten können, sendet Gott persönlich König Artus und seine Ritter aus, um den heiligen Gral zu finden. Nun heißt es „Always look on the bright side of life“, denn bei ihrer Suche treffen sie auf französische Raufbolde, auf Prinz Herbert, den es vor der Hochzeit mit einer ungeliebten Prinzessin zu retten gilt, sowie auf das Kaninchen des Todes. Stets an ihrer Seite ist die Fee aus dem See, die sich mit ihren Cheerjungfrauen die Ehre gibt. 

Werner Bauer hat seine Interpretation der Kokusnussritter gespickt mit aktuellen Anspielungen und Gags. Die Charakterbeschreibungen sind einzig und alleine darauf ausgerichtet, den Besuchern Spaß zu vermitteln. Dazu kommt ein opulentes Kostümfest (Karin Alberti), gepaart mit großen Choreografien ( Kati Heidebrecht). Giorgio Radoja hat sein Orchester perfekt im Griff und sorgt für den passenden Sound. Und dazu dann noch dieses hoch motivierte und perfekt spielende Ensemble, das dem Ganzen erst zum leben verhilft.

Man weiß gar nicht, bei wem man anfangen soll, denn obwohl König Artus eigentlich an der Spitze steht, lacht und singt man bei anderen Darstellern/-innen viel mehr mit, ohne damit Winkels abwerten zu wollen. Man steht voll auf Femke Soetengas Seite als Fee, wenn sie sich darüber beschwert, nur so selten auf der Bühne zu stehen, denn diese Frau will man einfach öfter spielen und singen hören. Oder Tecklenburg-Hero Thomas Hohler alias Sir Robin, der einfach ein perfektes Spiel abliefert. Und natürlich Robert Meyer, neuerdings wohl nur noch „Die Nuss“ genannt, der die große Ehre hat, den Evergreen „Always look on the bride side of life!“ zu zelebrieren, auf eine Art, die für grandiose Stimmung unter dem Zeltdach sorgt. Ach ja, und dann ist da ja auch noch eine nette Anekdote, denn als Gott durfte in Tecklenburg natürlich nur der örtliche „Himmelsvater“ auftreten, Intendant Radulf Beuleke zeigt dem kleinen Zyniker Artus erstmal, wer der eigentliche Chef im Ring ist. 

Insgesamt sollte man einen Besuch bei Spamalot nicht in die Kategorie „normale Musicalvisite“ einordnen. Einfach hinfahren, Spaß haben und mit großem Grinsen die Heimfahrt antreten. Und wer Angst hat, er könnte vor lauter Lachen Bauchschmerzen bekommen, dem sei gesagt: das könnte passieren! Ein toller Kontrast zu „Les Miserables“ und ein perfekte, filigrane Detailarbeit von Werner Bauer, der mit so viel Liebe zum Detail eine seiner bislang wohl besten Regiearbeiten überhaupt abgeliefert hat.  Wenn sich die terminliche Chance ergibt, so können Musicalfans an einem Wochenende zwei absolute Musicalhighlights des Jahres 2018 miterleben. Ab sofort werden übrigens bis Ende August auch die beliebtesten Darsteller der diesjaährigen Tecklenburger Festspielsaison gewählt. Details hierzu auf unserer Startseite.


"Mamma Mia!" bei den Thuner Seespielen!

Fünf Sterne für das Bühnenbild!

Grandiose Kulisse und witzige Mundartversion beim Abba-Musical im Thuner See! 

Text: Annette Stecher, Fotos:Thuner Seespiele.

Die Thuner Seespiele haben in letzter Zeit zunehmend darauf verzichtet, sich für ihre Großproduktionen externe Musicals einzukaufen, sondern legen immer mehr Wert auf einen eigenen, eidgenössischen Charme. So auch in diesem Jahr, in dem man auf der großen Bühne im Thuner See eine Mamma Mia! Inszenierung in Schweizer Mundart auf die Beine gestellt hat. Die Idee scheint beim größtenteils entsprechend Schwytzerdütsch sprechenden Publikum gut anzukommen, die Vorstellungen scheinen hervorragend verkauft zu sein und erste Zusatzvorstellungen wurden bereits angesetzt. Das absolute Highlight der Show ist aber das Bühnenbild von Stephan Prattes, der Donnas Taverne auf der griechischen Insel perfekt in den Thuner See auf einer runden Drehbühne in Szene gesetzt hat, die auf mehreren Ebenen bespielt werden kann und auf deren „Dach“ das Orchester unter Iwan Wassilevski untergebracht wurde. Auf der linken Seite begrenzt auf einem weiteren Ponton eine Art Containerdorf das Szenario, in dem sich die Künstler im Gegensatz zu vergangenen Jahren, als sie unter der Bühne untergebracht waren, nun umziehen. Rechts wurde ein Anlegesteg mit angedeutetem Strand geschaffen. Ein immenser Aufwand wurde hier betrieben. Der sich gelohnt hat wohlgemerkt und Thun durchaus als Kandidaten für das spektakulärste Bühnenbild des Jahres 2018 in Frage kommen lässt.

Regisseur Dominik Flaschka hat die Dialoge ins Schweizerische übersetzt und dabei als besonderen Gag sogar verschiedene Dialekte eingebaut, der gerade bei den drei potentiellen Vätern für große Heiterkeit auf der Tribüne sorgt, wenn gleich die Autorin nicht immer genau verstehen konnte, was da gemeint war. Um aber sofort eine Angst aus dem Spiel zu nehmen, auch Besucher aus Deutschland und Österreich werden an dieser Produktion Spaß haben, nach einiger Zeit versteht man sogar viele der Mundart-Gags – oder glaubt es zumindest.

Bei seiner Regiearbeit hat Flaschka sich vor allem auf die Personenregie konzentriert. So entsteht ein Musical, das inszenarisch auf drei fetten Fundamenten steht: Den witzigen Dialogen, den facettenreichen Charakteren der Hauptprotagonisten und natürlich auf den Ohrwürmern der schwedischen Kultband Abba – auch wenn diese auf Schweizerisch und zudem teilweise neu übersetzt zunächst durchaus ungewohnt klingen.

Ein weiteres Hauptaugenmerk haben die Verantwortlichen auf die Choreografien gelegt. Für das Tanzensemble ist das Bühnenbild die reine Freude, denn die Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich auf allen Ebenen auf originelle, sportliche und mitreißende Art, auch wenn die Traumszene mit den schwarz gekleideten Latex-Tänzerinnen schon hart an der Grenze des guten Geschmacks ist. 

Musikalisch führt Iwan Wassilevski wie immer souverän durch die Partitur. Manchmal ist sein Tempo allerdings sehr hoch, so dass einige Songs scheinbar schneller abgespult werden, dennoch ist die Hörqualität durchaus bemerkenswert, wobei anzumerken ist, dass es bei der besuchten Vorstellung kaum Wind und somit keine sonst angesichts der Seekulisse üblichen Störgeräusche gab.

Fast logisch ist die Tatsache, dass es im Ensemble überwiegend Schweizer DarstellerInnen gibt, denn wer könnte die Mundart authentischer rüberbringen als die eidgenössische Landsmannschaft? Doch das tut der Leistung keinen Abbruch, denn Thun besticht mit einem Ensemble, das mit extrem hoher Motivation einen perfekten Gute-Laune Abend präsentiert. Allen voran Monica Quinter als Donna, die mit einer hervorragenden schauspielerischen Leistung und angenehmer Stimme überzeugt. Judith von Orelli spielt ihre Tochter Sophie mit ähnlicher guter darstellerischer Leistung und einer sehr sympathischen, warmen Stimme. 

Donnas beide Dynamo-Schwestern Tanja und Rosi werden von Patricia Hodell und Gigi Moto interpretiert. Gerade Hodell sorgt dabei für massive Lacher im Publikum mit ihrer herrlich witzigen Art und ihrer präsenten Körpersprache, während Moto mit ihrer tollen, verruchten Stimme punktet.

Das Männerquartett, bestehend aus den drei Möchtergern-Vätern Sam (Matthias Arn), Harry (Nathanael Schaer) und Bill (Eric Hättenschwiler) sowie Sophies Verlobten Sky (Angelo Canonico) überzeugt mit seinem witzigen Spiel, wobei Canonico buchbedingt eher blass bleibt. Doch auch in den anderen Nebenrollen ist das Ensemble insgesamt sehr gut besetzt, was auch die Swings und die TänzerInnen einschließt. Insgesamt eine tolle Teamvorstellung.

Fazit von Thun 2018: Mit Mamma Mia! Ist den Verantwortlichen in der Munart-Version ein toller Wurf gelungen, der einen mit einem Gute-Laune-Gefühl die Seebühne verlassen lässt. Zwar ist Thun nach wie vor ein teures Pflaster und gerade eine eventuell notwendige Unterkunft lässt den Urlaubsetat doch mächtig schrumpfen, doch verkehrt machen kann man mit dieser Produktion wenig. Spannend dürfte werden, ob die Nachfolgeproduktion „Ich war noch niemals in New York“ 2019 ebenfalls in Mundart gespielt wird, den wie „Siebzehn Jahr, blondes Haar“ auf Berndeutsch klingt, dürfte sicher spannend zu erfahren werden. 


 "Titanic" bei den Bad Hersfelder Festspielen!

Eine Genuss für Freunde guter Musik!

Perfekte Orchestrierung, rassige Choreografien und starkes Ensemble in der Stiftsruine! 

Text: Jörg Beese, Fotos:Bad Hersfelder Festspiele/ K. Lefebvre

Der Erfolg, den die Bad Hersfelder Festspiele im Jahr 2017 mit „Titanic – das Musical“ feierten, war so groß, dass es in diesem Jahr eine Wiederaufnahme gab, die beim Publikum ebenso gefragt zu sein scheint. Jedenfalls waren die Ränge bei der besuchten Vorstellung an einem Sonntagabend proppevoll, nur ganz vereinzelt sah man mal einen leeren Sitz, aber wirtschaftlich scheint die Geschichte des gesunkenen Ozeanriesen eine Erfolgsgeschichte zu werden. Und auch der Zufriedenheitspegel beim Publikum war sehr hoch, auch wenn einige Besucher in den vorderen reihen beim Schlussapplaus sitzenblieben, so zeugten die Reaktionen des restlichen Publikums doch von großer Anerkennung für diese Produktion, die ganz eindeutig in der Musik und in seinem Ensemble die größten Stärken aufzuweisen hat.

Nun gab es in der Vergangenheit bereits mehrfach Standorte im deutschsprachigen Raum, die sich der „Titanic“ angenommen haben. Nach seiner Deutschlandpremiere in der neuen Flora in Hamburg im Jahr 2002, damals u.a. mit Patrick Stanke als Heizer Barrett und dem auch in Bad Hersfeld souverän als Kapitän Smith agierenden Michael Flöth, war das Musical u.a. auch am Opernhaus Magdeburg (2008) oder auf der Thuner Seebühne (2012) zu sehen, um nur ein paar herauszugreifen. Ohne Zweifel hat dabei die Seebühne in der Schweiz den Vogel mit der wohl besten Titanic-Inszenierung abgeschossen, gerade aufgrund der optimalen Rahmenbedingungen am Thuner See. Damit kann sich Bad Hersfeld natürlich nicht messen, denn eine Stiftsruine ist eben kein großes Gewässer mit drei schneebedeckten Berggipfeln im Hintergrund. Aber ein Quervergleich mit dem Domplatz-Open-Air in Magdeburg darf schon gestattet sein, denn auch dort war es eben ein Kirchenbau, der den Rahmen für dieses für seine großen Ensembleszenen bekannte Musical bildet. Und während in Sachen Ausstattung und Bühnenbild Magdeburg sicher bessere Noten kann man im hessischen Bad Hersfeld besonders in einem Bereich punkten, der oft gar nicht die Beachtung erfährt, die ihm eigentlich gebührt und mit dem wir unseren Artikel ausnahmsweise einmal beginnen wollen.

Denn die Musik in Kombination mit einer perfekten Akustik, klasse Choreografien und herausragenden Stimmen ist bei dieser Produktion weit oberhalb jedes Normalniveaus angesiedelt. Und wenn man sich während der Vorstellung die Zeit nimmt, mal das gut einsehbare Orchester länger zu beobachten, dann merkt man auch weshalb das so ist. Der Musikalische Leiter Christoph Wohlleben und seine Crew haben sichtlich Spaß an ihrem Spiel. Der Sound ist perfekt abgestimmt, die Stimmen der SängerInnen werden nie übertönt und die Musiker haben sicht- und hörbar Spaß an dem, was sie tun. Um solch eine Perfektion zu erreichen bedarf es einer extrem hohen Probenintensität und großer Motivation. Und die ist vorhanden, wie die vielen Interaktionen zwischen Dirigent und Musikern während des Stücks und abseits des musikalischen Arbeitsbereichs deutlich zeigen. Wohlleben hat hier ein wirklich perfektes Orchester arrangiert, das man sich gerne mal für einen großen symphonischen Musical-Konzertabend wünschen würde. Wobei „Titanic“ dies ja eigentlich schon fast ist angesichts der vielen Chor-Arrangements.

Liegt die musikalische Qualität weit oberhalb der Norm, so kann man dies vom Bühnenbild (Okarina Peter) nicht behaupten. Dies liegt aber zugegebenermaßen auch an den räumlichen Gegebenheiten in der Stiftsruine, daher ist die Lösung mit den sieben, jeweils aus drei Ebenen ausgelegten und drehbaren Gerüstbauten, an deren Vorderseiten jeweils die sieben Buchstaben des Schiffsnamens angebracht sind, durchaus zweckmäßig und sorgt gerade auch bei der Eröffnungsszene für Faszination. Allerdings stellt sich die Frage, ob man im weiteren Verlauf, gerade auch zum Schluss beim Untergang der Titanic, nicht doch mit Laserdesign etwas mehr „Untergangsstimmung“ hätte schaffen können. Funktionell ist diese Optik, aber eben nicht bis ins letzte Detail ausgereift.

Die Kostüme von Susanne Hubrich stellen eine klare Hierarchie in der gesellschaftlichen Schiffsordnung dar. Während die Erste Klasse der Passagiere in einem milchigen Weiß dargestellt ist, was irgendwann im Laufe des Musicals an Krankenhausärzte erinnert, so identifiziert sich die Zweite Klasse in grau und die Dritte passenderweise in schwarz. Die Uniformen der Schiffsoffiziere sind im üblichen Schwarz-Weiß-Ton gehalten. Insgesamt eine gute, wenn auch oft gesehene Lösung.

Schwerarbeit hatte sicherlich Melissa King mit ihren unzähligen Choreografien zu leisten. Herausragend dabei ihre „Ragtime“-Choreo, bei der das Erste Klasse Ensemble die Beine fliegen lässt. 

Regisseur Stefan Huber konzentriert sich in seiner Arbeit auf das Hervorheben der einzelnen Charaktere, wodurch der insgesamt breit angelegte Handlungsfaden einen Fokus bekommt, der über das Fehlen einer lange Zeit fehlenden Dramaturgie hinweg tröstet. 

Die angesprochenen Charaktere werden von einem hoch motivierten und guten Ensemble dargestellt, an dessen Spitze stimmlich zweifellos David Arnsperger alias Frederick Barrett steht. Er fasziniert mit seiner Stimme und löst lautstarke Begeisterung im Publikum aus. Doch die anderen KünstlerInnen müssen sich hinter ihm nicht verstecken. Es gab im Ensemble keinerlei Ausreißer nach unten, bei einer so großen Cast ist die hohe gesangliche und schauspielerische Zufriedenheit eine Seltenheit, auf die man in Bad Hersfeld stolz sein kann. Im Gegensatz zum letzten Jahr gibt es auch kleine personelle Änderungen, die auffälligste vielleicht Ansgar Schäfer als Reeder Bruce Ismay, der trotz einer starken Vorstellung es nicht schafft, die für diese Rolle durchaus schon erlebten „Buhrufe“ einzuheimsen, die dem üblen und vor Ehrgeiz zerfressenen Charakter des Schiffsbesitzers in der Vergangenheit schon oft begleitet haben. Vermutlich eine reine Höflichkeit der Besucher, denn die Leistung von Schäfer war tadellos und absolut glaubwürdig. Alle Darsteller hier zu beschreiben würde den Rahmen sprengen, aber zumindest erwähnt werden sollten noch Gabriela Ryffel als Kate McGowan, Markus Fetter als Funker Bride, Alen Hodzovic als Konstrukteur Thomas Andrews sowie Jörg Neubauer als 1. Offizier William Murdoch.

Insgesamt ist Titanic bei den Bad Hersfelder Festspielen ein absolutes Muss für Freunde perfekten Musicalsounds, flotter Tanzeinlagen und schöner Stimmen. Die drei Stunden inklusive Pause vergehen wie im Fluge und nach Einbruch der Dunkelheit kommt auch das Lichtdesign von Ulrich Schneider endlich voll zum Tragen, verleiht gerade der Trauer nach dem Untergang eine Gänsehautatmosphäre, auch wenn man, vermutlich aus bautechnischen Gründen, darauf verzichtet hat, die dem Untergang folgende Suche nach Überlebenden in der Nacht („Lebt hier noch jemand?“) inszenarisch umzusetzen. Dem Publikum hat es gefallen und die sehr guten Vorverkaufszahlen lassen, kombiniert mit dem guten Wetter, darauf schließen, dass „Titanic – Das Musical“ für Bad Hersfeld wirtschaftlich zumindest eher ein Stapellauf als ein Untergang sein dürfte. Prädikat durchaus empfehlenswert. 








 



 

"Fame" und die "Addams Family" bei den Domfestspielen Bad Gandersheim!

Starke Shows, aber der Ton dämpft das Vergnügen!

Musicals vor der Stiftskirche überzeugen durch Ensemble, Regie und Choreografie

Text: Jörg Beese, Fotos:Domfestspiele

Die Domfestspiele in Bad Gandersheim haben es in den letzten zehn Jahren geschafft, sich immer mehr zu den Topadressen des deutschen Musicalsommers hochzuarbeiten. Auch 2018 punktet das Team um Intendant Achim Lenz wieder mit diversen Inszenierungen, darunter mit „Fame“ und „The Addams Family“ zwei große Musicalproduktionen, die innerhalb von nur acht Tagen Premiere feierten. Wer weiß, was das logistisch und auch darstellerisch – einige Künstler spielen in beiden Produktionen – bedeutet, der zieht alleine schon hierfür den Hut. Allerdings hat ein solches Zeitmanagement auch Tücken, wie sich bei den Premieren bzw. rezensierten Vorstellungen gezeigt hat. Ausnahmsweise wollen wir hier über beide Shows, natürlich nach Kriterien geordnet, gemeinsam berichten.

Ausgangslage

Die Handlungen beider Stücke sind den meisten Besuchern vermutlich bekannt. Da ist einerseits die recht lose Szeneabfolge der „Addams Family“. Wer hier literarische Feinkost erwartet, der ist fehl am Platz. Das Buch zur Show ist allenfalls ein Sammelsurium an Momenten, das letztlich nur auf eines abzielt: Den verschiedenen Charakteren möglichst viel Aufmerksamkeit auf der persönlich-humoristischen Ebene zu verleihen. Entsprechend kommt es bei der Addams Family darauf an, jeden einzelnen Charakter gut zu würzen, denn sonst wird das ganze Menü schwer verdaulich. Entsprechend hat Achim Lenz selbst die Regie für die „Addams Family“ übernommen und das Script mit unzähligem Lokalkolorit versehen, was für regelmäßige Lacher auf der Zuschauertribüne sorgt. Kombiniert mit einem starken Ensemble, das mit brillanter Ausstrahlung aus den skurrilen Figuren alles heraus holt was möglich scheint und mit den schmissigen Choreografien von Marc Bollmeyer, der im übrigen beim anderen Stück „Fame“ nicht nur für die Tanznummern, sondern auch für die Regie verantwortlich zeichnet, entsteht so ein bunter Abend mit seichter guter Laune Unterhaltung, der zwar nicht in die Tiefe geht, aber einen herrlichen Humor an den Tag legt.

Bei Fame ist die Filmvorlage wohl den meisten Musicalfans bekannt. Das Stück beschreibt den Werdegang angehender junger Künstler auf ihrem persönlichen Weg zum Ruhm, Höhen und Tiefen eingeschlossen im Rahmen der dreijährigen knochenharten Ausbildung. Entsprechend wird hier auch mehr Wert auf die Geschichte hinter den Charakteren gelegt, werden Schicksale beleuchtet und auch Dispute offen auf der Bühne ausgelebt. Marc Bollmeyer gelingt diese nicht einfache Gratwanderung sehr gut, nur einmal wirkt das Szenario einer Konfrontation zweier Darsteller durch einen Zeitsprung in der Folgeszene unglaubwürdig. 

Anfügen muss man an dieser Stelle allerdings unbedingt, dass in Bad Gandersheim ohne Pause durchgespielt wird. Rund zwei Stunden dauern beide Stücke, länger wäre eine gesunde Aufnahmefähigkeit des Publikums, gerade bei den heißen Temperaturen dieser Tage, aber wohl auch nicht gewährleistet. Dementsprechend müssen natürlich Szenen gekürzt oder gestrichen werden, was bei „Fame“ aufgrund der komplexen und vielschichtigen Handlung deutlich schwieriger ist als bei der „Addams Family“. Bis auf die erwähnte Szene zwischen Tyrone und dessen Klassenlehrerin Mrs. Shermann, die zunächst darauf hinausläuft, dass Tyrone seine Ausbildung hinwirft, in der nächsten Szene aber als ob nichts gewesen wäre schon wieder mit Partnerin Iris ein Pas de deux tanzt, ist Marc Bollmeyer dieser Spagat aber hervorragend gelungen, auch wenn er diverse Szenarien, die aus dem Film bekannt sind, ersatzlos wegließ.

Technik:

Im Sommer sind Open-Air Bühnen in Sachen Lichttechnik aufgrund des langen Tageslichts natürlich eingeschränkt, können erst spät Lichtatmosphären schaffen. Während die besuchte Fame-Inszenierung eine Nachmittagsvorstellung war in der Licht überhaupt keine Rolle spielte, war es bei der Addams Family eine solide, klassisch ausgerichtete Lichtregie mit kleinen Effekten, die das Szenario nach Einbruch der Dämmerung, wenn man diese so nennen möchte, etwas belebten.

Der Ton ist bei der aktuellen Festspielsaison wohl das größte Problem in Bad Gandersheim. Der Ausfall von Mikroports kann ja immer mal passieren, aber dann sollte man nicht unbedingt bis zur Schlussszene warten, um diesen zu beheben. Viel schlimmer ist allerdings die Tatsache, dass man offenbar bei den engen Zeitplan viel zu wenig Zeit hatte, den Ton vernünftig auszusteuern. Es kommt dem Beobachter so vor, als ob die Boxen völlig falsch platziert und ausgerichtet sind. Auf den seitlichen Tribünenbereichen war jedenfalls bei beiden Shows die Akustik bestenfalls noch ausreichend, viele Texte waren kaum zu verstehen und ein dumpfer Unterton verdarb immer wieder die eigentlich schönen Stimmen der Künstler zu genießen. Wenn nach Schluss der Vorstellung viele Besucher beim Abgang von der Tribüne nach dem „Es war sehr schön“....ein dickes „aber...“ in Bezug auf die Verständlichkeit setzen, dann wirft dies einen Schatten auf zwei Inszenierungen, die ansonsten eigentlich beste Unterhaltung bieten.

Ensemble:

Wie immer hat Bad Gandersheim wieder herausragende Darsteller/-innen verpflichtet. Bei „Fame“ war dies wohl auch einfach, denn der gute Draht zur Folkwang Universität der Künste in Essen ist bekannt und wie kann man dieses Stück besser besetzen als mit jungen KünstlerInnen, von denen viele erst vor kurzem ihre Ausbildung absolviert und genau das, was beschrieben wird, in anderer Form erlebt haben? Angefangen von einer starken Julia Waldmayer alias Carmen Diaz, der diese Rolle auf den Leib geschnitten scheint. Mimisch brillant, schauspielerisch glaubwürdig und auch im Gesang top, die Waldmayer kann man sich hervorragend anschauen. Rollentechnisch ein absolutes Gegenstück zur extrovertierten Carmen ist Sarah Wilken als Serena Katz. Sie spielt eher die ruhige „Unschuld vom Lande“, die sich lange nicht traut, aus sich rauszugehen. Sarah Wilken macht dies mit Bravour, avanciert im Publikum zu einer Art „Schwiegermutters Lieblingstochter“ und weit mit ihrer wunderbaren Stimme zu faszinieren – wenn die Tonregie dies denn zugelassen hätte. Ein ganz dickes Bravo auch an Stefanie Köhm alias Mabel Washington, die sich in ihrer „pummeligen“ Art und Weise der Darstellung in die Herzen der Zuschauer spielt und singt. Selly Meier (Grace) und Claudia Artner (Iris) komplettieren die Riege der hoch motivieren jungen Frauen.

Doch nicht nur die Frauen bei „Fame“ haben es drauf. Hermann Bedke gibt einen tollen Schlomo, fasziniert auch mit seinen musikalisch-instrumentalischen Qualitäten. Auch seine Mitstreiter Lucas Baier (Nick), Daniel Wagner (Joe), Lukas Janisch (Goodman) und Dinipiri Collins Etebu (Tyrone) spielen ihre Parts absolut authentisch und können überzeugen, schade hierbei, dass gerade der Charakter von Nick nicht so ausführlich wie im Film erklärt wird.

Ebenso deutliche Träger der Handlung sind die Lehrer der Bühnenschule. Ganz stark Susanna Panzner als Mrs. Sherman und Miriam Anna Schwan als Miss Bell, aber auch Sven Olaf Denkinger als Mr. Myers und Guido Kleineidam alias Mr. Sheinkopf wissen zu überzeugen und haben sichtlich Spaß an ihrer Rolle. Insgesamt eine bärenstarke Leistung des Fame-Ensembles, zu dem auch noch diverse Tänzerinnen zählen.

Die Cast der „Addams Family“ muss sich allerdings nicht vor den Kolleginnen und Kollegen verstecken, kein Wunder, immerhin spielen Lucas Baier, Susanna Panzner, Sven Olaf Denkinger, Guido Kleineidam und Miriam Anna Schwan in beiden Produktionen. Baier kann dabei als Ehemann Gomez Addams mit seiner klar unter der Fuchtel seiner Frau stehenden Charakter überzeugen, liebenswert, etwas tollpatschig und mit einen herrlichen Akzent. Er steht aber rollenbedingt klar im Schatten seiner Frau Morticia, die von Miriam Anna Schwan mit viel Elan, Feuer und perfektem mimischen Spiel dargeboten wird. 

Als Kinder kosten Florentine Kühne als Wednesday und Stephan Luethy als Pugsley Addams ihre Rollen komplett aus. Gerade Luethy genießt es ganz offensichtlich, als pubertierender Teenager im Rampenlicht zu stehen, die Rolle als Publikumsliebling ist ihm gemeinsam mit Onkel Fester sicher. Das völlig Gegenteil ist Florentine Kühne, die mit ihrem Sturkopf und ihrem eher unpersönlichen Spiel eine eigenwillige, aber durchaus belebende Kontrastnote zum Rest der Familie darstellt. 

Den erwähnten Onkel Fester spielt Fehmi Göklü. Ihn schließen die Zuschauer sofort ins Herz, denn Göklü ist ein Gute-Laune-Künstler, für den diese Rolle so etwas wie ein Lottogewinn sein muss. Spielerisch-mimisch eine Augenweide ist ihm der größte Applaus am Ende der Show sicher. 

Ganz stark auch Susanna Panzner als Alice. Schauspielerisch wie stimmlich ist sie ein Garant für den Erfolg dieser Show, auch ihre Wandelbarkeit überzeugt restlos. Insgesamt eine tolle Cast, die durch einen tollen Jan Kämmerer alias Lurch, Guido Kleineidam (Mal) und Jan Rogler (Lucas) komplettiert wird.

Musik:

Die beiden Musikalischen Leiter Ferdinand von Seebach (Fame) und Patricia Martin (Addams Family) können mit ihrem jeweiligen Orchester sehr zufrieden sein. Auch wenn die Tonaussteuerung wie erwähnt nicht optimal ist, die Musik ist immer sehr gut zu verstehen, manchmal aufgrund der schlecht justierten Mikroports allerdings auch lauter als die Gesangsstimmen. Erwähnenswert auch die instrumentalischen Leistungen der Fame-Darsteller am Klavier, Schlagzeug und mit der Violine.

Choreografien:

Marc Bollmeyer hat für beide Produktionen die Tanzarrangements einstudiert und diese auch sehr passend ausgewählt. Natürlich ist themenbedingt Fame hier klar im Vorteil, zumal auch die Kostüme hier wesentlich tanzfreudiger sind als bei den gruseligen Addams´. Sehr dynamisch bewegen sich die jungen KünstlerInnen auf dem Weg zum großen Ruhm über die Bühne vor der Stiftskirche, während die Abläufe bei Familie Addams eher kurz und stakkatoartiger angeordnet sind. Sehr passend gewählt und mit hohem Unterhaltungswert.

Fazit

Insgesamt sind beide Musicalinszenierungen der diesjährigen Domfestspiele sehr sehenswert. Es ist schade, dass das i-Tüpfelchen fehlt, nämlich der gute Ton. Dennoch schaffen es die Orchester, Darsteller, Regie und Choreografie, den Fokus auf das geschehen auf der Bühne zu legen. Dabei ist für jeden Geschmack etwas dabei. Wer viel Wert auf lachen legt, ist bei der „Addams Family“ genau richtig. Doch auch bei „Fame“ muss man auf das Grinsen nicht verzichten, wenngleich es doch wesentlich tiefgründiger zugeht und auch eingedenk der Tatsache, dass einige Szenen dem Rotstift zum Opfer gefallen sind. Die hohen Vorverkaufszahlen lassen auf einen guten Sommer für die Festspiele hoffen, die aber ihre tontechnischen Probleme in den Griff bekommen müssen und die eventuell auch mal über einen etwas späteren Beginn der Abendvorstellungen nachdenken sollten, um so - wie man es beispielsweise in Magdeburg oder Ettlingen tut - noch etwas mehr Lichtdesign nutzen zu können.

"Les Miserables" auf der Freilichtbühne Tecklenburg)

Das Publikum feiert Wiggers, Stanke und Co.

Zweite Spielzeit nach 2006 begeistert inszenarisch wie darstellerisch!

Text: Jörg Beese, Fotos: Heiner Schäffer


Standing Ovations bereits während der Vorstellung, zehnminütige lautstarke Ovationen des Publikums beim Schlussapplaus und rundherum zufriedene Gesichter, so präsentierte sich am 22. Juni die Freilichtbühne Tecklenburg mit ihrer ersten diesjährigen Großproduktion, dem Musical-Klassiker Les Miserables von Alain Boublil und Claude-Michel Schönberg nach dem Roman „Die Elenden“ von Victor Hugo. Bereits im Jahre 2006 hatte man an gleicher Stelle diese Show inszeniert, damals unter der Regie von Helga Wolf und mit Chris Murray und Dean Welterlen sowie zeitweise Marc Clear in den Hauptrollen des Jean Valjean und des Inspektors Javert. Nun, 12 Jahre später, schwingt Ulrich Wiggers das Inszenierungszepter und Patrick Stanke und Kevin Tarte stehen als Hauptprotagonisten im Rampenlicht. Das erneute Auflegen dieses Themas sollte sich für Deutschlands größte Musical-Open-Air Bühne auszahlen, denn abgesehen von hervorragenden Vorverkaufszahlen erwartet die Besucher auch eine dreistündige Show, die sich gewaschen hat und die, obwohl größere Änderungen alleine schon am Lizenzgeber scheitern, einen ganz anderen Charakter hat als die Produktion von 2006, die seinerzeit auch mit dem Da Capo Leser Award ausgezeichnet wurde. 

Cameron Macintosh, der die Rechte für Les Miserables vergibt, hatte dem Stück in den letzten Jahren eine längere Pause für Deutschland verordnet. Kein Wunder, dass sich gerade die Musicalfans nach Bekanntwerden des Tecklenburger Gastspiels auf die Karten stürzten. Mit Ulrich Wiggers verpflichtete Intendant Radulf Beuleke den seit einigen Jahren wohl besten und erfolgreichsten Regisseur, der in Deutschland zu haben ist. Doch auch Wiggers kann bei Les Miserables nicht so schalten und walten, wie er es vermutlich gerne würde, denn im Vorfeld der Produktion muss wirklich alles von Macintosh und seinem Londoner Büro abgesegnet werden. Und da ist es kein Geheimnis, dass der „Übervater“ dieses Klassikers an der Grundstruktur seines Werkes nicht rütteln lässt. Also hat sich Wiggers auf zwei Schwerpunkte konzentriert: Die Personenregie sowie das diffizile Entwickeln jedes einzelnen Handlungsstrangs und jeder einzelnen Szene. Extrem akribisch hat der Regisseur sich jedes Details angenommen und entwickelt gerade auch die ansonsten eher als „Übergangsszenen“ gedachten Momente inhaltlich weiter. Egal ob beispielsweise in der Szene beim Bischof von Digne, in der Fabrik in Montreuil („Am Ende vom Tag“) oder bei Cosettes und Marius´ Begegnung in der Rue Plumet („Mein Herz ruft nach dir“), ständig ist die Liebe zum Detail zu spüren, die sich das eigentlich bekannte Musical immer wieder selbst neu entdecken lässt. Aber auch die „großen“ Szenen hat der Impresario eindrucksvoll umgesetzt. Absoluter Höhepunkt dabei das Finale des 1. Akts, bei dem sich die Besucher mit dem Schlussakkord bereits zu lautstarken stehenden Ovationen erhoben. Aber auch Marius´ melancholische Erinnerung an seine Studentenkameraden „Dunkles Schweigen an den Tischen“ beeindruckt mit der Mischung aus Agilität und Nachhaltigkeit und bleibt lange in der Erinnerung haften. Man könnte viele Szenen hier im Detail aufführen, doch das würde den Rahmen hier sprengen.

Unterstützt wird Wiggers bei dieser höchst anspruchsvollen Leistung von Choreografin Kati Heidebrecht, die das komplette Ensemble mit ebenso einfachen wie sehenswerten Tanzeinlagen in Schwung bringt, Tjaard Kirsch als Musikalischem Leiter, der die Partitur mit gefühlvollem Sound nahtlos mit seinem Orchester umsetzt, sowie Karin Alberti (Kostüme) und Susanna Buller (Bühnenbild), die wie immer für eine optimale und passende Optik sorgen. 

Musikalisch hat Les Miserables natürlich Unmengen an Ohrwürmern zu bieten. Solonummern wie "Bring ihn heim", "Sterne" oder "Dunkles Schweigen an den Tischen" ergänzen sich mit kraft- oder liebesvollen Balladen oder großen Ensemblenummern wie "Morgen schon" oder "Lied des Volkes", um nur einige zu nennen.  Alle Lieder sind angenehm orchestriert und passen sich auch im Tempo dem Charakter der Handlung an.

Wiggers zweiter Schwerpunkt ist die erwähnte darstellerische Qualität. Und hier setzt er einerseits auf gerade im Schauspiel sehr weiter entwickelte Charaktere, aber auch, wie am Beispiel Valjean und Javert unverkennbar ist, auf extreme Gegensätze. So zeigt Patrick Stanke als Jean Valjean Emotionen pur, spielt und singt jede einzelne Sequenz aus vollem Herzen, liefert eine spektakuläre Performance und belehrt alle Zweifler, die ihn vielleicht im Vorfeld als zu jung für diese Rolle ansahen, eines besseren. Ovationen des Publikums bereits während der Show zeigten, dass Stanke dieser Rolle eine ganz neue Energie verleihen kann. Vermutlich seine bislang größte und beste Rolle als Musicaldarsteller.

Ihm gegenüber bleibt Kevin Tarte als Javert bewusst steif, kühl, distanziert und scheinbar unnahbar, was seine Wandlung zum Selbstzweifler am Schluss umso packender macht mit dem grandios gespielten und inszenierten Selbstmord. Tarte punktet zusätzlich mit seinem Gesang, der die Besucher nach seiner Interpretation von „Sterne“ reihenweise von den Sitzen aufspringen lässt. Diese beiden Darsteller sind so gegensätzlich in ihrer Rollenauslegung, dass es eine Wonne ist ihnen zuzuschauen. 

Auch die weiteren Mitstreiter laufen in der alten Burgruine zu Höchstform auf. Allen voran Jens Janke und Bettina Meske als Ehepaar Thénardier. Besonders Janke genießt die komischen Momente sichtlich und überzeugt mit einer hervorragenden Körpersprache und Mimik. Als Fantine hat Milica Jovanovic die rührseligen Momente dieser Show auf ihrer Seite. Sei es im Verlauf ihrer persönlichen Schicksals von der Fabrikarbeiterin zur haarverkaufenden Straßenhure, im Krankenbett oder bei Valjeans Tod. Jovanovic ist stimmlich ohnehin über alle Zweifel erhaben, liefert aber auch schauspielerisch einwandfreie Arbeit ab, was auch für Lasarah Sattler alias Eponine gilt, die als kleines (Stimm-)Kraftpaket die Zuschauer begeistert. 

Mit Florian Peters und Daniela Braun hat Tecklenburg ein sehr jugendliches, manchmal fast schon naiv wirkendes Gespann als Marius und Cosette verpflichtet, die wiederum ein sehens- und hörenswerter Kontrast zu ihren Mitstreitern sind, weil ihre Rollen eben nicht im Mainstreamverfahren angelegt wurden. Daniela Braun punktet vielleicht noch ein wenig mehr als ihr Pendant, weil ihre klassische Opernstimme fasziniert.

Bleiben noch Florian Soyka, der einen Bischof spielt, wie ihn man sich in der heutigen Zeit wünschen würde, sowie die Studenten um ihren Anführer Enjolras, der von David Jakobs gespielt wird. Auch sie passen sich nahtlos an das positive Gesamtbild an, doch der Vorreiter ist ohne Zweifel Jakobs, der stimmlich brillant singt und zudem in seiner Leistung als fanatischer Weltverbesserer absolut überzeugen kann. Man darf aber auch nicht die weiteren Nebenrollen, gerade auch die Kinderdarsteller/-innen sowie die Statisten und den Chor unerwähnt lassen, die mir ihrer hohen Motivation zum Gelingen dieser Show maßgeblich beitragen.

Insgesamt ist die Tecklenburger Les Miserables Inszenierung 2018 nicht mit der Show von 2006 vergleichbar, weil sie einfach andere Akzente setzt. Mit starken Darstellern, einer punktgenialen Regie und sehr klangvollen wie auch verständlichen musikalischen Arrangements können sich die Besucher in den kommenden Wochen auf eine bemerkenswerte Show freuen, die sogar die recht kühlen Temperaturen bei der Premiere vergessen ließ. Tecklenburg ist eine Reise wert – aber das ist ja auch nichts Neues...!

 

Als nächste Kritik erscheint am 28. Juni eine Rezension über das Musical "Heiße Ecke" anlässlich des 15-jährigen Jubiläums. Anschließend folgen am 3. Juli die Premierenberichte zur "Addams Family" und zu "Fame" bei den Domfestspielen in Bad Gandersheim.

 

"Heiße Ecke" im "Schmidts Tivoli" in Hamburg (Jubiläum)

Seit 15 Jahren eine Erfolgsstory!

Neun KünstlerInnen leisten in 52 Rollen Schwerstarbeit im "Kiezical".

Text: Jörg Beese, Fotos: Brinkhoff/Mögenburg


Sie ist ein absoluter Dauerbrenner und ganz eng mit Da Capo verbunden. Denn 17 Tage, nachdem am 1. September 2003 die erste Printausgabe unseres Musicalmagazins in den Handel kam, feierte die „Heiße Ecke“ in Schmidt´s Tivoli am Hamburger Spielbudenplatz seine Premiere. Mittlerweile zählt es, gemessen an Auslastung und Preis-Leistungsverhältnis, zu den erfolgreichsten Musicalproduktionen im deutschsprachigen Raum überhaupt. Über zwei Millionen Besucher haben die über 50 verschiedenen Rollen, die von gerade mal von – im Laufe der Jahre immer wieder neu besetzten – neun Darstellern interpretiert werden, in mehr als 4.100 Vorstellungen genossen. Viele haben am Tivoli bereits in der Geschichte über das Treiben rund um einen Kiez-Imbiss mitgespielt, das Theater wieder verlassen, um dann doch wieder zurückzukommen. Und so findet man auch heute noch etliche Darsteller aus der Premierenzeit, allen voran Kathi Damerow, aber auch Götz Fuhrmann oder Markus Richter scheinen quasi zum „Inventar“ zu gehören. Inzwischen hat die "Heiße Ecke" in der Laufzeit sogar den lange Zeit nebenan im Operettenhaus gespielten Klasisker "Cats" überflügelt.

Wer nun aber glaubt, die Story des Kiez-Musicals hätte so viel Staub angesetzt wie seinerzeit das Phantom der Oper in der nicht weit entfernten Neuen Flora, der irrt. Immer wieder wird die Handlung und vor allem die Dialoge der Zeit angepasst, was vor 15 Jahren vielleicht das Casting für „Mamma Mia!“ war, ist eben heute „Kinky Boots“. Und nach dem Abstieg darf natürlich auch das Mitleid mit dem HSV nicht fehlen, gerade auf der Reeperbahn ein garantierter Lacher in der Heimat des Lokalrivalen FC St. Pauli.

Doch warum hat die „Heiße Ecke“, die anfänglich noch „Heiße Ecke 24“ hieß, so viele andere Großproduktionen in der Elbmetropole überlebt? Warum hat die Hamburger Morgenpost diese Show trotz hoch dotierter Anzeigenverträge eines ansässigen Konkurrenzunternehmens seinerzeit zum „besten Musical Hamburgs“ gemacht? Die Antwort ist – eigentlich – einfach. Denn die „heiße Ecke“ ist ein Spiegel. Ein Spiegel der Zeit, aber vor allem ein Spiegel der Reeperbahn und aller dort vorhandenen Charaktere. Touristen, Geschäftsleute, Künstler, Tunten, Huren, Zuhälter, Müllmänner, Feierbiester, Polizisten, Taxifahrer und noch viele andere mehr finden sich hier wieder. Manchmal bewusst überzeichnet, manchmal still und zurückhaltend dargestellt. Die sich immer weiter bewegende Uhr oberhalb des Imbisswagens lässt viele kurze Sequenzen durchlaufen, die eine große Geschichte aus vielen kleinen, individuellen Momenten entstehen lässt. Gemixt mit dem typisch kauzigen Humor des Kiezbewohners ergibt sich ein großes Paket an bester Bühnenunterhaltung, das die knapp drei Stunden wie im Flug vorbeigehen lässt.

Musikalisch werden viele Geschmäcker befriedigt. Klassische Stimmen gehören genauso zum Programm wie raue Reibeisenorgane. Umgesetzt wird alles durch ein extrem motiviertes und auch spontanes Ensemble, das durchaus auch mal auf Publikumskommentare reagiert. Improvisation ist im Tivoli immer möglich, da kann auch schon mal eine fünfminütige Lachpause eingelegt werden. Stören tut sich daran niemand.

Im September feiert die „Heiße Ecke“ ihr offizielles Jubiläum. Es lohnt sich daher, immer wieder mal die Homepage des Tivoli aufzurufen (www.tivoli.de), denn dort finden sich auch immer wieder mal Aktionen und Angebote im Jubiläumsjahr. Eine Frage kann und will aber heute noch niemand beantworten: Wie lange werden Margot, Hannelore und Co wohl noch ihre (teils verkohlten) Bratwürste verkaufen? Angesichts der aktuell proppevollen Vorstellungen ist ein Ende wohl kaum in Sicht. Und so werden andere millionenschwere Produktionen in der Nachbarschaft wohl weiter Kommen und Gehen, die „Heiße Ecke“ aber dürfte noch lange fortbestehen. Für wenig Geld beste Unterhaltung, was will man mehr?

Vom 9. bis zum 16. September 2018 wird nun auf dem Hamburger Kiez gefeiert: Zum 15. Geburtstag des Musicals dreht sich eine ganze Jubiläumswoche lang alles um den Dauerbrenner auf der Reeperbahn. Den Auftakt macht eine einmalige Benefiz-Vorstellung zugunsten von Reinhold Beckmanns NestWerk e.V. mit vielen Überraschungsgästen (u.a. Lotto King Karl und Tim Mälzer) in der Show. Bis zur tatsächlichen Geburtstagsvorstellung am 16. September, die das Schmidts Tivoli mit Freunden, Partnern und Wegbegleitern, treuen Fans und Kieznachbarn sowie allen aktuellen und ehemaligen Mitgliedern des Ensembles feiert, gibt es in der Jubiläumswoche in jeder „Heiße Ecke“-Show Überraschungen für die Theatergäste, dazu Aktionen vor dem Theater und auf dem Spielbudenplatz, besondere Jubiläumsangebote und mehr. 

"Die Päpstin" im Schlosstheater Fulda (Wiederaufnahme)

Stehende Ovationen und starkes Ensemble!

Fulda erlebt die wohl beste "Päpstin" aller Zeiten!

Text: Jörg Beese, Fotos: Spotlight Musicals GmbH

Auch nach sieben Jahren hat das Musical „Die Päpstin“ nichts von seiner Anziehungskraft verloren. Nach zwei Jahren Pause an seinem „Geburtsort“ ist die Produktion nun wieder ins Schlosstheater Fulda zurückgekehrt, mit teilweise neuen Darstellern und einer nicht runderneuerten, aber in etlichen Passagen doch stark überarbeitetem Dramaturgie. Dem Publikum hat diese „neue“ Päpstin mindestens genauso gut gefallen wie die ursprüngliche Produktion, denn lautstarke Ovationen schon während der Show und ein nicht enden wollender Schlussapplaus sprechen eine klare und glaubwürdige Sprache. Besonders bemerkenswert: An der Seite des neuen Markgrafen Gerold, der nun von Mark Seibert gespielt wird, steigert sich Sabrina Weckerlin in ihrer Paraderolle zu neuen Höchstleistungen und spielt wohl die beste und emotionalste „Johanna“, die es bislang gab.

Mit 4.145 Zugriffen von 3.622 unterschiedlichen Besuchern  am 17. Juni 2018 ist diese Rezension der meist gelesene Musicalkritik-Artikel an einem Tag in der Geschichte unseres Online-Magazins!

Die Spotlight-Macher um Produzent Peter Scholz, Komponist Dennis Martin und Regisseur Stanislav Mosa haben etliche Stellschrauben an ihrem preisgekrönten Musical verändert. So ist der erste Akt deutlich länger, aber nicht langweiliger geworden, weil man Szenarien innerhalb des Stückes umgestellt hat. So endet der erste Akt nun im Kloster Fulda, dessen Szenario deutlich düsterer dargestellt wird als in der Vergangenheit. „Uns war Johanna in der Vergangenheit zu behütet“, begründet das Kreativteam die Rückstufung des ehemaligen Abtes Rabanus zum Prior, der unter dem neuen Abt Ratgar und dessen Wahn genau wie Johanna zu leiden hat. Aber auch optisch wurden viele Szenen aufgehübscht, moderne Videosequenzen erleichtern dem Zuschauer dabei das Umdenken in die verschiedenen Etappen der Handlung. Neue musikalische Arrangements gibt es zwar nicht, aber durch die kleinen Veränderungen an vielen Stellen im Libretto sowie die Neueinspielung der Musik durch das Tschechische National Symphony Orchester hat man das Gefühl, dass einige Songs frischer und noch fesselnder wirken als ohnehin schon, was gleich in der zweiten Szene bei „Boten der Nacht“ massiv zum Tragen kommt und sich über die zahlreichen Ohrwürmer des Stücks nahtlos fortsetzt. Persönliches Highlight nicht nur des Autors dürfte hierbei das Duett „Wehrlos“ zwischen Johanna und Gerold sein, das im Publikum fast einen Euphoriesturm auslöste. Doch auch inhaltlich sind viele Dialoge so umgeschrieben worden, dass man auch als Nichtkenner des Romans verstehen kann, worum es eigentlich geht und was bestimmte Elemente - wie zum Beispiel die "Raben" - eigentlich bedeuten.

Die Choreografien wurden von Julia Poulet komplett überarbeitet und wirken frischer und lebendiger. Auch im Bühnenbild von Christoph Weyers sind aufhellende Elemente enthalten und besonders die Übergänge der einzelnen Szenen wurden fließender gestaltet. Manchmal würde man sich sogar wünschen, dass es etwas langsamer geht, damit die Künstler sich ihren verdienten Zwischenapplaus länger  abholen können.

Womit wir auch schon bei den Charakteren der Show wären. Und da müssen wir feststellen, dass die in der Vergangenheit immer extrem professionelle, aber auch manchmal etwas unterkühlt wirkende Sabrina Weckerlin einen gewaltigen emotionalen Sprung gemacht hat. Sogar ein paar Tränen flossen beim Schlussapplaus über ihr Gesicht, die genauso authentisch waren wie ihre Leistung zuvor. Stimmlich absolute Spitzenklasse war sie auch schauspielerisch eine Bank. Ein bisschen hatte man den Eindruck, dass es ihr großen Spaß machte, sich mit der Stimmpower von Mark Seibert emotional zu „duellieren“. Denn auch Seibert wusste wie seine Bühnenpartnerin gesanglich wie schauspielerisch voll zu überzeugen. Die Rolle des Gerold, die irgendwie auch an die des „Radames“ in „Aida“ erinnert, die Seibert ja auch schon inne hatte, scheint ihm auf den Leib geschrieben zu sein, wie auch die Songs aus der Feder von Dennis Martin. Dieses Pärchen sollte man sich angeschaut haben.

Neben den beiden Hauptakteuren machen weitere Künstler auf sich aufmerksam. Während Reinhard Brussmann als neuer Aeskulapius doch sehr an seine Kultrolle des „Bonifatius“ erinnert, der in einem Jahr auf dem Fuldaer Schlossplatz erstmals Open-Air zu sehen sein wird, und Christian Schöne wieder den wilden Johanna-Gegenspieler Anastasius in perfekter Bösartigkeit gibt, sammeln Anke Fiedler als Mutter und Marioza sowie Lutz Standop als Fulgentius und vor allem als Rabanus haufenweise Pluspunkte. Fast ist es ein bisschen schade, dass die Rabanus-Hymne „Hinter hohen Klostermauern“ durch die Umgestaltung der Fulda-Szene etwas von ihrer Ausstrahlungskraft verloren hat, aber das ist wirklich nur eine Marginalie.

Sehens- wie hörenswert auch die Leistungen von Daniele Nonnis als Arsenius/Ratgar sowie Sebastian Lohse (Johannas Vater/Papst). Insgesamt ein sehr homogenes Ensemble, das durch seine Spielfreude und Geschlossenheit zu überzeugen weiß.

Fazit: Wer glaubt, dass „Die Päpstin“ nach sieben Jahren ihren Reiz verloren hat, der irrt. Wer die Chance hat, sollte sich das aktuelle Ensemble mit den Neuerungen unbedingt anschauen, denn es gibt einiges zu entdecken und ebensoviel zu genießen. Gespielt wird die „Päpstin“ noch bis zum 7. Juli, ehe dann eine Woche später „Der Medicus“ wieder den Weg ins Schlosstheater findet. Viele Vorstellungen sind allerdings schon ausverkauft. Letztes Stück des diesjährigen Musicalsommers Fulda wird dann ab dem 18. August „Die Schatzinsel“.

"Ich war noch niemals in New York" im Musicaltheater Bremen (Tourversion)

Viel an Charme verloren!

Text: Jörg Beese, Fotos: FotEventpress Stage

  • Es war im Dezember 2007, als im Hamburger Operettenhaus das Udo Jürgens Musical „Ich war noch niemals in New York“ mit einer lustigen, stimmungsvollen und optisch hoch ansprechenden Inszenierung seine Uraufführung feierte. Damals noch in Anwesenheit des mittlerweile leider verstorbenen Udo Jürgens, der auch danach eigentlich bei fast jeder Premiere des Musicals persönlich an anderen Standorten anwesend war. Ehe die Show um die TV-Moderatorin Lisa Wartberg im kommenden Jahr wieder für mehrere Monate am „Heimatort“ Hamburg gespielt wird, reist derzeit noch eine Tourneeproduktion durch Deutschland, die derzeit im Musicaltheater Bremen zu sehen ist. Wer allerdings die Ursprungsversion in Hamburg miterlebt hat, der wird von dieser aktuellen Version vermutlich doch recht enttäuscht sein. Denn personell wie optisch hat die Inszenierung mittlerweile doch erheblich – und zum klaren Nachteil – abgespeckt.

Nun mag die lange Zeit eher trostlose Atmosphäre bei der besuchten Vorstellung in Bremen auch der Tatsache geschuldet gewesen sein, dass der Saal bestenfalls zur Hälfte – wenn überhaupt – gefüllt war. Das es dann zumindest beim Finale noch richtig stimmungsvoll wurde, war letztlich auch mehr den Medleys der Jürgen´schen Ohrwürmer wie „Mit 66 Jahren“, „Schöne Grüße aus der Hölle“ oder dem Titelsong „Ich war noch niemals in New York“ als der Inszenierung selbst zuzuschreiben, bei der an diesem Abend überwiegend Cover-Besetzungen in den Hauptrollen agierten. Aber auch daran lag es nicht, dass der Funken lange nicht überspringen wollte. Zu sehr hat man an dieser Show herum gewerkelt und Dinge verändert. Gerade beim Bühnenbild macht sich dies negativ bemerkbar, denn vom einstigen Clou der Show, der langgezogenen und auf mehrere Decks verteilten Silhouette der MS Deutschland, ist nichts mehr zu sehen. Und auch der hohe, auf einer Drehbühne platzierte Aufbau, wurde massiv abgespeckt, so dass man den handelnden Personen zeitweise optisch gar nicht mehr folgen kann, wie es früher möglich war, wenn die Flucht auf der Hochzeitssuite angetreten werden musste. Für eine Tour muss es eben händelbar und schnell zu verladen sein, das geht mit einer Sparversion sicherlich besser, leider mit dem beschriebenen Qualitätsminderungseffekt. Bekam das Bühnenbild einst von uns fünf von fünf Sternen, so sind es aktuell gerade noch zwei.

Szenarisch hat „IWNNINY“ nachgelassen. Beispiele? So wurde die Szene im Reisebüro verändert, schließt nun mit einer Szene in New York ab, obwohl die Protagonisten nicht mal an Bord des Schiffes gegangen sind. Und die Szene mit der auf ein Navi projizierten Autofahrt nach Genua ist inzwischen so hektisch, schnell und unübersichtlich dargestellt worden, dass diese besondere Situationskomik fast völlig ihren Reiz verloren hat.

Nächstes Manko: Das Personal wurde deutlich reduziert. So war „Schöne Grüße aus der Hölle“ im Finale des ersten Akts früher eine bombastische Szene, gefüllt mit mindestens 16 rot gekleideten „teuflischen“ Tänzerinnen und Tänzern. Heute füllen gerade noch acht bis zehn Tänzer diese Szene, wobei zwei Schiffsoffiziere eingebunden werden, damit es nicht ganz so leer auf der Bühne aussieht.

Auch an der Qualität wurde beim Ensemble gespart. Gut, es war weitgehend keine Erstbesetzung auf der Bühne, aber man sollte eine gewisse Ausstrahlung erwarten. Das war bei der Hauptdarstellerin, an diesem Abend gespielt von Karin Seyfried, nicht der Fall. Man nahm ihr weder die zickige Moderatorin noch den späteren, urplötzlich erscheinenden Wandel zur emotionalen, verliebten Frau ab, zudem lag sie beim Gesang in den hohen Tönen oft daneben und klang phasenweise schrill. Tobias Licht, der als Axel Staudach für Karim Khawatmi auf der Bühne stand, machte seine Sache hingegen gut, stimmlich sauber und schauspielerisch war das eine gute Leistung. Die Eltern der beiden Hauptdarsteller wurden gespielt von Rosemarie Wohlbauer und Peter Uwe Witt, beiden kann man das Bemühen nicht absprechen, aber insgesamt blieben beide blass und ausdrucksarm, wobei die Wohlbauer angestrengt beim Gesang wirkte. Völlig lustlos wirkte hingegen die Darstellerin der Heimleiterin, Frau Dünnbügel, die von Gloria Wind gespielt wurde.

Pluspunkte der Show waren Gianni Meurer als Costa und Gerben Grimmius als Fred. Diese beiden spielten das schwule Paar ebenso hinreißend wie Mike Sandomeno den Schiffssteward. Nicht zu vergessen der junge Simon, der Axels Sohn Florian mit einer herrlich-ironischen Ader spielte und mit seiner Lockerheit das Publikum begeisterte. Und die Tänzer, gerade weil sie nur so wenig waren, sollten wir nicht vergessen, denn sie schafften es letztlich doch noch, mit ihrer Dynamik die lange Zeit lethargischen Besucher von ihren Sitzen zu holen.

Insgesamt muss man festhalten, dass für einen Kenner dieses Musicals die Tourversion keine Offenbarung darstellt. Anders dürfte dies bei denen aussehen, die „Ich war noch niemals in New York“ noch nie gesehen haben. Denn – und diesen größten Pluspunkt der Show haben wir uns bewusst bis zum Schluss aufgehoben – letztlich sind es eben die großen Ohrwürmer von Udo Jürgens, die diese Show über Wasser halten und gerade im 2. Akt auch die Emotionen wecken. Dennoch darf man gespannt sein, wie sich die Stage Entertainment im kommenden Jahr entscheiden wird, dieses Musical am Heimatstandort neu zu inszenieren. Denn die Hamburger haben die Ursprungsversion geliebt und dürften eine ähnliche „Sparversion“ wie derzeit vermutlich sehr übel nehmen.

 

"Dracula" im Stadttheater Bremerhaven

Laptop, Sex und Blaue Bohnen!

Text: Jörg Beese, Fotos: Heiko Sandelmann


Dass Regisseur Philipp Kochheim Mut zum Risiko besitzt, das ist für Musicalfans sicherlich keine Neuigkeit. Und das muss zweifelsohne auch so sein, denn ansonsten würde man ja nie innovative Vorstellungen erwarten können. Mit seiner aktuellen „Dracula“-Inszenierung am Stadttheater Bremerhaven hat Kochheim – das zeigen die ersten Kommentare in den einschlägigen Internetforen – definitiv wieder für Gesprächsstoff gesorgt. Wobei in dieser Diskussion zwar auch handwerkliche, aber insgesamt doch eher geschmacksorientierte Facetten der neuen Version des Musicals von Frank Wildhorn besprochen und auch kritisiert werden. In den persönlichen Geschmack unserer Leser wollen wir uns natürlich keinesfalls einmischen, konzentrieren uns daher komplett auf eine rein sachliche Berichterstattung.

Zunächst kann man die Bremerhavener Version unter dem Motto „kurz und knackig“ einordnen. Diverse – teils drastische – Kürzungen und Streichungen haben dafür gesorgt, dass die Inszenierung grade mal zwei Stunden (inklusive Pause) andauert. Also gerade mal 50 Minuten pro Akt, wobei wir den inszenarischen Akt meinen – ein anderer kommt an späterer Stelle noch zu Wort. Da kann man sich schon denken, dass die Kenner und Liebhaber des Musicals irritiert gucken könnten (und es an dem Abend auch getan haben), ebenso wie angesichts der Tatsache, dass die mystische Aura von „Dracula“ komplett weggezaubert wurde, da das Stück plötzlich in der Gegenwart, also im Zeitalter von „Modern Art“, Laptop und Smartphone spielt. Da stirbt ein Vampir nicht mehr dadurch, dass man ihm einen Pflock ins Herz treibt, da tun es dann auch mal ganz banale Gewehre.

Natürlich verändert sich durch die moderne Fassung vieles, das kann, muss man aber nicht akzeptieren. Wenn man sich aber damit arrangiert, dann ist dieser Fassung eigentlich gar nicht viel vorzuwerfen, im Gegenteil. Den Vorwurf, man könnte der Handlung in dieser Version nicht folgen, kann der Autor jedenfalls nicht teilen. Die Geschichte ist kurz, aber logisch aufeinander aufbauend inszeniert, allerdings sind, das muss eingestanden werden, die Handlungsabläufe zeitweise durchaus recht „sprunghaft“. Und das Mina am Ende ihren Suizid mithilfe einer Tablettenüberdosis einleitet, nun ja, da wären wir wieder bei der „Geschmacksfrage“.

Kochheim verzichtet auf jedwede Schnörkel in seiner Inszenierung, er konzentriert sich auf die entscheidenden Personen und auf die Musik. Das ist legitim, zumal er auf hervorragende Stimmen und Darsteller zurückgreifen kann. Da ist zunächst Christian Alexander Müller zu nennen, der als moderner Dracula seinen Job sehr zufriedenstellend macht, zwar etwas weniger „beißen“ darf, dafür aber in seiner Rollenauslegung etwas mehr an den „Tod“ aus Elisabeth erinnert, als permanente Figur im Hintergrund. Stimmlich ist Müller perfekt, gegen ihn hat das manchmal etwas laute Orchester des Stadttheaters keine Chance der Übertönung. Überhaupt ist die Gesangsqualität dieser Cast erstklassig, auch Anna Preckeler (Mina), Carolin Löffler (Lucy), Maximilian Mann (Jonathan Harker) oder van Helsing Darsteller Tobias Haaks können hier absolut überzeugen und sind ein großer Hörgenuss, wobei ihnen schauspielerisch ebenfalls nichts vorzuwerfen ist. Das gilt auch für Thomas Burger als Renfield, wobei man mit seiner Einordnung in die Handlung durchaus Probleme bekommen könnte, da er sich meist in einer Art Bar aufhält, was seinem eigentlichen (irren) Hintergrund nun so gar nicht gerecht wird. Auf die drei Freunde Seward, Holmwood und Morris hätte man allerdings komplett verzichten können, denn die drei waren so selten eingebunden, dass sie – abgesehen von Draculas „Schießwut“ - eigentlich überflüssig waren, zumal es auch keinerlei nachhaltigen Hinweis gab, worauf ihre Berechtigung, in diesem Stück mitzuspielen, eigentlich basierte.

Das Bühnenbild mit dem großen Aufbau auf der Drehbühne kann hochwertig punkten und versteht es nahtlos, die verschiedenen Szenarien miteinander zu verbinden. Leider gibt es praktisch keine größere Tanzszene, da hätte man sich noch etwas mehr Kreativität der Verantwortlichen gewünscht. Dafür darf man sich dann gleich zweimal mit anschauen, wie Dracula die schöne Lucy „nimmt“. Christian Alexander Müller durfte diese – gleich zweimal gespielte Szene – wenigstens angezogen spielen, während Carolin Löffler schon recht freizügig agieren musste. Einmal hätte hier völlig gereicht, die Wiederholung im Finale des ersten Akts – der Akt im Akt sozusagen – war unnötig und sorgte dann doch bei mehreren Besuchern im Saal für mürrische Gesichter.

Insgesamt ist die Bremerhavener Dracula-Version überhaupt nicht vergleichbar mit anderen Produktionen, beispielsweise in Pforzheim. Wer die anderen Inszenierungen gesehen und geliebt hat, der wird Bremerhaven vermutlich verfluchen. Für unkundige Besucher hingegen könnte es interessant werden, denn es ist ein kurzweiliger Abend, der optisch, gesanglich und auch darstellerisch einiges bereit hält. Bei Ticketpreisen zwischen 17 bis 36 Euro kann man hier wenig falsch machen, zum Diskutieren wird man hinterher auf jeden Fall genügend Themen finden.

 

"Saturday Night Fever" auf der Freilichtbühne Tecklenburg

Familienbande und Heiße Sohlen!

Text: Jörg Beese, Fotos: Heiner Schäffer


Nach „Artus Excalibur“ hat die Freilichtbühne Tecklenburg am 22. Juli auch mit ihren zweiten Großproduktion „Saturday Night Fever“ Premiere gefeiert. Und „Feiern“ ist der richtige Ausdruck, denn die voll besetzten Zuschauerränge feierten das Ensemble mit langen Ovationen, wobei der Anteil der Alexander Klaws Fans nicht zu überhören war. Auch wenn „SNF“ qualitativ nicht ganz an „Artus“ heran reicht, so liefert diese Show doch beste Unterhaltung und kann in vielen Bereichen überzeugen. Die Unterschiede liegen im Wesentlichen in der eingleisigeren Musik des Bee Gees-Musicals, dem teilweise fragwürdigen Buch sowie in der Qualität einzelner Darsteller. Zwar lenkt der Musikalische Leiter Klaus Hillebrecht sein Orchester gewohnt locker durch die Partitur, doch ein paar mehr klassische Arrangements hätte man sich hier schon gewünscht. Womit die neue Produktion, bei der genau wie bei „Artus“ wieder Ulrich Wiggers Regie führt, aber außerordentlich hoch punkten kann, sind die herausragenden Tanzchoreografien mit einem absolut spitzenmäßigen Tanzensemble, dem man gleich an dieser Stelle ein Extralob für seine Fünf-Sterne Performance aussprechen muss. Und auch das Bühnenbild kann für diese Show punkten.

Es kommt selten vor, aber in Tecklenburg wurden bereits Zusatzvorstellungen für Saturday Night Fever angesetzt. Kein Wunder, dem vernehmen nach soll die Auslastung bei bis zu 95 Prozent liegen. Unter den unzähligen Menschenmassen sind auch viele Fans von DSDS-Gewinner Alexander Klaws, der als Tarzan bereits viele Musicalfans überzeugen konnte und auch als Tony Manero eine gute Figur macht. Kein Wunder – und ein schöner humoristischer Effekt – dass auch ein Querverweis auf eben jenen Tarzan im Stück nicht fehlen darf. Es grenzt fast schon ein bisschen an einen Hype, wenn Klaws schon beim ersten Auftritt großen Szenenapplaus bekommt und auch weitere Aktionen nahezu euphorisch beklatscht werden, von seinem „Striptease“ mal ganz abgesehen. Allerdings ist es etwas unfair gegenüber Klaws´ Kolleginnen und Kollegen, die mindestens ebenso eine starke Leistung hinlegen. Mindestens! Aber für die Stimmung unter dem riesigen Zelttdach allemal förderlich.

Probleme werden die Bee Gees Fans sicherlich mit dem einen oder anderen musikalischen Arrangement haben, denn der Wiedererkennungswert einiger Nummern ist bei einer Skala von 0 bis 100 eher bei 50 oder 60 denn bei 90 bis 100 angesiedelt, wie es eigentlich sein sollte. Doch das ist eine Geschmacksfrage und nicht zu verurteilen. Das gilt auch für die Dramaturgie, denn während das Musical im ersten Teil sehr lebendig und mit großen Tanzszenen begeistert, haben nach der Pause auch die ruhigen, einsamen Momente auf dem großen Bühnenareal ihren Platz. Hier sollte jeder nach seiner Vorliebe entscheiden, wie ihm diese Mischung gefällt, handwerklich wurde der Spagat von Ulrich Wiggers jedenfalls gut gelöst, der das Stück zeitlich mehr in die Gegenwart versetzt hat. Diese Maßnahme tut dem Stück insgesamt gut, auch wenn man bei den Themen „Kirche“ und „Abtreibung“ sicherlich anno 2016 anders umgeht als vor 40 oder auch 20 Jahren.

Die Schlagzeile einer ansässigen Zeitung, die sinngemäß von „Alexander Klaws Festspielen“ sprach, können wir allerdings gar nicht teilen. Denn in Tecklenburg überzeugt – fast – das komplette Ensemble mit teilweise sehr überraschenden Leistungen. Natürlich führt Klaws die cast an und liefert eine sehr solide und gute Darbietung ab, gesanglich top, tänzerisch ohne fehl und Tadel und darstellerisch absolut glaubwürdig. Aber wer genau hinschaut, der findet noch viel bemerkenswertere Leistungen.

Da ist zum Beispiel Anne Welte als Mutter Manero. Das Anne Welte singen kann, weiß jeder Musicalbegeisterte. Doch in dieser Rolle muss sie das gar nicht so sehr. Denn in dieser Rolle ist die Schauspielerin gefragt, die den Charakter der gebeutelten und gestressten Familie glaubwürdig umsetzen kann. Und dazu kann man Anne Welte nur gratulieren, denn diese „Mutter“ ist so was von real gespielt, dass man sie für total echt hält. Da wirkt keine Sekunde gespielt, das ist große Charakterkunst und wie selbstverständlich staucht sie mal ihren Sohn und dann wieder ihren Mann zusammen. Fünf Sterne Plus für diese Darbietung!

Diese fünf Sterne verdient sich noch ein weiterer Akteur, der eigentlich „nur“ eine größere Nebenrolle spielt. Thomas Hohler ist als Bobby C das Paradebeispiel dafür, wie man seiner Figur eine imposante Bühnenpräsenz verleihen kann. Darstellerisch brillant, tänzerisch top und musikalisch....nun, da sollte man sich einfach mal seine „Tragedy“-Interpretation anschauen, als ihm ganz allein die riesige Bühne gehörte und ihm 2.300 Augenpaare unentwegt folgten. Der tosende Applaus anschließend und beim Schlussapplaus sprachen für sich, „Chapeau“ Thomas Hohler.

Das kann man übrigens auch Christian Schöne und Lisa Kolada zuerkennen. Während Schöne es sichtlich genießt, den etwas durchgeknallten DJ Monty zu interpretieren und das Haus rockt, liefert Kolada als Annette ebenfalls eine mehr als überzeugende Vorstellung ab. Bei ihr ist Gesang, viel Tanz, aber auch sehr viel darstellerische Klasse gefragt, alles kann sie liefern und wirkt dabei immer locker und natürlich, was bei der Bühnenpräsenz gar nicht so einfach ist.

Leider nicht ganz an die bislang beschriebenen Leistungen kommt Nadja Scheiwiller als Stephanie Mangano heran. Sieht man ihre Leistung, dann erstaunt diese Besetzung ein wenig, was auch beim Schlussapplaus vom Publikum entsprechend (nicht) honoriert wurde. Scheiwiller spielt ordentlich, singt sauber und tanzt vorschriftsmäßig. Aber: Ihre Stimme ist (trotz extremer technischer Unterstützung) schwach und kraftlos, vermittelt keine Emotionen. Auch ihr Spiel wirkt sehr konzentriert, verliert dadurch an Natürlichkeit. Den Unterschied bemerkt man besonders, wenn Scheiwiller fast alleine auf der Bühne ist, im Vergleich beispielsweise zu Thomas Hohler versteht sie es nicht, alle Blicke auf sich zu vereinigen, man ist nicht gebannt, sondern nur interessiert.

Weitere Abstriche gibt es im Ensemble, wie gewohnt in Tecklenburg, aber nicht. Und was die Tänzerinnen und Tänzer abliefern, ist einfach richtig stark. Da ist Feuer in jeder Bewegung, da wirken alle Bewegungen rassig, sexy, locker, dynamisch, natürlich und vor allem: hoch motiviert. Alleine schon die Tanzszenen (Choreografien von Hakan T. Aslan) sind das Eintrittsgeld auf der Burgruine wert, so macht lebendiges Musiktheater Spaß. Fünf Sterne können wir für die komplette Produktion – im Gegensatz zu Artus Excalibur - aufgrund der angesprochenen kleinen Mängel zwar nicht vergeben, aber eine Vier-Sterne-Produktion, zumal angesichts des Preis-Leistungs-Verhältnisses, ist Saturday Night Fever allemal. Und lohnen wird sich diese Show, das steht jetzt wohl schon fest, für die Freilichtbühne Tecklenburg auf alle Fälle.

 

 

Sugar - Manche mögen´s heiß" auf der Thuner Seebühne

Tolle Show - nur das Ende fehlte

Text: Tamara Kepler; Fotos: Thuner Seebühne

Das verstehe wer will. Als die Premiere von „Sugar – Manche mögen´s heiß“ auf der Thuner Seebühne bereits satte 110 Minuten lang trotz strömenden Dauerregens beste Unterhaltung geboten hatte, wurde die Show kurz vor Ende doch noch abgebrochen. Die nachträgliche Begründung mutet wie blanker Hohn an und unterstreicht wieder einmal, dass die Administration bei den Seespielen, ganz im Gegensatz zur Kreativabteilung, in Sachen Professionalität weit hinter den Ansprüchen der heutigen Zeit hinterher hechelt. „Wir wollten nicht, dass der Schlussapplaus vor halbleeren Rängen stattfindet“, so eine Sprecherin, die noch nachschob, dass die Gefahr für die Besucher, die es nicht ausgehalten hatten und vorzeitig die Tribüne verließen, “auf der unbeleuchteten Treppe zu groß wäre“. Das diese Aussage ein Affront gegenüber all denjenigen Besuchern ist, die tapfer fast zwei Stunden im strömenden Dauerregen ausgehalten hatten, schien den verantwortlichen nicht klar gewesen zu sein. Vielleicht liegt es auch an dem permanenten Personalwechseln in den letzten Jahren, dass sich auf der Seebühne einfach keine administrative Kontinuität und somit auch eine entsprechende Kommunikationsfähigkeit einstellt. Und das ist schade, denn künstlerisch hat diese neue Produktion wirklich einiges zu bieten, sowohl optisch, musikalisch, dramaturgisch wie auch künstlerisch.


Ein Schlag ins Gesicht muss der Abbruch auch für das hoch motivierte Ensemble gewesen sein. Denn das hatte sich von dem Mistwetter überhaupt nicht beeinträchtigen lassen und ein tolles Spektakel vor grandiosem Bühnenbild abgeliefert. Diese Optik, geschaffen von Marlen von Heydenaber, besteht im wesentlichen aus einer riesigen Muschel, in die die verschiedenen Spielorte hinein gebaut wurden. Dabei orientiert sich die Optik an der entsprechenden Ära, also darf die übergroße Showtreppe im Hintergrund nicht fehlen, die den revueartigen Charakter der Show unterstreicht. Aber was da im Laufe der Show noch so alles aus der in den See hinein gebauten Bühne auftaucht, das ist schon ein fettes „WOW“ wert, dagegen war „Titanic“ an gleicher Spielstätte vor einigen Jahren ja fast eine Ödlandschaft. Egal ob Zug, Boot, Hotel oder Strandliegen (auf denen zu liegen bei diesem Wetter besonderen „Spaß“ gemacht haben dürfte), der Fundus der Unterbühne scheint unerschöpflich zu sein. Und Regisseur Werner Bauer hat diese Steilvorlagen genutzt, um aus der grundwitzigen Handlung ein kurzweiliges Musical zu schaffen, das ganz im Stil der 1930 Jahre mit vielen revueartigen Tanz- und Ensembleszenen ausgestattet ist. Während Christopher Tölle für die starken Choreografien verantwortlich zeichnet, ergänzt Mareike Delaquis Porschka die Kulisse mit ihren herrlichen Kostümen und Iwan Wassilevski führt sein Orchester wieder einmal mühelos durch die klassische Partitur.

Die Handlung von „Sugar – Manche mögen´s heiß“ ist vielleicht gerade jüngerem Musicalpublikum nicht bekannt, daher hier ein kurzer Abriss: Chicago zur Zeit der Prohibition: Die Barmusiker Jerry und Joe beobachten durch Zufall, wie Mafia-Killer eine Gruppe von Rivalen erschießen. Die unterwünschten Zeugen werden von den Verbrechern entdeckt, können aber entfliehen. Als Frauen verkleidet lassen sich Jerry alias "Daphne" und Joe alias "Josephine" in eine Damenkapelle aufnehmen und reisen mit den ahnungslosen Mädchen im Zug nach Florida. Als sich jedoch Joe in die naive Sängerin Sugar verliebt und der ältere, lebenslustige Multimillionär Osgood Fielding III. "Daphne" den Hof macht, kommt es zu turbulenten Verwechslungen, Missverständnissen und urkomischen Situationen. Am Schluss reißt Jerry sich verzweifelt die Perücke vom Kopf und weist Osgood darauf hin, dass er keine Frau, sondern ein Mann sei, aber der Millionär verdreht nur verliebt die Augen und seufzt: "Nobody is perfect!" .

Die Handlung verrät schon, dass für dieses Musical viel Wert auf schauspielerische Qualität gelegt werden muss, denn die unzähligen Pointen müssen auf´s i-Tüpfelchen getroffen werden, sonst verliert das komplette Stück seine Faszination. Werner Bauer ist in Sachen Schauspiel gestählt und hat bei seiner Cast ein mehr als perfektes Händchen bewiesen. 

Allen voran sind da die drei männlichen Hauptprotagonisten zu nennen. Franz Frickel (Jerry), Maximilian Mann (Joe) und Walter Andreas Müller (Osgood) singen, spielen und tanzen sich durch die Show, dass es eine Freude ist. Jede Pointe sitzt, auch weil die entsprechende Körper- und Gesichtssprache dazu passt. Frickel punktet mit seiner kräftigen Stimme, ebenso wie Mann. Müller ist der geborene Komödiant, er liefert einen perfekt jung gebliebenen Greis in Flitterwochenstimmung. 

Natürlich dreht sich alles in diesem Musical um „Sugar Kane“, die in der Filmversion von Marilyn Monroe gespielt und nun auf der Seebühne durch Marie-Anjes Lumpp dargestellt wird. Lumpp ist die personifizierte „Femme Fatale“, ihr gelingt der Spagat zwischen körperlicher Animation und geistiger Stagnation perfekt, auch musikalisch versteht sie es, die Zuschauer zu begeistern. Ihr „I Wanna Be Loved By You“ ist eines der Highlights des Abends. 

Doch man kann die Liste der guten Ensembleleistungen fortsetzen, sehr homogen und mit viel Spielfreude tritt diese Besetzung ihren Dienst an und verdient damit allerhöchste Anerkennung. 

Insgesamt können wir der Thuner Seebühne für „Sugar – Manche mögen´s heiß“ vier von fünf Sternen verleihen. Nimmt man nur den künstlerischen Teil, dann wäre es sicherlich das Maximum geworden, aber im Kombination mit den hohen Eintrittspreisen und dem merkwürdigen Abbruch müssen wir hier einen Abzug in der „B-Note“ vornehmen. Denn es scheint sich noch nicht zu den derzeitig Verantwortlichen herumgesprochen zu haben, dass bei aller Qualität einer Inszenierung die Mund-zu-Mund-Propaganda im Musicalbereich immer noch die beste (und billigste) Form der Werbung ist. Und ein Abbruch kurz vor Spielende dürfte da kaum für gute Stimmung gesorgt haben.

 

My Fair Lady in Bad Hersfeld

"Es grünt so grün" in der Stiftsruine

Text: Arne Friedrich; Fotos: Klaus Lefebvre

Als George Bernard Shaws Literatur-Bestseller „Pygmalion“ der englischen Aristokratie 1913 erstmals auf einer Bühne ein Spiegelbild ihrer Arroganz lieferte, da ging ein Raunen durch den Hochadel. Als dann 1935 erstmals eine Verfilmung (mit Gustav Gründgens) anstand, war der Aufschrei schon nicht mehr so groß, da sich die Gesellschaft in Sachen gesellschaftlicher Restriktionen zumindest im Ansatz etwas bewegt hatte. Frederick Loewe und Alan J. Lerner brachten das Thema dann 1956 auch endlich als Musical auf eine New Yorker Bühne. Und nun, rund 60 Jahre später, haben Professor Henry Higgins und das Blumenmädchen Eliza Doolittle endlich die Stiftsruine in Bad Hersfeld erreicht, die für diesen Zweck eigens in einen großen „Garten“ verwandelt wurde. Ein Experiment auf Initiative von Regisseur Cusch Jung, das man durchaus als gelungen bezeichnen kann, denn diese entspannte Atmosphäre tut der kompletten Inszenierung gut, das dank der melodiösen, von Christoph Wohlleben und seinem Orchester intonierten Musik, sowie dem hervorragenden Ensemble einen Besuch wert ist.


Optisch hat das diesjährige Musical einiges zu bieten. Es wirkt schon ungewohnt, in der alten, dunklen Stiftruine plötzlich grünen Kunstrasen zu sehen (Bühnenbild Karin Fritz). Clever auch die Idee, die Wohnung des Professors in einer Art Zelt - passend zur Gartenatmosphäre - unterzubringen. Auch der übergroße Phonograph, der zur Unterstützung von Elizas Sprachversuchen dient, ist sehenswert platziert. Fast noch sehenswerter aber sind die Kostüme inklusive der Hüte. Denn die gehören nun mal zu einer guten My Fair Lady-Inszenierung dazu und Ella Späte hat nicht nur bei den Kleidern dick aufgetragen, sondern auch mit den extrovertierten Damenhüten beim Pferderennen in Ascot absolute Hingucker geschaffen. Choreografien hat „MFL“ bekanntermaßen wenig zu bieten, doch die wenigen großen Ensembleszene sind von Melissa King sehr gekonnt arrangiert worden, allen voran die „Parade“ der Müllkollegen von „Papa“ Doolittle, der von Ilja Richter mit einer wunderbar frischen und lockeren Art interpretiert wird. Richter ist der heimliche Star der Show, wie egoistisch, skrupellos und gleichzeitig liebenswürdig er durch die Handlung schlendert, ist alleine das Eintrittsgeld wert.

Womit wir auch schon bei den Künstlern wären. Und die sind absolut ihr Eintrittsgeld wert. Allen voran Eliza-Darstellerin Sandy Mölling. Überraschte sie im letzten Jahr bereits bei der Aachener Cabaret-Inszenierung, so zeigt die ehemalige No Angels Sängerin auch in dieser Großproduktion auf ganzer Linie. Singen kann sie sowieso, aber auch darstellerisch und tänzerisch kann sie voll überzeugen. Respekt, wie sie es schafft, den Berliner Akzent der frechen Blümengöre umzusetzen, dass selbst der „Berliner Jung“ Ilja Richter dem Vernehmen nach begeistert gewesen sein soll.

Als oberlehrerhafter Henry Higgins versucht Regisseur Cusch Jung höchstpersönlich, aus Eliza eine Lady zu machen. Besonders der arrogante Teil gelingt ihm sehr gut, nur die späte Wandlung zum ebenso reumütigen wie mitfühlendem Partner ist etwas zu schnell arrangiert und dadurch wenig glaubwürdig.

Neben dem beim Publikum hervorragend angenommene Ilja Richter heimst auch Gunther Emmerlich alias Oberst Pickering Lorbeeren ein. Mit seinem Charme, seinem trockenen Humor und seiner klaren Gesangsstimme kann Emmerlich ebenso begeistern wie mit seiner gespielten Naivität, die für zahlreiche Lacher sorgt.

Auch bei den Nebenrollen hat das Kreativteam bestens besetzt. In den Charakteren von Mrs. Pearce, Mrs. Higgins sowie Freddy Eynsford-Hill schließen sich Jessica Kessler, Gertraud Jesserer und Marlon Wehmeier nahtlos dem Quartett der Hauptakteure an. Da gilt auch für Christian Schleinzer und Hunter Jaques, die Alfreds Kumpel Harry und Jamie spielen. Insgesamt kann das Ensemble in Bad Hersfeld auf ganzer Linie überzeugen, sein hohes Können sowie große, spürbare Motivation verdient sich am Ende entsprechende Ovationen auf den Rängen.

Insgesamt ist die aktuelle My Fair Lady bei den diesjährigen Bad Hersfelder Festspielen eine angenehme Abwechslung zu den oft angestaubten Standardproduktionen dieses Musicals. Schwungvolle, sehr schön arrangierte Musik, klarer Gesang, sehenswerte Choreografien, gute Technik, eine stringente Regie sowie ein hervorragendes Ensemble sorgen für einen kurzweiligen Abend. Kein Wunder, dass es nur noch wenige Restkarten für die Show gibt, wer noch keine Tickets hat, muss schon nach freien Plätzen suchen. Von uns gibt es für diese Inszenierung vier von fünf Sternen.

 

Der kleine Horroladen in Bad Vilbel

Scrivello lässt die Knochen knacken

Text: Vanessa Schriefer; Fotos: Eugen Sommer

Die Wasserburg in Bad Vilbel ist wie gemalt dafür, als Hintergrundkulisse für den Musical-Klassiker „Der kleine Horrorladen“ zu spielen, den Alan Menken (Musik) und Howard Ashman (Buch) 1982 erstmals in New York auf die Bühne brachten. Als Vorlage diente damals der Film „Kleiner Laden voller Schrecken“ aus dem Jahr 1960. Nun, im Sommer 2016, ist die Geschichte um die Fleischfressende Pflanze Audrey II auch bei den Burgfestspielen in Bad Vilbel angekommen. Unter der musikalischen Leitung von Philipp Polzin hat Regisseur Christian H. Voss eine schwarze Komödie mit teilweise (zu) herben Humor auf die Open-Air Bühne gebracht, die beim Publikum gut ankam, aber auch ein paar Fragezeichen aufwarf angesichts der Tatsache, dass mache Form des gesprochenen oder gespielten Humors kaum noch in den Bereich „Jugendfrei“ einzuordnen ist. 


Zur Handlung: Weil das Blumengeschäft von Mister Mushnik nicht läuft, schleppt Seymour Krelborn, der schusselige Angestellte, eine neue Pflanze an, die er zufällig gefunden hat. Er nennt sie nach seiner Arbeitskollegin und Angebeteten Audrey, einem naiven Blondchen. Audrey II. verlangt jedoch nach Menschenblut. "Fütter mich!", fordert sie. Die Pflanze sorgt für ungeahnten Aufschwung und großes Medieninteresse. Bald reicht ihr Seymours Blut nicht mehr - Audrey II. will feste Nahrung. Der gutmütige Seymour ist entsetzt: Denn er kennt niemanden, der es verdient hätte, zerhackt und an eine hungrige Pflanze verfüttert zu werden. Niemanden? Oh doch, er kennt jemanden." Audrey I. hat nämlich einen sadistischen, Motorrad fahrenden Zahnarzt als Freund, der sie regelmäßig verprügelt. Dieser Mann wird das erste Opfer des nimmersatten Gewächses. Doch er ist nicht das letzte Opfer...

Der kleine Horrorladen lebt von den Überzeichnungen seiner Charaktere. So ist Audrey I das absolut klassische, naive Dummchen, dem in Bad Vilbel auch der letzte Funken verstand abhanden gekommen ist. Ihr Partner Seymour schwankt permanent zwischen Choleriker, Geschäftsmann und Romantiker, während Zahnarzt Orin Scrivello als verkappter und völlig durchgeknallter Udo-Lindenberg Verschnitt seinem S/M-Hobby nachgeht, ob da nun zufällig ein Patient oder seine Freundin vor ihm steht, spielt dabei für Orin gar keine Rolle. Hauptsache, es geht derbe zu.

Sehr gut besetzt und inszeniert hat Voss in Bad Vilbel die drei Soulgirls Chrystal, Chiffon und Ronette, die von Janice Rudelsberger, Stefanie Smailes und Anja Backus gespielt werden, die erfrischend fröhlich durch das Programm führen und es begleiten. Eher enttäuschend von den Nebenrollen ist dagegen die Stimme von Audrey II, die Sonja Herrmann doch recht flach flach ins Auditorium rüber bringt und die man zweifelsfrei schon wesentlich kräftiger und bissiger an anderen Spielorten gehört hat.

Der Star dieser Inszenierung ist aber ganz klar Raphael Koeb alias Orin. Koeb versteht es perfekt, auf seine schlaksige Art den puren Sadisten darzustellen, der in erster Linie sich selbst und in zweiter Linie sein eigenes Ego liebt. Es macht Spaß, Koeb zuzuschauen, auch wenn der ein oder inszenarische Einfall der Regie doch etwas starker Tobak ist, so zum Beispiel die „Schluck“-Szene“ mit den drei Soulgirls. Nicht annähernd an die Ausstrahlung von Koeb heran kommt Krisha Dalke als Seymour, doch das ist auch so gewollt. Dieser Seymour kommt sehr entspannt und introvertiert daher, umso überzeugender sind seine Stimmungsumschwünge, je nach Szenario. Irgendwie erinnert Dalke an Harry Potter, ehrgeizig einerseits, aber auch naiv und ein wenig hoffnungslos. 

Julia Elena Heinrich als Audrey I tut das, was sie tun muss. Sie stöckelt durch die Gegend und erfüllt alle Klischees, die man Blondinen seit Ende der Stummfilmzeit nachsagt. Sie könnte darstellerisch sogar noch etwas mehr überziehen, singt jedoch mit einer feinen und sehr hörbaren Stimme, der man gerne lauscht. Theodor Reichardt komplettiert die Hauptrollen mit einer sehr souveränen, ruhigen und sachlichen Auslegung. Er emotionalisiert die Beziehung zu Seymour nicht zu sehr und macht aus der (buchbedingt) eher unterrepräsentierten Rolle das beste, was man herausholen kann.

Die Kostüme von Monika Seidl sind teilweise sehr extrovertiert ausgesucht und tragen zum guten Gesamtbild bei. Nicht alle Ausstattungen werden auf einhellige Zustimmung treffen, aber das ist eine reine Frage des persönlichen Geschmacks und daher nicht zu bewerten. Martin Ruppels Choreografien hingegen sind sehenswert und lassen besonders die Soulgilrs glänzen.

Fazit: Für die diesjährigen Burgfestspiele hat Bad Vilbel sich etwas ausgedacht. Denn „Der kleine Horrorladen“ kommt nicht bieder daher, sondern provoziert und eskaliert teilweise sogar. Wie man dazu steht, das muss jeder Besucher selbst entscheiden. Kinder unter 14 Jahren würde die Autorin persönlich nicht mit in diese Show nehmen, dann schon eher den Typ „machohafter Lebemann“. Aber zu Diskutieren hat man nach dieser Show zweifelsohne und damit hat Musiktheater bereits einen sehr ursprünglichen Zweck erfüllt: Man redet drüber! Von uns drei von fünf Sternen.

 

42nd Street in Meppen

Glanz und Glamour im Emsland

Text: Vanessa Schriefer; Fotos: Andreas Schneiders.

Was in Wiesbaden erfolgreich war, das kann im Emsland auch nicht zerrissen werden. Das dachte sich möglicherweise Regisseurin Iris Limbarth, die bereits 2013 am Hessischen Staatstheater eine sehenswerte Inszenierung von 42nd Street auf die Beine stellte und dies nun auch unter großen Ovationen des Publikums auf der Freilichtbühne in Meppen getan hat. Dabei kann sie sich auch auf Unterstützung aus hessischen Tagen stützen, denn der damalige Musikalische Leiter Jason Weaver hat gemeinsam mit Frank Bangert die Musikalische Leitung und Reinhard Wust zeichnet erneut für das Bühnenbild verantwortlich. Das der Rückgriff auf Bewährtes etwas Positives hat, beweisen auch die Engagements von Rainer Maaß alias Julian Marsh und Tim Speckhardt als Billy Lawer. Insgesamt bietet die Freilichtbühne Meppen mit 42nd Street ein Musical, das weniger von der Geschichte als vielmehr von den monumentalen Bildern und den herausragenden Choreografien lebt, für die ebenfalls Iris Limbarth verantwortlich zeichnet. Das über 60-köpfige Ensemble füllt die Bühne dabei optisch wie darstellerisch mit Leben und sorgt für einen kurzweiligen Abend.


Zur Handlung: "Komm mit mir, ich zeige dir eine Straße, die im Rhythmus erglüht. Voll und ganz erfüllt von Tanz singt sie rastlos ihr pulsierendes Lied – 42nd Street." Diesem Ruf dorthin, wo Theaterträume wahr werden, folgt die junge Peggy Sawyer. Vom Land reist sie nach New York, um am Vortanzen für Julian Marshs neue Show teilzunehmen. Tatsächlich wird sie ins Ensemble aufgenommen und lernt dort neben der harten Arbeit, die eine große Broadway-Produktion mit sich bringt, auch persönliche Animositäten unter den Mitwirkenden kennen. Als sich Dorothy Brock, der Star der Aufführung, bei einer Voraufführung verletzt, scheint die Show vor dem Aus zu stehen. Peggy wird die Schuld an dem Unfall zugeschoben und wird von Julian Marsh gefeuert. Doch das Ensemble überzeugt den Impresario von Peggys Qualitäten.

Nach der Uraufführung 1980 in New York blieb 42nd Street für über acht Jahre am Broadway und wechselte wegen des großen Besucheransturms zwei Mal in ein größeres Theater. 1981 gewann die Produktion den Tony Award als ›Bestes Musical‹, in weiteren Kategorien war das Stück nominiert. Ihre deutschsprachige Erstaufführung feierte die Show 2003 in Stuttgart, wo sie über ein Jahr lang die Besucher begeisterte. Das Musical ist geprägt von der Musik und den Tanz-Revuen der 1930er/40er Jahre, deren zentrales Element der Stepptanz ist. Leichtigkeit, Energie und gute Laune des Stepptanzes vereinen sich in 42nd Street zu einem pulsierenden, mitreißenden Rhythmus, der, verknüpft mit Songtiteln wie „Zeig’s allen und tanz“, „Jetzt rollt der Rubel“ oder „Alles Schlechte hat auch eine gute Seite“, eine Show voller Optimismus und Lebensfreude garantiert. 

Die Lebensfreude siegte auch im Esterfelder Forst, in dem die Freilichtbühne liegt. Das Publikum summte und swingte zu den schmissigen Melodien und den rasanten Tanzdarbietungen munter mit. Dazu kamen die optischen Effekte auf der Bühne, die gerade unter der Einwirkung des Lichts noch an Wirksamkeit zunahmen. Überhaupt war die Bühne genial angerichtet, so wirkt im Hintergrund ein riesiger, fächerartig aufgebauter Lichtaufbau nach dem Guckkastenprinzip, im Vordergrund sind diverse Teile, wie ein riesiger Flügel oder auch mal ein Tresor zu sehen, die intensiv in das laufende Spiel eingebunden werden, sogar bei Tanznummern.

Iris Limbarth hat gar nicht erst versucht, der losen Story eine Tiefe zu verleihen, sondern hat die Stärken des Musicals betont, die Tanzszenen sowie den Humor. Diese Vorgabe setzt das aus Gästen und eigenen Darstellern zusammen gefügte Ensemble nahtlos um, das sich auch vom einsetzenden regen nicht beeinflussen ließ. Die hohe Motivation zeichnet diese Cast aus, aus der man daher schwerlich Einzelpersonen hervorheben möchte. Sehr authentisch auf alle Fälle Ulrich Kaßburg, der sich die Rolle des Julian Marsh mit Rainer Maaß teilt. Ebenfalls ein Genuss ist Nina Links als Peggy Sawyer, die sowohl schauspielerisch wie gesanglich voll überzeugen kann. Fast noch sehenswerter ist die „Bühnendiva“ Dorothy, gespielt von Julia Felthaus, die den Charakter dieser personifizierten Extravaganz herrlich durch den Kakao zieht und zum Publikumsliebling avanciert. Diese drei KünstlerInnen stehen stellvertretend für ein extrem harmonisches und sehr motivierendes Ensemble, mit dem die Freilichtbühne absolut punkten kann, das wir hier aber aus Platzgründen leider nicht im Detail aufzählen können.

Fast 300 Kostüme wurden dem Vernehmen nach für diese Show von Heike Korn angeschafft, dabei ist es absolut gelungen, den Glamour der 1930er Jahre im Emsland zu replizieren. Auch der Technik gebührt ein Lob, denn trotz des Wetters funktionierten Licht und Ton prächtig. Insgesamt ein wunderbarer Abend, der den Musicalfans eine – zugegeben lange und verkehrstechnisch manchmal nicht unkomplizierte – Anreise nach Meppen ans Herz legen sollte. Aber die wetterfeste Kleidung nicht vergessen!

 

 Sunset Boulevard in Ettlingen

Große Gesten einer alternden Diva!

Text: Vanessa Schriefer; Fotos: Schlossfestspiele Ettlingen.

Im Schlosshof zu Ettlingen ist wieder gebaut worden. Nicht, um maroden Putz oder durchlässige Dachpfannen zu flicken, sondern um Hof halten zu lassen. Diejenige, die sich dort zukünftig bis Mitte August huldigen lassen möchte, heißt Norma Desmond und für deren Anbeter wurde eigens, wie in jedem Jahr, die große (überdachte) Zuschauertribüne zum Ettlinger Schloss geschafft, damit die eingefleischten wie auch gelegentlichen Musicalfans sich ein Bild von Andrew Lloyd Webbers alternder Filmdiva und ihrem (fast) jugendlichen Gigolo-Autoren Joe Gillis auf dem legendären „Sunset Boulevard“ machen können. Intendant Udo Schürmer hat wie immer die Regie bei seinem alljährlichen Musicalprojekt übernommen und wieder einmal hat er etwas Großes geschaffen. Denn die neue Inszenierung ist stimmig, optisch anspruchsvoll, musikalisch vielseitig und darstellerisch hervorragend. Einzig die Technik war zur Premiere noch nicht wirklich eingespielt, die Tonabmischung sowie die Orchesterlautstärke sollten sich aber in den Folgevorstellungen schnell einspielen.


Schon optisch hat Bühnenbildner Steven Koop eine clevere Bühnenansicht gewählt. Die große, unverzichtbare Freitreppe wurde auf der rechten Bühnenseite platziert und nicht nur für Normas große Auftritte genutzt, sondern beispielsweise auch für die Szene in den Paramount Studios. Während die Bühnenmitte den Szenen in der Villa gewidmet ist und auch für größere Ensemblenummern genutzt wird, verbleiben die anderen Locations (Paramount-Büros, Drugstore) auf der anderen Seite. Das Orchester unter dem Musikalischen Leiter Jürgen Voigt ist wie immer mittig im Zimmer hinter dem Balkon im Schloss untergebracht. Apropos Ensemblenummern: Bart de Clercq hat schwungvolle Choreografien geschaffen, die zwischen den vielen tragenden und teilweise sehr theatralischen Szenen zwischen Norma, Joe und Diener Max für willkommene Abwechslung sorgen.

Die Story ist schnell erzählt. Auf der Flucht vor Gläubigern (übrigens sehr intelligent und kreativ in Szene gesetzt) landet der erfolglose Autor Joe Gills in der alten Villa des Stummfilmstars Norma Desmond und ihres Butlers Max. Norma träumt immer noch von einem Comeback auf der großen Bühne und hat dazu ein Script geschrieben, dass Joe nun gegenlesen und überarbeiten soll. Joe nimmt an, da ihm Norma entsprechendes Honorar sowie Kost und Logis verspricht, wobei sie darunter mehr versteht als Unterkunft und Essen. Als sich der junge Autor aber in die Produktionsassistentin Betty Schaefer verliebt, kommt es zum finalen Showdown und Normas letztem großem Auftritt.

Musikalisch leisten Jürgen Voigt und sein Orchester sehr gute Arbeit und setzen die anspruchsvolle Partitur hervorragend um. Das Zusammenspiel mit dem Ensemble funktioniert hervorragend, die leichten Tonprobleme sind zwar kurzzeitig störend, aber kein wirkliches Problem. Die Highlights sind jedenfalls alle gut zu verstehen, seien es Normas Ohrwürmer „Nur ein Blick“, „Träume aus Licht“ und „Als hätten wir uns nie Goodbeye gesagt“ oder auch Max´ Epos „Kein Star wird jemals größer sein“. Dazu die großen Ensemblenummern wie „Nur noch ein Jahr“, „Die Rechnung zahlt die Dame“ oder „Schwab´s Drugstore“, alles fügt sich akustisch harmonisch in ein großes Gesamtbild ein.

Um diesen Effekt zu erreichen, bedarf es großer Stimmen. Und die kann Ettlingen 2016 vorweisen. Allen voran Betty Vermeulen, die mit der Tanja aus MammaMia nun wirklich gar nichts gemeinsam hat. Natürlich dürfte der ein oder andere Probleme mit der theatralischen Darstellung dieser alternden Diva haben, aber das gehört nun einmal zu dieser Rolle. Vermeulen löst den Spagat zwischen ehrgeiziger Schauspielerin und tragischer Heldin brillant, ist schauspielerisch eine Traumbesetzung für diese Rolle und kann auch gesanglich voll überzeugen.

Da wirkt logischerweise der Joe Gillis an ihrer Seite sehr blass, was gewollt zu sein scheint. Zwar blitzt immer wieder mal der rebellische Faktor in Thomas Klotz auf, der diesen Part durchaus glaubwürdig spielt, aber im Endeffekt ist er sich darüber im klaren, dass seine Rolle im Hause der Desmond nicht mehr und nicht weniger ist als die eines abhängigen Gigolos. Erst zum großen Finale hin treibt ihn die Mischung aus Resignation und Hoffnung zum verhängnisvollen Aufbegehren. Musikalisch ist Klotz dabei in allen Szenen sehr hörenswert.

Der heimliche Star des Abends ist aber Hans Neblung, der wieder einmal in einer Charakterrolle als Max von Meyerling überzeugt. Künstlerisch ein Genuss summen die Besucher sein „Kein Star wird jemals größer sein“ auch noch beim Verlassen der Tribüne vor sich her.

Dorotheé Kahler rundet die Riege der Hauptdarsteller ab, sie ist eine starke Betty Schaefer, kann sowohl die leichten wie auch die tragenden und nachdenklichen Augenblicke ihrer Rolle wunderbar umsetzen und ist stimmlich einfach ein Genuss.

Das Kompliment für die Hauptrollen kann man auf den Rest des Ensembles übertragen. Ähnlich wie ein Ulrich Wiggers versteht es auch Udo Schürmer, beim eingesetzten Personal immer wieder ein goldenes Händchen zu beweisen. Es macht einfach Spaß, dieser Cast zuzuschauen und zu -hören. Ein Kompliment muss man auch Anne Weiler machen, die die Künstler in abwechslungsreiche und sehr sehenswerte Kostüme gekleidet hat.

Insgesamt hat diese Sunset Boulevard Inszenierung ein sehr bemerkenswertes Level erreicht. Man hätte sich seitens des Publikums noch etwas mehr Euphorie gewünscht, diese wird aber hoffentlich in den kommenden Wochen noch erfolgen..In den Bereichen Optik, Musik, Regie und Darsteller verdienen sich die Schlossfestspiele Bestnoten, einzig die doch etwas spärlichen Requisiten lassen uns statt der Bestnote „nur“ fünf von sechs Sternen verleihen. Aber einen Besuch lohnt diese Inszenierung auf jeden Fall!

 Die drei Musketiere in Bad Gandersheim

Künstler und Musik hui - Optik pfui!

Text: Jörg Beese; Fotos: Rudolf A. Hillebrecht.

Die Anreise ließ Schlimmes erahnen, denn rund zwei Stunden verdunkelte sich der Himmel in Niedersachsen und es stürzten Wassermassen auf die Straße, die phasenweise ein Weiterkommen mit dem Boot als dem Auto sinnvoller und zügiger erschienen ließ. Doch rund 15 Minuten vor der Ausfahrt Bad Gandersheim riss der Wolkenvorhand wie an einem Reißverschluss plötzlich auf und die Premiere des Musicals „3 Musketiere“ vor der Stiftskirche bei den Domfestspielen konnte in kompletter Länge unter strahlend blauem Himmel und ohne jedwede Blitze oder Donnergeräusche auskommen. Beste Voraussetzungen also für das Musical von Rob und Ferdi Bolland, die Degen klingen zu lassen. Aber auch, wenn viele Elemente dieser Inszenierung von Craig Simmons durchaus gefallen können, so werden eingefleischte Musketier-Fans womöglich enttäuscht sein. Denn gerade bei der Optik bleiben einige Dinge fragwürdig, stoßen die Domfestspiele erstmals an eine Grenze. Und auch im Ensemble kann trotz guten Gesamteindrucks nicht jeder Hauptdarsteller restlos überzeugen. Für den normalen Theaterbesucher, der hingegen noch nie eine andere Inszenierung der Musketiere gesehen hat, ist der Abend hingegen gute Unterhaltung, wie der Schlussapplaus nach der Premiere zeigte.


Nun war es absehbar, dass es nach den großartigen Leistungen in den letzten Jahren mit dem Höhenflug im Harz nicht unendlich weitergehen konnte und irgendwann eine Konsolidierung einsetzen würde. Das ging anderen Musicalbühnen in der Vergangenheit ja auch so. Intendant Christian Doll dachte sich wohl, dass die Kulisse der Stiftskirche gut zum Thema passen würde, womit er durchaus recht hatte. Aber: „3 Musketiere“ ist ein Musical, dass noch mehr als Andere von den Massenszenen lebt, darauf viele seiner Gänsehautmomente aufbaut. Das unterscheidet es von anderen Produktionen, in denen der Fokus (fast) alleine auf die Hauptdarsteller gelegt werden kann. Und genau das ist das Problem, denn in Bad Gandersheim ist es gar nicht möglich, ein solch großes Ensemble auf die Bühne zu stellen, weder finanziell noch platztechnisch. Hinzu kommt neben dem gewohnt minimalistischen Bühnenbild ein ganz übler Fauxpas bei den Kostümen und der Maske (Perücken und Frisuren teilweise arg fragwürdig), denn es wirkt, als ob Kati Kolb hier die Überreste eines ausgelösten Kostümfundus beschafft hätte, oft passen die Outfits der Künstler nicht wirklich zu ihren Charakteren. So erscheinen beispielsweise die drei Musketiere Athos, Porthos und Aramis nicht in identischer Kluft, kommt der negative Charakter der Kardinalsgarde optisch kaum zum Tragen und läuft Milady de Winter den ganzen Abend in einem dunkelgrünen „Abendkleid“ über die Bühne, das ihrer Rolle eher unangemessen ist, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Und genau diese Optik ist es, die letztlich diverse Abzüge in der A- und B-Note mit sich bringt.

Da in Bad Gandersheim in gut zwei Stunden ohne Pause durchgespielt wird, hat das Kreativteam etliche Passagen gekürzt oder sogar gestrichen, wie etwa D´Artagnans Überfahrt nach England. Das ist legitim und verzeihbar, kurzweilig bleibt die Inszenierung auf alle Fälle. Craig Simmons hat sich bei der Regie auf Altbewährtes gestützt und neuen Ideen eine Absage erteilt. Gespielt wird – wie eigentlich immer bei den Domfestspielen – oftmals auch auf der Zuschauertribüne, die unter anderem mit einem langen Steg direkt mit der Bühne verbunden ist. Auf selbiger ist auf der rechten Seite eine höhere Treppe mit Podest angesiedelt, während linker Hand ein kleines Podium mit zwei im Hintergrund angesiedelten Säulen steht. In der Mitte hinter der Bühne ist das neunköpfige Orchester unter der Leitung von Heiko Lippmann platziert, das seine Sache sehr gut macht, anfangs allerdings manchmal noch etwas zu laut agiert und in den ersten ca. 15 Minuten die Künstler leicht übertönt. Das legte sich aber sehr schnell, überhaupt muss man dem Ton ein Kompliment aussprechen, denn offenbar hatte die Nässe der Vortage Spuren in der Soundanlage hinterlassen, doch schafften es die Techniker, diese Probleme schnell in den Griff zu bekommen und für reibungslose Akustik zu sorgen.

Ein ganz großes Kompliment muss man Christian Ewald für seine Fechtchoreografien machen, die sehr dynamisch und abwechslungsreich dargestellt werden und offenen Szenenapplaus bekommen. Die Tanzchoreografien von Marc Bollmeyer sind ordentlich, leiden aber eindeutig unter dem zu kleinen Ensemble, denn bei Songs wie „Einer für Alle“ oder „Nicht aus Stein“ braucht man einfach mehr Tanzensemble auf der Bühne, um die volle Wirkung dieser Highlightszenen zu erzielen.

Und damit sind wir auch schon bei den zwei größten Stärken dieses Musicals. Da ist zum Einen die Musik der Brüder Rob und Ferdi Bolland, die die Musketiere mit Ohrwürmern satt ausgestattet hat. Und die großen Arrangements verfehlen auch in Bad Gandersheim dank der guten Orchestrierung durch Heiko Lippmann ihre Wirkung nicht. „Einer für Alle“, „Alles“, „Milady ist zurück“, „Constance“ oder das Damen-Terzett „Wer kann schon ohne Liebe sein“ können, um nur einige zu nennen, begeistern und lassen die kleinen Mängel schnell vergessen. Und natürlich der Song, der in der Vergangenheit mehrfach zum Ohrwurm des Jahres gewählt wurde, der „Engel aus Kristall“, bei dem sich auch in Bad Gandersheim Gänsehaut einstellt.

Doch würden die Songs diese Wirkung nicht entfalten, würden die Künstler nicht dazu passen. Und die machen, bis auf eine Ausnahme, richtig Spaß. Allen voran der junge Merlin Fargel, der gerade erst seine Ausbildung an der Essener Folkwang Universität der Künste abgeschlossen hat und nun als D´Artagnan stark an den jungen Patrick Stanke erinnert, der dieser Rolle seinen Stempel aufgedrückt hat. Klare Stimme, starkes Spiel, tolle Fechtszenen, Merlin Fargel kann absolut überzeugen.

Das gilt auch für Franziska Becker als Milady de Winter. Gesanglich hervorragend und schauspielerisch erstklassig wünscht man sich nur eines, dass irgendjemand ihr noch ein schwarzes Kostüm besorgt und eine vernünftige Frisur verpasst, denn es ist sicher kein gutes Zeichen, wenn im Publikum mehr über die grüne Farbe ihres Kleides oder den Zopf oder Dutt (was es auch immer sein soll) diskutiert wird als über ihre wirklich spektakuläre Leistung.

Ebenfalls sehens- und hörenswert die drei Musketiere Athos (Udo Eickelmann), Porthos (Mario Gremlich) und Aramis (Veit Schäfermeier). Eickelmann hat natürlich mit „Engel aus Kristall“ den Showstopper des Musicals zu singen, und auch wenn er dabei nicht an die Ausstrahlung eines Marc Clear in Berliner Zeiten herankommt, so singt Eickelmann den Song mit großer Kraft und Klarheit und schafft es auch, die Rolle des nachdenklichen Führers der Truppe mit Überzeugung zu interpretieren.

Ebenfalls sehr überzeugend Maike Switzer alias Königin Anna und Franziska Schuster als Constance. Beide spielen und singen sehr natürlich und klar, man nimmt ihnen die Person, die sie spielen, nahtlos ab. Switzer hat allerdings den Nachteil, dass auch sie mit einem Kostüm auskommen muss, das so wohl kaum eine französische Königin jemals auch nur in ihren Kleiderschrank gehängt hätte.

Während also fast alle anderen Rollen, auch die hier nicht erwähnten, sehr authentisch von den Künstlern dargebracht werden und man sie problemlos mit den jeweiligen Charakteren identifizieren kann, nimmt man einem sein Spiel nicht ab. Ron Holzschuh spielt zwar der intriganten Kardinal Richelieu, aber er spielt ihn eben nur. Er überzieht die Theatralik, kommt zu steif daher und selbst bei seinen großen Songs „Oh Herr“, „Nicht aus Stein“ oder „Glaubt mir“ wirkt er phasenweise wie ein Fremdkörper. Gesanglich macht er seinen Job absolut gut, ohne Wenn und Aber. Doch wenn das Spiel dazu nicht stimmt, verliert der Gesamteindruck des Kardinals massiv.

Als Fazit kann man festhalten, dass die Domfestspiele sich 2016 an ein Projekt gewagt haben, dass sehr populär ist, aber eben auch viele Grundlagen benötigt. Dennoch ist es den Kreativen gelungen, ihr Publikum weitgehend zufriedenzustellen. Das verdient Anerkennung. Auch das Preis-Leistungsverhältnis stimmt auf dem Platz vor der Stiftskirche. Doch wer die „3 Musketiere“ bereits andernorts gesehen hat, der wird eben auch Abstriche machen müssen. Hinter der Tecklenburger Open-Air Inszenierung des Jahres 2010 bleibt diese Produktion der Domfestspiele Bad Gandersheim jedenfalls etwas zurück. Ist aber dennoch unterhaltsam. Daher von uns noch vier von sechs Sternen.

 

 Highway to Hellas in Bad Gandersheim

Und darauf einen Ouzo!

Text: Arne Friedrich; Fotos: Domfestspiele Bad Gandersheim.

Die Domfestspiele in Bad Gandersheim haben sich seit Jahren einen hervorragenden Ruf gerade im Bereich ihrer Musicalproduktionen erworben. Neben einem klassischen Musical, in diesem Jahr die „3 Musketiere“, kommen seit einigen Jahren auch immer wieder – meistens sehr lustige - Eigenproduktionen auf die Bühne, die beim Publikum großen Anklang finden und meistens vom Musikalischen Leiter Heiko Lippmann und dem jeweiligen Intendanten, zuletzt Christian Doll, für die Musicalbühne geschrieben wurden. Aktuell ist „Highway to Hellas“ die Produktion, die vor wenigen Tagen ihre Premiere feierte und nun für strahlende Gesichter auf der Zuschauertribüne sorgt. Der Roman, auf den nicht nur ein späterer Film mit Christoph Maria Herbst folgte sondern nun eben auch das Musical, stammt von Arnd Schimkat und Moses Wolff, die beide gemeinsam mit Christian Doll und Heiko Lippmann sowie Regisseur Achim Lenz, der zukünftig übrigens das Zepter bei den Domfestspielen schwingen wird, das Konzept für die Bühnenfassung ausarbeiteten.


Worum geht es bei Highway to Hellas überhaupt? Nun, das Stück ist eine Reaktion auf die griechische Finanzkrise und die damit verbundenen Klischees und Vorurteile, die gerade in Deutschland, aber auch dem restlichen Europa gegenüber den Griechen publiziert wurden. Das dabei andere Kriterien wie Zwischenmenschlichkeit und Lebensfreude auf der Strecke bleiben, wollen die Kreativen nun auch mit dem Musical deutlich machen, allerdings immer mit einem gesunden Augenzwinkern. Entsprechend schnell ist die Handlung erzählt, denn die Geschichte lebt im Wesentlichen von der scheinbaren Spontanität und dem Einfallsreichtum seiner Akteure.

Seit der Ankunft des Bankangestellten Jörg Geissner im Hafen von Paladiki ist die kleine sonnenverwöhnte Insel in Aufruhr. Der Deutsche soll Beweise finden, dass der von seiner Bank gewährte Kredit nicht wie vereinbart für ein Krankenhaus und ein Elektrizitätswerk verwendet worden ist. Die griechischen Inselbewohner setzen alles daran, die Suche des spießigen Schnüfflers zu einem echten Höllentrip werden zu lassen. Vor allem der Marktbesitzer Panos wird nicht müde, mit Unterstützung des Bürgermeisters und der anderen Inselbewohner anderweitig abzulenken. Dabei werden Klischees zuhauf bedient, das Aufeinanderprallen zweier Kulturen wird nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachtet. Die Komödie greift ein großes europäisches Thema mit Witz auf, um dabei den Blick aber in erster Linie auf die Menschen und deren Begegnung zu richten.

Marc Bollmeyer sind für die neue Show herrliche Choreografien gelungen, die die Zuschauer begeistern. Die Musik von Heiko Lippmann ist eingängig und hat einige schöne Ohrwürmer zu bieten. Auch die Regie von Achim Lenz kann überzeugen, allerdings hat man zum Finale hin das Gefühl, dass die Inszenierung oder die proben nicht ganz fertig geworden sind, denn das Happy End kommt angesichts der Vorgeschichte doch etwas schnell und einfach, da hätte man sich noch etwas mehr Verwicklungen einfallen lassen können. Optisch hat Cornelia Brey mithilfe mehrerer Holzwände mit Postkartenmotiv ein südliches Ambiente geschaffen, das sich immer schnell den Gegebenheiten anpasst und sich in verschiedene Szenarien verwandelt.

Mit den Künstlern hat Achim Lenz mal wieder Glücksgriffe getan. Dirk Weiler erfüllt das Klischee des gnadenlosen, vom Leben gefrusteten Bänkers mit Bravour. Herrlich auch Ron Holzschuh alias Panos, der mit seinen Spitzfindigkeiten fasziniert. Ihm in nichts nachstehen tut Fehmi Göklu, der gleich in mehreren Rollen zu Lachsalven anregt. 

Doch auch die Frauen verstehen ihr Metier. Besonders auffallend mit ihren Darbietungen sind Tabea Scholz als Hotelbesitzerin und Susanna Panzer als Eleni, von denen man gerne noch mehr gesehen und gehört hätte. Insgesamt eine sehr harmonische und motivierte Ensembleleistung, die sich nahtlos dem guten Gesamteindruck anpasst, zu dem auch das Orchester unter der Leitung von Ferdinand von Seebach seinen Teil beiträgt. Ein wenig hat „Highway to Hellas“ auch etwas von der Atmosphäre bei „Mamma Mia!“oder „Der Schuh des Manitu“, die Zuschauerreaktionen waren jedenfalls sehr ähnlich. Dieses Musical ist zwar das, was man allgemein unter „leichter Kost“ führen würde, also nichts für Grimme-Preisträger, aber es ist unterhaltsam, kurzweilig und macht gute Laune. Trotz einiger Kleinigkeiten, die sicherlich verbesserungsfähig sind, geben wir hierfür vier von sechs Sternen.



 

 

 


 






 

 

Artus Excalibur in Tecklenburg

Starke Cast mit guter Regie

Text: Jörg Beese; Fotos: Heiner Schäffer, Ulrich Niedenzu, Stefan Grothus.

Woran erkennt man einen guten Musicalregisseur? Daran, dass er es schafft, aus einer eher schwachen literarischen Vorlage eine Show zu inszenieren, die bereits nach wenigen Sekunden Gänsehaut produziert, die den Zuschauer bis zum Ende der Show in regelmäßigen Abständen immer wieder heimsucht. Dieses Kunststück ist nun gerade Ulrich Wiggers gelungen, der auf der Freilichtbühne Tecklenburg die nicht ganz dankbare Aufgabe übernommen hat, das Musical „Artus Excalibur“ von Frank Wildhorn (Musik), Ivan Menchell (Buch) und Robin Lerner (Liedtexte) zu inszenieren und diese Herausforderung mit einer ganz anderen dramaturgischen Inszenierung umgesetzt hat, als sie ursprünglich am Theater St. Gallen bei der Uraufführung zu sehen war. Und obwohl „Artus Excalibur“ vom Buch her eigentlich schwächelt und immer wieder von kitschigen Momenten durchzogen ist, so hat sich die Tecklenburger Show eine glatte Sechs verdient, nämlich sechs von sechs möglichen Sternen für besonders herausragend inszeniertes und umgesetztes Musiktheater.

Nun ist es kein Geheimnis mehr, dass Ulrich Wiggers´ besonderes Augenmerk dem Schauspiel gilt, ohne das ein gutes Musical nicht auskommen kann. Demzufolge hat er aus der sehr konzertanten St. Gallener Version in Tecklenburg kurzerhand ein personenbezogenes Stück gemacht, in dem es vielmehr um die Charakterdarstellung der handelnden Personen geht, ohne dabei den musikalischen Anteil zu vernachlässigen. Seine herausragende Cast dankt ihm diesen – nicht gerade kleinen- Cut gegenüber der Ursprungsversion, denn selten gab es für den Autoren so wenig – nämlich nichts – an der Leistung von Haupt- oder Nebendarstellern auszusetzen.

Doch fangen wir mit den Rahmenbedingungen an. Welch ein Ort würde besser zu Artus Helden-Saga rund um Camelot passen als die Burgruine in Tecklenburg? Da hätte bei Lancelots Kommentar zur „Ruine Camelot“ eigentlich nur noch Artus Antwort gefehlt, dass man in „Germanien in solchen Ruinen sogar musikalisches Theater spielt“. Doch Spaß beiseite, die riesige Bühne der Freilichtbühne bietet Raum für kleine, stille Momente einzelner Darsteller genauso wie für die großen Massenszenen, für die Tecklenburg bekannt ist. Aber: Es passiert immer etwas, was die Handlung ergänzt oder unterstreicht. Es sind viele kleine Momente, hier ein Pas de deux, dort ein kleiner Flirt, die sich im Hintergrund, aber irgendwie auch immer wieder ganz frontal abspielen, obwohl die eigentliche Handlung ganz woanders abläuft. Phasenweise weiß man gar nicht mehr, wo man eigentlich hinschauen soll, denn immer passiert etwas, nie wird diese Inszenierung langatmig oder fade.

Die Kostüme und die Ausstattung (Karin Alberti, Susanna Buller) spiegeln das ritterliche Mittelalter glaubhaft wieder, die eingebauten Ideen, wie die zur Tafelrunde umfunktionierten Ritterschilde, sind ebenso einfach wie genial.Nicht auszudenken, wenn man noch etwas länger die Dunkelheit und das dazugehörige Lichtdesign nutzen könnte, aber kann man keine Lichtstimmungen wegen des Tageslichts nutzen, tut es eben auch der Nebel, aus dem plötzlich die mystische Gestalt des Merlin auftaucht. Gleich zu Beginn des Stücks, das nach nicht einmal fünf Minuten schon Gänsehaut pur auslöst.

Auch bei den Choreografien von Kati Heidebrecht gibt es keinen Grund zum Meckern, sie sind zeitgemäß, nicht überzogen und dennoch ausdrucksstark. Der Musikalische Leiter Tjaard Kirsch unterstützt diese großen Ensemblemomente wie auch die ruhigen Solo- und Duett-Arrangements mit seinem 23-köpfigen Orchester perfekt und übertönt trotz sattem Sound in keiner Phase seine Künstler.

Trotz des zwischenzeitlich einsetzenden Regens ließ sich das Ensemble am Premierenabend überhaupt nicht beirren und zog sein Ding durch. Und wie! Angeführt von einem darstellerisch wie gesanglich brillanten Armin Kahl als Artus über eine bezaubernde Milica Jovanovic alias Guinevere, den magischen Kevin „Merlin“ Tarte und die herrlich böse-intrigante Roberta „Morgana“ Valentini, die es aber trotz ihrer fiesen Rolle auch schafft, positive Emotionen zu wecken, hier spielen wirklich derzeit die besten der besten. Unbedingt erwähnt werden muss auch Dominik Hees, der in „Lancelot“ scheinbar seine Paraderolle gefunden hat und vom Publikum mit hoch verdienten Ovationen belohnt wurde. Christian Schöne darf als Loth von Orkney endlich mal wieder den Bösewicht pur rauslassen und genießt das sichtlich, ebenso wie sein Bühnensohn Thomas Hohler als Sir Gareth. Nicht vergessen dürfen wir, stellvertretend für allen anderen Darsteller, auch Andrea Luca Cotti, der als Lucan zwar einen frühen Bühnentod sterben muss, aber zuvor für breites Grinsen bei der Überbringung von Artus Heiratsantrag sorgt. Personell hat sich die Auswahl und der große Aufwand auf Deutschlands Vorzeigebühne als wieder einmal gelohnt, wenn auch noch das Wetter mitspielen würde, dann sollte diese Produktion zu einem Zuschauerrenner werden. Das neue (teure) Zeltdach über den Zuschauerrängen hielt übrigens trotz strömenden Regens allen Durchbruchversuchen des Wassers problemlos stand.

Zwar kann selbst ein Ulrich Wiggers zum Ende des Stücks nicht alle Kitschmomente wegzaubern, aber so schlimm ist das dann auch nicht und die Kreativen vor Ort kann man für diese Vorlage ohnehin nicht verantwortlich machen. Aber was hier geschaffen wurde, ist ohne Zweifel etwas Großes. Natürlich erfordert es auch einen großen Aufwand, eine Bestseller-Romanvorlage in ein Erfolgsmusical umzufunktionieren, wie beispielsweise „Les Miserables“ oder „Das Phantom der Oper“. Aber noch wertvoller ist es ohne Zweifel, wenn ein kongeniales Team es zusammen mit seinem Ensemble schafft, aus einem „Zweckroman“ eine Prachtproduktion mutieren zu lassen. Genau das ist der Freilichtbühne mit Artus Excalibur nun gelungen, darum sollte man sich dieses Highlight nicht entgehen lassen. Und über die Ticketpreise braucht man auf der Freilichtbühne nun wirklich nicht zu diskutieren. In Hamburg oder Stuttgart zahlt man nämlich für weniger bis gleichen Unterhaltungswert bis zum Vierfachen der hiesigen Ticketpreise. Auf der Burg passt alles (bis auf´s Wetter), daher nochmal: Sechs von sechs möglichen Sternen!


Der Medicus in Fulda

Fulda feiert die neue Spotlight-Uraufführung!

Text: Jörg Beese; Fotos: Spotlight Musicalproduktion.

 

Für Erfolgsgeschichten ist die Spotlight Musicalproduktion in Fulda seit nunmehr 12 Jahren deutschlandweit bekannt, Inszenierungen wie „Bonifatius“, „Die Päpstin“ oder zuletzt „Die Schatzinsel“, um nur ein paar Beispiele zu nennen, erwiesen sich als Erfolgsgaranten, diverse Preise wanderten aufgrund der hohen Qualität in die Bonifatiusstadt. Da war es nicht wirklich eine Überraschung, dass auch das jüngste Produkt der beiden Geschäftsführer Peter Scholz und Dennis Martin vom Publikum frenetisch gefeiert wurde. Denn nachdem sich Spotlight die Rechte für Noah Gordons Bestseller „Der Medicus“ gesichert hatte, feierte nun die entsprechende Musicalversion am 17. Juni im Fuldaer Schlosstheater ihre Welt-Uraufführung. Übrigens im Beisein von Noah Gordons Sohn Michael, der eigens mit Freunden und Angehörigen zur Premiere angereist war. Wie weit sich die Fuldaer Musicalproduktionen inzwischen entwickelt haben, konnte man auch am Kreativteam dieser neuen Show erkennen, denn mit Holger Hauer (Regie), Kim Duddy (Choreografie) oder Christoph Weyhers (Bühnenbild) liest sich das Programmheft wie das „Who is Who“ der deutschen Musicalszene. Auch wenn die familiäre Atmosphere früherer Jahre inzwischen bei den Premieren etwas verloren gegangen ist, qualitativ bietet „Der Medicus“ zu einem unschlagbaren Preis-Leistungsverhältnis beste Unterhaltung und kann in allen Bereichen überzeugen.

In allen Bereichen? Sicherlich wird es Kritiker geben, die sich darüber beschweren, dass viele Passagen der Romanvorlage gestrichen oder in nur angedeuteter Form gekürzt wurden. Doch wie lang hätte diese Aufführung denn werden sollen? Mit rund zweidreiviertel Stunden (inklusive Pause) hat „Der Medicus“ eine gesunde Länge und bietet eine gesunde Mischung aus Kurzweil, Unterhaltung, Dramatik und Wissenswertem. Das Bühnenbild ist sehr maleristisch gehalten und wird durch clevere Videosequenzen und Projektionen sowie eine passenden Lichtdesign (Pira Virolainen) unterstützt. Das Timing wird sicherlich noch perfektioniert, denn beim abschließenden Feuerpfeilhagel auf Isfahan fielen die ersten Statisten schon tot um, als die Pfeile noch gar nicht zu sehen waren, aber das sind Peanuts, die sich einspielen werden. Jede Szene ist aufgrund der optischen Vorlagen jedenfalls auf Anhieb nachvollziehbar und selbst beim Sandsturm meint man, die Körner zwischen den Zähnen zu spüren.

Die Handlung dürfte aufgrund des Erfolgs des Romans bekannt sein: Im England vor über 1000 Jahren wird der junge Rob Cole zum Waisen und schließt sich als Lehrling einem fahrenden Bader an. Schon bald entdeckt er seine Gabe und entwickelt den unbändigen Wunsch, Medicus zu werden. So macht er sich auf eine gefährliche Reise, um im persischen Isfahan bei Ibn Sina, dem Arzt aller Ärzte, zu lernen. Da es Christen zu dieser Zeit untersagt ist, an arabischen Universitäten zu studieren, muss er sich als Jude ausgeben, was ihn zu einem gefährlichen Versteckspiel zwingt. Er erforscht streng verbotene Bereiche der Medizin und riskiert dabei sein Leben, aber seine Bestimmung gibt ihm die Kraft und den Mut weiter an der Verwirklichung seines Traums zu arbeiten. Er wird Vertrauter des Schahs, kann seine wahre Identität aber niemandem anvertrauen. In diesem spannenden Umfeld findet er nicht nur die Liebe seines Lebens, sondern schlussendlich auch zu sich selbst.

Wer alle Spotlight-Musicals gesehen hat, dem werden sicherlich diverse Passagen des neuen Werkes leicht bekannt vorkommen. Das man sich aber mehrfach an „Die Päpstin“ und vor allem „Bonifatius“ erinnert fühlt, ist keiner kompositorischen Faulheit geschuldet, sondern ganz normal. Schließlich hat jeder Komponist seinen persönlichen Stil, das ist bei Dennis Martin nicht anders als bei Andrew Lloyd Webber, Stephen Sondheim oder Frank Wildhorn. Und das „Bonifatius“ bei vielen Besuchern als Stichwort zu hören war, liegt zweifellos auch an Reinhard Brussmann, der als Ibn Sina sowohl optisch wie musikalisch, an den Gründungsvater der Stadt aus dem gleichnamigen Musical erinnert.

Womit wir auch schon beim Ensemble währen. Zugegeben, als „Neuling“ ist es schwer, im Schlosstheater ein Spotlight-Musical zu spielen, denn die Produzenten setzen immer wieder auf bewährte Kräfte. So auch 2016, denn mit Friedrich Rau, Sabrina Weckerlin, Reinhard Brussmann, Lutz Standop oder Andreas Wolfram besetzen ausschließlich Spotlight-bekannte Gesichter die wichtigsten Hauptrollen. Was der Qualität aber keinen Abbruch tut, im Gegenteil. Man kennt sich eben und das scheint die Akteure noch mehr zu beflügeln. Da glänzt Friedrich Rau als Rob Cole, der als junger Mann einen gefährliche, zwei Jahre andauernde Reise ins ferne Persien antritt, um beim legendären Arzt Ibn Sina so viel über Heilmethoden zu erfahren, dass er den Menschen endlich helfen kann, dank neuer Behandlungsmethoden länger zu überleben. Schauspielerisch wie musikalisch gibt es an Raus Leistung nichts zu meckern, höchstens seine Mikro-Aussteuerung sollte nochmal genauer justiert werden.

Sabrina Weckerlin ist eine ebenso überzeugende Mary Cullen, die interessanterweise ihre prägnantesten Momente gar nicht in ihren Auftritten mit Rob hat, sondern mit ihrem Vater oder mit Mirdins Frau Fara. Darstellerisch spielt sie – wieder einmal – die Rolle der jungen, verliebten Frau, wie sie es auch schon u.a. in „Kolping“, „Die Päpstin“ oder der Stage-Eigenproduktion „3 Musketiere“ getan hat. Es wäre spannend, wenn sie auch mal einen ganz anderen Charakter spielen dürfte, nichtsdestotrotz agiert sie schauspielerisch und musikalisch absolut souverän und mit klarer Ausstrahlung.

Ein Heimspiel hat der glänzend aufgelegte Reinhard Brussmann als Ibn Sina. Viele Besucher kennen und verehren den ehemaligen Bonifatius-Darsteller und auch Dennis Martin erinnert in seinen neuen Kompositionen für Brussmann musikalisch durchaus an das Erstlingswerk des Jahres 2004, beispielsweise fühlt man sich zeitweise in den Ohrwurm „Gib mir Kraft“ zurückversetzt. Und so kann man die Liste eines hoch motivierten Ensembles beliebig fortsetzen. Etliche Darsteller spielen mehrere Rollen, aber das tut dem gelungenen ganzen keinen Abbruch. Devi-Ananda Dahm, Leon van Leeuwenberg, Sebastian Lohse oder Thomas Christ seinen hier nur stellvertretend für eine herausragende Cast genannt, in die sich auch die Kinderdarsteller, allen voran Paula Weber als junger Rob, nahtlos einfügen.

Unbedingt erwähnt werden müssen noch die Choreografien von Kim Duddy. Die gelungene Mischung aus orientalischen Klängen sowie Elementen aus Tango, Samba und Mambo stellt für sie scheinbar keine Herausforderung dar. Die großen und zahlreichen Tanzszenen, in die auch die Hauptdarsteller eingebunden sind, sind eines der Highlights dieser neuen Produktion.

Insgesamt ist „Der Medicus“ bei sehr angenehmen Eintrittspreisen ein höchst unterhaltsames Musical mit kurzweiliger Handlung, starkem Ensemble, herrlicher Optik und sehr dynamischen und sehenswerten Choreografien. Einziges kleines Manko: Uns sind die Gänsehautmomente etwas zu selten, die sich eigentlich nur einstellen, wenn Reinhard Brussmann mit seiner grandiosen Stimme den Saal in lebendig werdende Vibrationen versetzt.  Einem Ausflug an die A7 steht aber absolut nichts im Wege. Wenn da nicht das „Problem“ wäre, dass bereits viele Vorstellungen praktisch ausverkauft sind und es gar nicht so einfach ist, noch an gute Karten für einen Wunschtermin zu kommen. Den Produzenten wird es recht sein, denn die kleine Produktionsfirma in Fulda kommt komplett ohne staatliche Zuschüsse aus und refinanziert sich ausschließlich durch Sponsoren und Zuschauereinnahmen. Von uns bekommt "Der Medicus" in Fulda jedenfalls fünf von sechs möglichen Sternen.


Don Camillo & Peppone in St. Gallen

Unterhaltsam - Aber das i-Tüpfelchen fehlt!

Text: Jörg Beese; Fotos: Andreas J. Etter.

Das Theater St. Gallen ist seit Jahren für seine ansprechenden Musicalproduktionen bekannt. Immer wieder überrascht Intendant Werner Signer mit namhaft besetzten Musicalproduktionen, darunter auch zahlreiche Uraufführungen. Das jüngste Produkt, dass in dem modernen Theaterbau seine Premiere feierte, ist „Don Camillo und Peppone“ aus der Feder von Michael Kunze und Dario Farina. Wer erinnert sich nicht an die auch heute noch immer wieder gern gesehenen Filmreihe mit dem großartigen Fernandel in der Hauptrolle des launischen Dorfpfarrers Don Camillo und die herrlich pointierten Dialoge zwischen ihm und seinem dorfbürgermeisterlichen Kontrahenten. Andreas Gergen hat für die neue Inszenierung, die im übrigen eine Co-Produktion mit den Vereinigten Bühnen Wien ist, die Regie übernommen, die Musikalische Leitung hat Robert Paul.

Eins kann man gleich zu Beginn der Premierenkritik feststellen: Die neue Show in St. Gallen ist durchaus unterhaltenswert, bietet optisch ein herrliches Bühnenbild (Peter J. Davison) und wechselhafte, der Zeit und den damaligen, eher ärmlichen Umständen angepasste Kostüme (Yan Tax) und lässt auch technisch kaum Wünsche offen. Auch beim Ensemble sind allenfalls minimale Abstriche erlaubt, die jedoch weniger mit den Künstlern als mit der Personenregie zu tun haben. 

Musikalisch hat Dario Farina auf recht moderne Musical-Arrangements gesetzt, denen ein wenig mehr Bandbreite, um nicht zu sagen Abwechslung, gut getan hätte, die aber insgesamt sehr harmonisch dargeboten werden.

Kritik muss sich aber ausgerechnet Andreas Gergen gefallen lassen, denn dem erfahrenen Regisseur ist es nicht gelungen, die Charakteristiken hervorzuheben, durch die der Film gestern wie heute noch seine Brillanz verbreitet. Gerade der wichtigste Aspekt, die mimische und verbale Konfrontation zwischen Don Camillo und Peppone, hat in St. Gallen massiv an Bedeutung verloren. Und das dürfte weniger an den Darstellern als am dramaturgischen Feingefühl von Gergen und Dramaturgin Deborah Maier liegen. Hier wurde nicht am Wortwitz und der damit verbundenen Emotionalität in der Mimik und der Gestik bis ins Letzte gefeilt. Da muss der Regisseur froh sein, dass Andreas Lichtenberger als Don Camillo hier aufgrund seiner großen schauspielerischen Klasse noch viele Szenen rettet, bei Frank Winkels alias Peppone gelingt das leider nicht, wodurch die Faszination des Wortes leider mehrfach im Sande verläuft.

Da muss man froh sein, dass das Ensemble so großartig drauf ist. Und das es über drei Lichtgestalten verfügt, die sich lange und nachhaltig ins Gedächtnis einprägen. Da ist zum einen der bereits erwähnte Andreas Lichtenberger, der seinem Don Camillo eine herrlich kampfeslustige Note verleiht, darstellerisch perfekt agiert und auch musikalisch überzeugen kann. Dann folgt mit Walter Andreas Müller ein wunderbar, scheinbar todkranker „Greis“ als Nonno, der beim Anblick der schönen Dorflehrerin Laura wieder zum leben erweckt wird. Ihm verdankt die Show wohl die meisten Lacher, herrlich, wie der „alte Mann“ wieder zum Jungbrunnen wird.


Der eigentliche Star des Abends ist aber Maya Hakvoort.  In der Rolle der alten Gina führt sie als Erzählerlin durch die Handlung, beobachtet sich gleichzeitig selbst, denn als junge Gina lässt   Jacqueline Reinhold parallel ihre Lebensgeschichte Revue passieren. Obwohl sie als Erzählerin eigentlich gar nicht die massive Bühnenpräsenz bekommt, erhält Maya Hakvoort wohl den stärksten Schlussapplaus von allen Darstellern. Und das völlig zu recht, denn ihre Ausstrahlung ist massiv und vermittelt teilweise Gänsehaut, spielerisch wie musikalisch ist das Musicalperfektion as it´s best. Chapeau Maya Hakvoort!

Doch auch in den weiteren Rollen kann St. Gallen punkten. Kurosch Abbasi spielt an der Seite von Jacqueline Reinhold einen überzeugenden Mariolino, auch seiner Bühnenpartnerin nimmt man die aufbegehrende Tochter des strengen Vaters Filotti (stark: Reinhard Brussmann) sofort ab. Femke Soetenga gibt eine herrlich sympathische Dorflehrerin, der die Turtelei mit dem greisen Nonno sichtlich Spaß macht. Insgesamt eine sehr ansprechende Ensembleleistung, die Lust auf mehr macht. Natürlich darf auch die Stimme aus dem Off nicht fehlen, Marlon Wehmeier agiert als Don Camillos kirchlichem Gesprächspartner Jesus, doch leider lässt es auch an dieser Stelle die Regie an Einfühlsamkeit bezüglich der – eigentlich ironischen – Untertöne Jesu´ mangeln.

Insgesamt ist es dennoch ein unterhaltsamer Abend. Knapp 2:40 Stunden dauert die Show inklusive Pause in einem Theater mit guter Akustik und guten Sichtbedingungen. Nimmt man die Eintrittspreise, dich sich zwischen 60 bis 125 Schweizer Franken bewegen, was  54 bis 113  Euro entspricht, dann ist Don Camillo und Peppone, gemessen am Preis-Leistungsverhältnis, sicher kein Schnäppchen, aber immer noch in einem - für Schweizer Verhältnisse - vertretbaren Bereich. Der Autor würde daher für diese  Show vier von sechs Sternen vergeben.



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